Paul Ziemiak
Analyse

Ziemiaks neuer Posten in NRW Die Rückkehr des Generals

Stand: 17.11.2022 00:37 Uhr

Von der Bundes-CDU zum Landesverband NRW: Ziemiaks neuer Posten als Generalsekretär in Düsseldorf ist aus mehreren Gründen eine Überraschung. Die Personalie sendet auch eine Botschaft an CDU-Chef Merz.

Eine Analyse von Jochen Trum, WDR

In der Schule dürften Hendrik Wüst und Paul Ziemiak immer zu den Letzten gehört haben, zumindest, wenn es nach dem Alphabet ging. Im größten Landesverband der CDU stehen die beiden jetzt ganz vorn, der eine als Parteivorsitzender und Ministerpräsident, der andere seit vergangener Woche als Generalsekretär.

Es war eine faustdicke Überraschung, als Öffentlichkeit und Partei abends, zur besten Sendezeit, eine Spitzenmeldung aus der nordrhein-westfälischen Landespolitik vernahmen: Ziemiak, vier Jahre lang bekannt als Generalsekretär der Bundes-CDU, übernimmt kommissarisch den Posten als hauptamtlicher Haudrauf in Düsseldorf. Das saß. Monatelang hatte Wüst sich Zeit gelassen, die wiederholten Fragen, wann er denn nun endlich eine Person für das vakante Amt des Generalsekretärs vorschlagen würde, beantwortete er zunehmend schmallippig.

Die Personalie Ziemiak ist aus mehreren Gründen ein Coup. Erstens, weil es ein ungewohnter Karriereschritt ist, von der Bundes- auf die Landesebene zu wechseln, zumal im gleichen Amt. Es stimmt zwar, dass Ziemiak, nachdem ihm Parteichef Friedrich Merz den Stuhl vor die Tür des Adenauerhauses gesetzt hat, seit Anfang des Jahres nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter ist. Da ist die Gefahr groß, dass sich ehrgeizige Politiker langweilen. Aber in einen Landesverband zu wechseln, das könnte - zumal in der vor eigener Bedeutung vibrierenden Bundeshauptstadt - als Rückschritt in die Provinz gedeutet werden. 

Wieder keine Generalsekretärin

Zweitens hatten fast alle Beobachter innerhalb und außerhalb der NRW-CDU fest damit gerechnet, dass es dieses Mal eine Generalsekretärin geben würde. Die CDU-geführte Staatskanzlei am Rheinufer ist schon fest in männlicher Hand, alle führenden Posten sind mit ambitionierten Christdemokraten besetzt. An der Spitze der Landtagsfraktion sieht es nicht anders aus. Nun auch die CDU-Zentrale in der Wasserstraße, nur wenige hundert Meter vom Regierungssitz entfernt.

Mit Ziemiak und einem künftigen Landesgeschäftsführer ist auch hier von Frauen keine Spur. Versuche, eine geeignete Politikerin zu finden, sind offenbar erfolglos geblieben. CDU-Ministerinnen gibt es im schwarz-grünen Landeskabinett, es ist sogar paritätisch besetzt. Aber in der Partei sieht es anders aus. Wenn Ziemiak in seinen ersten Interviews erklärt, er wolle die CDU im Westen "jünger, weiblicher und vielfältiger" machen, hat er dazu also allen Grund.

Botschaft an die Adresse von Merz

Drittens, und das ist der vielleicht der spannendste Punkt, ist die Symbolkraft des Wechsels von BVB-Anhänger Ziemiak ungefähr so aufsehenerregend wie der Transfer eines Spitzenstürmers zum Erzrivalen. Denn seither wird über die Frage spekuliert, welche Botschaft damit an die Adresse von Unionsfraktionschef Merz gesendet wird. Wüst, seit gut einem Jahr Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, gilt als Führungsreserve für die Union, sollte es mit dem Sauerländer Merz nicht rund laufen.

Mit präsidialem Regierungsstil gibt Wüst sich gerade erkennbar Mühe, über den Niederungen der Tagespolitik zu schweben und vor allem in den sozialen Medien bella figura zu machen. Doch eine Debatte, wann er wohl nach der Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl greift, ist für ihn vermintes Terrain.

Von Düsseldorf nach Berlin?

Hannelore Kraft, Norbert Röttgen, Armin Laschet - aus unterschiedlichen Gründen haben sich Landespolitiker aus dem Westen im Umgang mit Berlin immer wieder verheddert. Kanzlerkandidaturen kategorisch auszuschließen, wie es die SPD-Politikerin Kraft tat ("Nie, nie"), war verheerend für ihr politisches Schicksal.

Sich nicht klar zwischen Land und Bund zu entscheiden, wie es der damalige Bundesumweltminister Röttgen als CDU-Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten tat, war ebenfalls ein Fehler. Und es auf Biegen und Brechen in der Bundespolitik zu etwas bringen zu wollen, kostete CDU-Ministerpräsident Laschet am Ende den Job in Düsseldorf. Lediglich CDU-Politiker Jürgen Rüttgers vermochte es zwischen 2005 und 2010, mit gezielten Nadelstichen Kanzlerin und Parteifreundin Merkel von Düsseldorf aus zu piesacken.

Wüst, der unter Rüttgers selbst Generalsekretär der NRW-CDU war, ist also vorgewarnt und weiß, dass die Debatte zur Unzeit eine echte Belastungsprobe sein kann. Deshalb ist es so bemerkenswert, dass er sich trotzdem für Ziemiak entschied und damit genau die Debatte befeuert, die er eigentlich vermeiden muss.

Moderner Konservativer

Aber Ziemiak, geboren in Polen, aufgewachsen im Sauerland, ist einer, der gut in das Lager von Wüst passt. Ziemiak gilt als moderner Konservativer. Familie und Kirche sind für ihn wichtige Institutionen, als Einwandererkind zeigt er sich auch offen für die Belange einer modernen Migrations- und Integrationspolitik.

Ziemiak, der wie Fraktionschef Thorsten Schick aus Iserlohn kommt, kennt die NRW-CDU. Mit dem Chef der Staatskanzlei, Bundes- und Medienminister Nathanael Liminski, ist er privat befreundet. Er ist auch Patenonkel eines der Kinder. Der Eindruck, dass in Düsseldorf gerade ein veritables Netzwerk aus ambitionierten Strippenziehern entsteht, die mehr verbindet als nur die Landespolitik, ist schwer von der Hand zu weisen.

Organisator und Brückenkopf

Was aus Wüsts Sicht für Ziemiak spricht, ist seine Erfahrung. Als Annegret Kramp-Karrenbauer ihn Ende 2018 zum jüngsten Generalsekretär der CDU machte, war nicht klar, ob auf dieser Personalentscheidung ein Segen liegen würde. Prompt ging Ziemiaks erste größere Bewährungsprobe in die Hose, als er die Attacken des YouTubers Rezo ("Die Zerstörung der CDU") abwehren musste. Ein wenig ruhmreicher Moment.

Aber Ziemiak lernte schnell. In der Pandemie organisierte er digitale Parteitage und Wahlen, was sein Ansehen in der Partei über Nacht in die Höhe schnellen ließ. Die Kampagne zur Bundestagswahl 2021 gilt allerdings auch in den eigenen Reihen als ziemlicher Flop. Ziemiak, vier Jahre selbst Chef der Jungen Union, musste sich dafür etwa auf deren Deutschlandtag lautstark beschimpfen lassen. Trotzdem eilt ihm nun der Ruf voraus, ein Macher zu sein, der aus seinen Fehlern gelernt hat und weiterhin in Berlin sehr gut vernetzt ist.

"Immer ein Ohr in Berlin"

Strategisch könnte es das Kalkül von Wüsts Macht am Rhein sein, mit Ziemiak in Düsseldorf einen zupackenden Organisator und in Berlin einen Brückenkopf zu haben. Aus Parteikreisen heißt es, es sei wichtig, "immer ein Ohr der Landespolitik in Berlin zu haben".

Dass in Berliner Unionskreisen auch mal schlecht über die CDU in Nordrhein-Westfalen und ihren Ministerpräsidenten geredet wird, weiß man. Das hat Tradition. Man würde es aber zumindest gern mitbekommen.   

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