Hintergrund

Pro und Contra der Brustkrebs-Früherkennung Mammografie-Screening ohne Garantie

Stand: 29.07.2014 15:46 Uhr

Das Früherkennungsprogramm für Brustkrebs gerät immer stärker in die Kritik. Experten bezweifeln den Nutzen das flächendeckende Mammografie-Screening. Es schade mehr als es nutze, so ein Fazit. Die Krankenkassen sind aber nach wie vor von der Wirksamkeit überzeugt.

Von Ursula Sieber für tagesschau.de

Es war ein gesundheitspolitisches Großprojekt, das im Juni 2002 vom Bundestag beschlossen wurde: Die Reihenuntersuchung zur Früherkennung von Brustkrebs, das sogenannte Mammografie-Screening. Der Beschluss fiel einstimmig, über alle Parteigrenzen hinweg. Die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte sich persönlich dafür eingesetzt. "Damit werden wir die Brustkrebssterblichkeit in Deutschland senken", war ihre feste Überzeugung.

Die Einführung dieser Reihenuntersuchung galt zunächst als Fortschritt, weil damals das sogenannte "graue Screening" üblich war: Aus Angst vor Brustkrebs ließen viele Frauen ihre Brüste auch bei dafür nicht geschulten Röntgenärzten durchleuchten. Das erhöhte die Rate der Fehlbefunde. Ein Wildwuchs, der mit Einführung des Mammografie-Screenings beseitigt werden sollte.

Qualität - auch durch Vier-Augen-Prinzip

Heute können Frauen sicher sein: Wenn sie zwischen ihrem 50. und 69. Lebensjahr zur Früherkennung eingeladen werden, dann erfolgen die Mammografien qualitätsgesichert. In extra geschaffenen Screening-Zentren gilt das Vier-Augen-Prinzip: Die Aufnahmen werden unabhängig voneinander von zwei geschulten Ärzten begutachtet, Krebsbefunde in Expertenkonferenzen besprochen. Und: Die Röntgenapparate in diesen Zentren werden laufend kontrolliert, sind also auf dem neuesten Stand.

Das deutsche Mammografie-Screening entspricht höchsten Qualitätskriterien, wie die Befürworter dieser Reihenuntersuchung der Brust zu Recht betonen.

Experte: "Der Schaden überwiegt den Nutzen - leider!"

Und dennoch gerät dieses Früherkennungsprogramm immer stärker in die Kritik - international, nicht nur in Deutschland. Zuletzt hat eine Schweizer Neuauswertung aller bisher weltweit durchgeführten großen Studien die Debatte neu entfacht: Das "Swiss Medical Board", ein Expertenrat der Konferenz der Gesundheitsminister empfiehlt, das Mammografie-Screening zu stoppen.

Dazu zählt Professor Peter Jüni, weltweit anerkannter Epidemiologe und Direktor des Instituts für Sozialmedizin der Universität Bern. Zusammen mit seinen Kollegen kommt er zu einem vernichtenden Ergebnis: "Wir wissen nicht, ob wir mit dem Mammografie-Screening je ein Leben gerettet haben, aber wir wissen sicher, dass wir schaden." Seine tiefste Überzeugung formuliert Peter Jüni so: "Der Schaden überwiegt den Nutzen - leider!".

Beim Screening werden winzige Tumore erkannt

Wie kann das sein? Das Mammografie-Screening findet doch winzig kleine Tumore im Frühstadium - 80 Prozent aller beim Screening entdeckten Tumore sind kleiner als zwei Zentimeter. So klein, dass sie noch nicht getastet werden können. Auch Vorstufen von Krebs werden beim Screening entdeckt, sogenannte "Ductale Carcinma in situ" (DCIS), von denen sich im Verlauf von 15 Jahren immerhin ein Drittel zu einem echten Krebs entwickeln. Und das soll kein Vorteil sein?

Gegner wie Befürworter des Mammografie-Screenings beziehen sich auf große internationale Studien, in denen Frauen nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen geteilt wurden: Eine Gruppe ging zum Mammografie-Screening, die andere nicht. Der Vergleich zwischen beiden Gruppen zeigte, dass die Brustkrebssterblichkeit um 20 Prozent gesenkt werden konnte. Was auf den ersten Blick sehr beeindruckend klingt, wird jedoch teuer erkauft: Tausend gesunde Frauen müssen zehn Jahre lang zum Screening gehen, damit eine einzige Frau vor dem Tod an Brustkrebs gerettet werden kann.

Unnötige Brustkrebstherapien

Hinzu kommt: Bei der Mammografie werden offenbar zu viele kleine, harmlose Tumore entdeckt, die die Frauen nie beeinträchtigt hätten und an denen sie nicht gestorben wären. Das Mammografie-Screening führt also zu sogenannten "Übertherapien", wie das im Fachjargon heißt: Um einen einzigen Brustkrebstodesfall zu verhindern, erhalten drei bis zehn Frauen eine unnötige Brustkrebsdiagnose, werden operiert, müssen zur Strahlentherapie, und dann fünf Jahre lang Anti-Hormonpräparate einnehmen. 

Auch diese Überbehandlungen haben Spätschäden, können zum Beispiel zu mehr Lungenkrebs oder zu mehr Herzerkrankungen führen und das ist möglicherweise der Grund, warum in der Gruppe der gescreenten Frauen zwar eine Frau weniger an Brustkrebs stirbt, aber dafür eine andere Frau an einer anderen Todesursache, warum es also keinen Effekt auf die "Gesamtsterblichkeit" gibt, wie das die Epidemiologen nennen (siehe Grafik).

"Möglicherweise verschieben wir durch das Mammografie-Screening nur die Todesursachen", erklärt Professor Jüni.  "Wenn wir sämtliche Todesursachen anschauen, haben wir keinen Hinweis darauf, dass auch nur ein Leben gerettet wird". Und weiter: "Die Frauen sterben dann nicht an einem Brustkrebs, sondern an einem Herzinfarkt oder Lungenkarzinom." Das würde bedeuten, dass die Verringerung der Brustkrebssterblichkeit durch die Nebenwirkungen des Screenings, die "Überdiagnosen" und die damit verbundenen Überbehandlungen wieder zunichte gemacht würden.

Alte Studien noch aussagekräftig?

Eine weitere Problematik ist, dass die Studien ziemlich alt sind, die durchgeführt wurden, um den Effekt der Brustkrebsfrüherkennung zu testen. Die älteste wurde vor 50 Jahren begonnen, die jüngste vor 23 Jahren. Alle Daten stammen also aus einer Zeit, in der es die verbesserten Operationsmöglichkeiten oder auch Antihormonmedikamente wie Tamoxifen noch nicht gab.

Die Experten des Schweizer Gremiums bezweifeln deshalb, ob der ohnehin begrenzte Nutzen des Mammografie-Screenings, der in den alten Studien nachgewiesen wurde - ein einziger verhinderter Brustkrebstod bei tausend Frauen in zehn Jahren - auch heute noch zutreffen würde. Womöglich ist also die verbesserte Therapie von Brustkrebs der Grund, warum die Brustkrebssterblichkeit seit Jahren stark sinkt - und zwar auch in Ländern wie Belgien, die die Reihenuntersuchung der Brust erst sehr spät eingeführt haben.

Auch eine andere Hoffnung, die mit dem Screening verbunden war, hat sich offenbar nicht erfüllt: Die Zahl der fortgeschrittenen Tumore, die bereits gestreut haben und Tochtergeschwüre in anderen Organen gebildet hat, konnte durch das Screening kaum verringert werden. Gerade diese Form des Brustkrebses gilt jedoch als lebensgefährlich. Genau das war die einst bestechende Idee des Mammografie-Screenings: Immer mehr Tumore im Frühstadium zu entdecken, um damit später die Anzahl der fortgeschrittenen und wirklich lebensgefährlichen Tumore zu senken.

Womöglich werden tödliche Tumore nicht entdeckt

Doch die Auswertungen der Krebsregister in den USA, wo die Frauen schon viel länger und sogar jedes Jahr zum Mammografie-Screening gehen, zeigen genau das Gegenteil: Zwar wurden immer mehr Tumore im Frühstadium entdeckt, aber die Zahl der lebensgefährlichen Tumore verringerte sich trotz Screening nur unwesentlich. Genau das wirft die Frage auf, ob bei der Früherkennung womöglich vor allem die "falschen" Tumore entdeckt werden, die harmlosen und langsam wachsenden und nicht die schnell wachsenden, die wirklich tödlich sein können. Der Grund könnte in der Tumorbiologie des Brustkrebses liegen: Agressive, schnell wachsende Tumore haben oft schon gestreut, ehe sie beim Screening entdeckt werden. Oder sie wachsen so rasant, dass sie im Intervall, also zwischen den Früherkennungsuntersuchungen, auftreten.

Frauen in Deutschland, die alle zwei Jahre zu den Früherkennungsuntersuchung eingeladen werden, überschätzen den Nutzen des Screening massiv. Das zeigte jüngst der Gesundheitsmonitor der Bertelsmann-Stiftung: Fast ein Drittel meinte, dass sie sich durch die bloße Teilnahme vor Brustkrebs schützen könnten. Und viele glauben, dass durch das Screening pro tausend Teilnehmerinnen über 200 Brustkrebs-Sterbefälle verhindert werden könnten. Eine enorme Diskrepanz zu der tatsächlichen Datenlage. "Wie können Frauen eine informierte Entscheidung treffen, wenn sie die Vorteil des Mammografie-Screenings derart gewaltig überschätzen", fragen die Schweizer Experten.

Neues Faltblatt - aber nicht von den Krankenkassen

Der Gemeinsame Bundesausschuss will nun das Faltblatt überarbeiten lassen, das Frauen als Informationsgrundlage zugeschickt wird, wenn sie zum Screening eingeladen werden. Doch die Kooperationsstelle Mammografie, die sich im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärzte die Durchführung des Mammografie-Screenings überwacht, weist die Kritik an der Früherkennung zurück: Das Mammografie-Screening rette Leben. Die Zahl der Übertherapien, also der unnötig behandelten Frauen, werde von den Kritikern stark übertrieben.

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