Der britische Premierminister Boris Johnson und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt in Berlin

Antrittsbesuch in Berlin "Im Geiste der Freundschaft"

Stand: 21.08.2019 19:37 Uhr

Kanzlerin Merkel empfängt den neuen britischen Premier Johnson zu einem Antrittsbesuch. Beide bemühen sich in der Brexit-Frage um Entgegenkommen. Doch die Streitpunkte sind die alten. Nach wie vor geht es um den Backstop.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat beim Antrittsbesuch des britischen Premierministers Boris Johnson erneut für einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU geworben. Allerdings sei man auch auf einen nicht verhandelten Brexit vorbereitet, sagte Merkel in Berlin nach der Ankunft Johnsons.

Auch Johnson sagte, er wolle einen verhandelten Austritt. "Wir schaffen das", fügte er in Anspielung auf einen Satz Merkels in der Flüchtlingskrise hinzu. Der Premier hob die Bedeutung der britisch-deutschen Beziehungen hervor und betonte die Gemeinsamkeiten, die beide Länder verbinde.

Seinen Worten zufolge gibt es gute Chancen auf einen geordneten Brexit - vorausgesetzt, dass die EU auf den sogenannten Backstop verzichte. Johnson sagte: "Der Backstop weist große, große Mängel auf für ein souveränes, demokratisches Land wie das Vereinigte Königreich. Er muss einfach gestrichen werden."

Einschätzung von ARD-Korrespondent Hauck
"Wirklich neue, konkrete Vorschläge für einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Backstop machte Johnson nicht. Er versprach lediglich, auf physische Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland verzichten zu wollen. Außerdem erneuerte er den Vorschlag von elektronischen Vorkontrollen - ohne aber ins Detail zu gehen.

Ob Johnson wirklich Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen bringen kann, ist fraglich. Er räumte zumindest ein, seine Regierung müsse nun den Ball aufnehmen. Denn offenbar will es auch er nicht unbedingt auf einen harten Brexit ankommen lassen."

Merkel: Lösung des Irland-Problems möglich

Eine Lösung des Irland-Problems bis zum geplanten EU-Austritt Großbritanniens Ende Oktober hält Merkel für möglich. Der sogenannte Backstop sei nur als Übergangsregel für die nicht endgültig gelöste Irland-Frage gedacht gewesen, sagte sie. Man sei bislang davon ausgegangen, eine endgültige Lösung in den nächsten zwei Jahren zu finden. "Aber man kann sie vielleicht ja auch in den nächsten 30 Tagen finden. Warum nicht? Dann sind wir ein ganzes Stück weiter", sagte Merkel.

Von Großbritannien forderte sie konkrete Vorschläge dafür, wie das Grenzproblem gelöst werden kann. Es sei "nicht die Kernaufgabe einer deutschen Bundeskanzlerin", die Verhältnisse zwischen Irland und Nordirland zu kennen sowie die damit verbundenen Empfindlichkeiten, "deshalb hören wir als Erstes auf die Vorschläge Großbritanniens", sagte die Kanzlerin.

Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis eine andere Lösung gefunden ist, die Kontrollen überflüssig macht. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten. Die Brexit-Hardliner in Johnsons Tory-Partei fürchten, dass Großbritannien durch den Backstop dauerhaft eng an die EU gebunden bleiben könnte. Eine eigenständige Handelspolitik wäre so unmöglich.

Gegen Aufnahme von Russland in die G8

Merkel sagte, das Treffen mit Johnson finde "im Geiste der Freundschaft" statt. Es gehe jetzt darum, den Austritt so zu gestalten, dass weiterhin gute Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU sowie Deutschland möglich seien. Diese seien sehr eng, und dies sollten sie auch in Zukunft sein. Wenn Großbritannien schließlich ein Drittstaat sei, sollte man über eine Freihandelszone verhandeln.

Merkel und Johnson zeigten sich darüber hinaus einig in der Frage, dass es nicht angebracht sei, Russland wieder in den Kreis der führenden Industrienationen aufzunehmen. Merkel sagte, es habe zwar mit Präsident Wladimir Putin leichte Bewegungen gegeben - etwa bei der Umsetzung des Minsker Prozesses für die Ukraine. Doch Stand heute sei man noch nicht weit genug vorangekommen. Wenn es mehr Bewegung gebe, müsse man allerdings darüber nachdenken.

Johnson verwies auf Provokationen Russlands weltweit, nicht nur in der Ukraine, auch anderswo. Daher sei die Zeit noch nicht gekommen, dass man überzeugend sagen könnte, Russland müsse wieder in den Kreis der führenden Industrienationen. Damit positionierten sich beide anders als US-Präsident Donald Trump.

Boris Johnson und Angela Merkel

Merkel und Johnson beim Abspielen der Nationalhymnen im Kanzleramt. Danach schritten beide die Ehrenformation des Bundeswehr-Wachbataillons ab.

Johnsons erster Besuch als Premier

Zuvor war Johnson mit militärischen Ehren im Kanzleramt begrüßt worden. Merkel verfolgte das Abspielen der Nationalhymnen gemeinsam mit ihrem Staatsgast im Sitzen. Nach den Nationalhymnen schritten die beiden Regierungschefs gemeinsam die Ehrenformation des Bundeswehr-Wachbataillons ab, bevor sie zum Gespräch ins Kanzleramt gingen.

Es handelt sich um Johnsons ersten Besuch in Berlin seit seinem Amtsantritt Ende Juli. Am Donnerstag reist der Premierminister nach Paris, wo er vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfangen wird.

Frankreich sieht den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne ein Abkommen einem Bericht zufolge als sehr wahrscheinlich an. "Heute ist das zentrale Szenario des Brexit das eines No-Deal", erklärte die französische Regierung laut der Nachrichtenagentur AFP.