Eine Kassiererin scannt Butter an der Kasse eines Supermarktes.

Lebensmittel bald günstiger? Geteiltes Echo zu Scholz' Mehrwertsteuer-Vorstoß

Stand: 11.12.2024 11:45 Uhr

Kanzler Scholz überrascht im Wahlkampf mit der Idee, Steuern auf Lebensmitteleinkäufe zu senken. Ökonomen erkennen zwar die mögliche positive Wirkung an - kritisieren den Vorschlag aber auch als zu pauschal.

Der Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Senkung des reduzierten Satzes der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel stößt bei Ökonomen auf wenig Zustimmung. Der SPD-Kanzlerkandidat hatte in den tagesthemen eine Absenkung von sieben auf fünf Prozent vorgeschlagen. Scholz zufolge wäre die Umsetzung seines Vorschlags für den Bundeshaushalt "keine übermäßige Belastung".

Mit Blick auf die hohen Lebensmittelpreise in Deutschland sagte Scholz: "Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen." Auf Nachfrage, ob eine etwaige Senkung auch für die Gastronomie gelten solle, äußerte er sich nicht. "Ich glaube, dass es jetzt erst mal wichtig ist, dass wir etwas sehr Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag merkt. Und da geht's um Lebensmittel - das, was man im Supermarkt an der Kasse zahlen muss."

CDU wittert "billigen Wahlkampfköder"

Die CDU lehnt den Vorschlag als "Wahlgeschenk" ab. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sagte RTL/ntv, das hohe Preisniveau sei das Ergebnis der rot-grünen Wirtschaftspolitik. "Und es macht jetzt natürlich keinen Sinn, wenige Tage vor der Wahl sozusagen mit Wahlgeschenken um die Ecke zu kommen." Steuersenkungen seien grundsätzlich positiv, aber sie müssten in ein wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept eingebettet sein, das für Wachstum sorge.

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) nannte die vorgeschlagene Senkung einen "billigen Wahlkampfköder". Er forderte stattdessen eine "zielgenaue Entlastung von Geringverdienern", auch um "das Arbeiten im Verhältnis zum Bürgergeldbezug lohnender" zu machen. Middelberg stelle außerdem infrage, ob die Ermäßigungen überhaupt bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen würden.

Ökonom warnt vor "Mitnahmeeffekten" bei Besserverdienern

Der Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bezeichnete eine Steuersenkung von sieben auf fünf Prozent als teuer und wenig treffsicher. "Es stimmt zwar, dass Lebensmittel im Warenkorb ärmerer Haushalte wichtiger sind", sagte Heinemann. "Dennoch gibt es große Mitnahmeeffekte im Mittelstand und bei den Wohlhabenden, sie alle würden davon profitieren."

Auch für die Einnahmeausfälle müsste die Gemeinschaft der Steuerzahlenden einspringen. "Meine Prognose ist, dass wir 2026 einen Mehrwertsteuersatz von 20 oder 21 Prozent haben werden, wenn die nächste Regierung noch mehr Ausnahmen zulässt", sagte Heinemann und verwies damit auch auf Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), der beim Branchentag des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) angekündigt hatte, es sollte künftig einheitlich auf Nahrungsmittel nur noch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz erhoben werden.

Finanzwissenschaftler Heinemann schlug stattdessen vor, weniger Ausnahmen vom regulären Steuersatz zu machen und wenn überhaupt den Normalsatz zu senken. Das wäre zudem ein wichtiger Beitrag zum Bürokratieabbau.

Verschiedene Steuersätze für Lebensmittel
Für die meisten Lebensmittel in Deutschland gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Dazu zählen Grundnahrungsmittel wie Getreide, Backwaren, alle Obst- und Gemüsesorten, aber auch viele tierische Produkte wie Eier, Milch und Milchprodukte, Fleisch, Fisch und Honig.

Getränke sowie verarbeitete Lebensmittel wie Haferdrinks und Schokolade sind jedoch von der Ermäßigung ausgenommen und werden mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt. Das gilt auch für Milchmischgetränke, wenn der Anteil der Milch im fertigen Produkt unter 75 Prozent liegt.

Für das Essen in der Gastronomie gilt seit 1. Januar 2024 wieder der reguläre Satz von 19 Prozent. Um die Gastronomie während der Corona-Pandemie zu entlasten, war der Steuersatz auch für Speisen in Restaurants und Cafés vorübergehend von 19 auf sieben Prozent gesenkt worden.

Volkswirt: Ärmere geben relativ gesehen mehr für Lebensmittel aus

Doch es gibt auch andere Expertenstimmen: ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sieht in einer Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel vor allem den positiven Effekt für einkommensschwache Haushalte. "Für sie machen die Lebensmittel ja einen relativen höheren Anteil an den Gesamtausgaben als bei einkommensstarken Haushalten", begründet Brzeski. Notwendig sei eine strukturelle Stärkung der Kaufkraft. "Das würde man mit dem Vorschlag erreichen und zeitgleich einen kleinen Beitrag leisten, die soziale Schere angesichts der hohen Inflation der letzten Jahre nicht noch weiter auseinandergehen zu lassen", sagte der Volkswirt.

Die Mehrwertsteuer im Lebensmittelhandel und der Gastronomie ist seit Jahren immer wieder Thema in der Politik. CSU-Chef Markus Söder hatte im Juli 2023 ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel inklusive Fleisch, Fisch und Milch gefordert und sich für den Erhalt des ermäßigten Satzes in der Gastronomie eingesetzt. Der damalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte damals gesagt, es gebe "bessere Vorschläge" zur Entlastung von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen.

Steuerschätzer: Senkung würde nicht voll weitergegeben werden

Dem Steuerschätzer Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Wirtschaftsforschungsinstitut IfW zufolge könnten sich die Einnahmeausfälle auf etwa fünf Milliarden Euro belaufen. Allerdings gebe es ein "Rückspiel", sagte der Ökonom. Die geringere Umsatzsteuer dürfte zu etwa 80 Prozent über niedrigere Preise weitergereicht werden. Die anderen 20 Prozent erhöhten die Gewinne der Anbieter, was wiederum zu höheren Steuereinnahmen führen sollte. Auch dürfte eine geringere Mehrwertsteuer für sich genommen das Existenzminimum senken. "Diese Effekte treten mit Verzögerung auf, dürften aber die öffentlichen Haushalte um gut eine Milliarde Euro wieder entlasten."

Der Handelsverband Deutschland (HDE) lehnt den Vorschlag von Scholz ab. "Ermäßigte Mehrwertsteuersätze sind ein ineffizientes Instrument zur Verwirklichung sozialer oder ökologischer Ziele, da sie für den Staat mit beträchtlichen Kosten verbunden sind", sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Das Mehrwertsteuerrecht sei schon kompliziert, die Verwaltung mit Kosten von ein bis vier Prozent des Umsatzes der Unternehmen teuer genug. "Wenn jetzt noch zusätzlich zu den bestehenden Differenzierungen neue Absenkungen hinzukommen, steigen diese Verwaltungskosten noch weiter an", warnte Genth.

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