Jürgen Trittin im Bundestag

Trittin verlässt den Bundestag Abschied von DJ Dosenpfand

Stand: 29.12.2023 10:08 Uhr

Nach 25 Jahren verabschiedet sich Jürgen Trittin aus dem Bundestag. Bei seiner letzten Rede bekam er viel Beifall. Dabei war der Grünen-Politiker oft streitbar und umstritten - nicht nur wegen des Dosenpfands.

Von Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Ob es Übernächtigung war, ein garstiges Staubkorn oder Robert Habecks Augen tatsächlich vor Rührung etwas feucht wirkten - Mitte Dezember im Bundestag sah der grüne Vizekanzler sichtlich ergriffen aus, als Jürgen Trittin seine letzte parlamentarische Rede hielt. Dabei hatte Trittin ihm und den anderen Regierungsmitgliedern vor wenigen Wochen noch "Schummelei" unterstellt. Kurz nach dem für die Ampel verheerenden Bundesverfassungsgerichtsurteil Mitte November polterte Trittin weiter, dass auch er gegen diesen Haushalt geklagt hätte, wenn er in der Opposition gewesen wäre. Ein typischer Trittin.

In seinen 25 Jahren im Bundestag ist er häufiger angeeckt. "Jürgen hat sich mit einer gewissen Hartnäckigkeit den Ruf eines links-grünen Raufbolds erarbeitet, während er persönlich ein höflicher und angenehmer Zeitgenosse ist", sagt Weggefährte Reinhard Bütikofer zu tagesschau.de. Doch hat er nach außen vor allem das besagte Raufbold-Image gepflegt.

"Pentagramm des Grauens"

Trittin stammt aus Bremen und stand in seinen Grünen-Beginner-Jahren weit im linken Spektrum. Mitte der 90er-Jahre begann dann sein Aufstieg in der Ökopartei. Er zog 1998 in den Bundestag ein. Im selben Jahr erschreckte er noch das deutsche Autofahrervolk mit dem Vorschlag, den Preis für Benzin zu erhöhen. "Trittin unser Ruin", riefen Brummi-Fahrer.

Trotzdem schafften die Grünen es in die erste rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Dort wurde Trittin zum ersten grünen Bundesumweltminister.

Er blieb links und streitbar. Im Laufe einer Diskussion Anfang der Nullerjahre über einen neu aufkommenden Patriotismus in Deutschland verglich Trittin den damaligen glatzköpfigen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer mit einem Skinhead.

Ebenso wenig zimperlich agierte Trittin auch innerhalb der eigenen Partei - zu einer Zeit, als Realos und Linke sich noch leidenschaftlich bekämpften. "Es wurde permanent in der Führungsriege gestritten", beschreibt es Bütikofer heute. Aber dies sei kein Ausdruck politischen Versagens gewesen, im Gegenteil: "Diese Auseinandersetzungen waren ein Kernbestand der politischen Willensbildung", so Bütikofer. Die fünfköpfige Führungsspitze, zu der neben Trittin und Bütikofer auch Fritz Kuhn, Renate Künast und Claudia Roth gehörten, galt dennoch intern als "Pentagramm des Grauens".

Atomausstieg und DJ Dosenpfand

Einer von Jürgen Trittins größten politischen Erfolgen nach außen dürfte der noch von ihm maßgeblich eingeleitete Atomausstieg gewesen sein. Aber auch die Einführung des Dosenpfands 2001, gegen das sich der Einzelhandel mit sämtlichen juristischen Mitteln zu wehren versuchte, ist mit seinem Namen fest verbunden. So fest, dass er einige Zeit als DJ Dosenpfand auftrat. Im Repertoire damals: Franz Ferdinand und Depeche Mode.

Auch das passe zu ihm: Feiern und gutes Essen, sagt Renate Künast zu tagesschau.de. "Jürgen Trittin ist ein Genussmensch - das musste ich sagen, bevor man ihn für streng hält", nimmt Künast Trittin in Schutz.

Kantig bis zum Schluss

Sein politisches Wirken war zuletzt die Außenpolitik. "Trittin war einer der wenigen, die Nord Stream II vor dem Angriffskrieg auch etwas Positives abgewinnen konnten", so Bütikofer. Und noch in diesem Sommer blitzte Trittins linkes Herz im Bundestag noch einmal deutlicher auf, als er anlässlich des 75. Gründungstags Israels in seiner Rede die Nakba, also die palästinensische Vertreibung, und die Verantwortung Deutschlands auch dafür ansprach. "Ohne den präzedenzlosen Holocaust hätte es auch die Nakba nicht gegeben." Der Begriff "Nakba" taucht in der gesamten Parlamentsdokumentation weniger als fünf Mal auf.

Bei einigen - vor allem jüngeren Parteikollegen - sorgte das für ein genervtes Augenrollen. Am liebsten scheinen sie sich bei diesem Thema nicht aus dem Fenster lehnen zu wollen.

2024 ist Schluss

Auch Trittin wird das demnächst nicht mehr tun. 2024 ist endgültig Schluss. Ihr werde er fehlen, sagt Renate Künast. Auch Claudia Roth nennt Jürgen Trittin gegenüber tagesschau.de "ihren Freund" und sagt: "Mit ihm geht einer der wichtigsten linken Stimmen der Fraktion". Sie werde ihn vermissen. Ob das für die gesamte Partei gilt? Einige hielten ihn für arrogant, auch der Presse gegenüber.

Seine freie Zeit wolle er nun mit mehr Musik füllen, sagte er in einem Interview mit dem "Spiegel". The Clash und Talking Heads stünden heute ganz oben auf seiner Playlist.

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