Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel
Analyse

Kompromissfindung in der EU Wie sicher ist das Aus vom Verbrenner-Aus?

Stand: 24.03.2023 18:53 Uhr

Eine Einigung im Streit über das Verbrenner-Aus ist in Sicht. Doch hundertprozentig verbindlich dürfte sie nicht werden. Und das deutsche Vorgehen könnte langfristig die Spielregeln der Kompromissfindung in der EU beschädigen.

Eine Analyse von Christian Feld, ARD Berlin

Die Rue de la Loi ist eine der zentralen Verkehrsachsen von Brüssel. Auf der einen Straßenseite liegt das Hauptgebäude der EU-Kommission, auf der anderen Seite tagen - so wie gestern und heute beim Gipfel - die Mitgliedsstaaten. Zu den Stoßzeiten geht es hier nur sehr langsam voran.

Mit ähnlichem Tempo scheint in diesen Tagen eine mögliche Einigung im Streit über das Verbrenner-Aus näher zu rücken. Im ARD-Mittagsmagazin sagt Verkehrsminister Volker Wissing: "Es sieht nun gut aus." Bei Twitter hatte der FDP-Politiker am Morgen geschrieben: "Unser Vorschlag an die EU-Kommission ist das Aus für das Verbrenner-Aus."

Doch es bleibt so lange ein Vorschlag, bis die Bundesregierung und die EU-Kommission final grünes Licht geben. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte zum Abschluss des EU-Gipfels auf die Frage nach einer Einigung: "Das wird schon passieren, und zwar ziemlich zügig."

Fahrzeug-Kategorie "E-Fuels only"

Die Konfliktfrage: Die FDP pocht darauf, dass auch nach 2035 noch Verbrenner-Pkw neu zugelassen werden dürfen, wenn sie denn ausschließlich mit E-Fuels CO2-neutral betankt werden. Verkehrsminister Wissing hatte kürzlich einer längst ausverhandelten Neuregelung der Pkw-Grenzwerte die finale Zustimmung verweigert, weil die EU-Kommission auch nach Monaten noch keinen konkreten Vorschlag für die E-Fuels-Ausnahme gemacht habe. In Berlin und bei der EU-Kommission gehen allerdings die Sichtweisen auseinander, wie verbindlich dieser Prüfauftrag eigentlich war. Der Bundesregierung folgten im vorläufigen Nein weitere Mitgliedsstaaten - unter anderem Italien, Polen, Tschechien und Österreich.

In der Praxis könnte es darauf hinauslaufen, dass eine neue Fahrzeug-Kategorie "E-Fuels only" - also reine E-Fuels-Verbrenner - geschaffen wird. Die Hersteller müssten technisch sicherstellen, dass ein solches Fahrzeug nicht gestartet werden kann, wenn nach 2035 doch Benzin oder Diesel getankt wurde. Dieser Schritt allein reicht jedoch nicht. Es muss rechtlich auch geregelt werden, wie diese Fahrzeuge zu den CO2-Reduktionszielen beitragen können, wie sie vom geplanten Verbrenner-Aus ausgenommen werden.

Die Feinheiten der EU-Gesetzgebung

Immer wieder waren zuletzt Vorschläge zwischen dem Berliner Verkehrsministerium und der EU-Kommission ausgetauscht worden. Die FDP will die Ausnahme für E-Fuels möglichst rechtsverbindlich bekommen. Offenbar hat sich in Berlin ein großes Misstrauen gegenüber der Brüsseler Behörde aufgebaut. Donnerstagabend ging ein neuer Text aus Berlin nach Brüssel. Eine Reaktion gibt es bereits, bekannt ist darüber allerdings nichts. Das Verkehrsministerium prüft. Wissing sagt am frühen Nachmittag, die Antwort auf die jüngsten Vorschläge stimme ihn optimistisch. Geklärt werden müssten jetzt noch "letzte juristische Fragen".

Dazu könnte zählen, wie die gewünschte Ausnahme juristisch genau erreicht werden soll. Und hier geht es in die Feinheiten der EU-Gesetzgebung. Das Verkehrsministerium will, dass die Kommission "vor Herbst 2023" einen sogenannten Delegierten Rechtsakt vorschlägt. Das ist ein juristischer Text, der eine Regelung ändert oder ergänzt. Der eigentliche Text zum Verbrenner-Verbot müsste dann nicht neu aufgeschnürt werden.

"Sehr, sehr schwieriges Zeichen für die Zukunft"

Allerdings haben EU-Parlament und Mitgliedsstaaten die Chance, dem Rechtsakt am Ende zu widersprechen. Im Parlament müsste sich eine Mehrheit der Abgeordneten dagegen aussprechen. Schon jetzt gibt es dort Bedenken, dass die Kommission zu diesem Zweck überhaupt einen Delegierten Rechtsakt erlassen darf. Eine Rechtsverbindlichkeit von 100 Prozent kann die EU-Kommission der Bundesregierung folglich wohl nicht geben.

Alle Beteiligten dürften hoffen, dass das Ende des Verbrenner-Streits bald kommt. Beim EU-Gipfel hatte sich gezeigt: Die Bundesregierung hat Mitstreiter für die "Technologie-Offenheit". Es war jedoch auch offene Kritik zu hören: Das deutsche Vorgehen könne die Spielregeln der Kompromissfindung in der EU beschädigen. Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins sprach von einem "sehr, sehr schwierigen Zeichen für die Zukunft".