Olaf Scholz
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"Taurus"-Debatte Warum Scholz erneut wie ein Getriebener wirkt

Stand: 11.08.2023 19:32 Uhr

Kiew fordert, Berlin zögert und dann wird doch geliefert: So lief es zuletzt immer mit deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch die "Taurus"-Debatte verläuft in diese Richtung. Scholz wirkt dabei wie ein Getriebener.

Eine Analyse von Alexander Budweg, ARD Berlin

Noch hüllt sich das Kanzleramt in Schweigen. "Zum Marschflugkörper Taurus gibt es keinen neuen Sachstand mitzuteilen", sagt eine Regierungssprecherin. Dabei zeichnet sich längst ein Muster in der Unterstützung der Ukraine mit militärischem Gerät ab: Kiew fordert, Berlin zögert und am Ende wird dann doch geliefert. So war es beim Schützenpanzer "Marder", beim Raketenwerfer "Mars" und zuletzt beim Kampfpanzer "Leopard". Und auch beim "Taurus" läuft es wohl darauf hinaus. Oder aber es gelingt der Bundesregierung, ein überzeugendes Angebot mit anderen militärischen Optionen zu unterbreiten.

Eskalation des Konflikts

Bundeskanzler Olaf Scholz wirkt dabei stets wie ein Getriebener. Zu groß scheint seine Sorge vor einer möglichen Eskalation des Konfliktes zu sein. Schließlich haben die "Taurus"-Marschflugkörper eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Die Ukraine könnte damit also auch Ziele weit im Landesinnern Russlands angreifen.

Dass der Kanzler genau das aber verhindern will, darauf deuten Gespräche hin, die es nach "Spiegel"-Informationen zwischen der Bundesregierung und dem "Taurus"-Hersteller geben soll. Demnach will Scholz die Lieferung der Marschflugkörper erst freigeben, wenn Angriffe auf russisches Territorium mittels technischer Modifikationen definitiv ausgeschlossen werden können.

Bedenken auch im Verteidigungsministerium

Es sind Bedenken, die auch im Verteidigungsministerium geteilt werden. Auch dort scheint die Sorge groß zu sein, dass die Ukraine mit den Marschflugkörpern Ziele im russischen Hinterland angreifen könnte. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sich eher zurückhaltend bis ablehnend zu "Taurus"-Lieferungen geäußert. "Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass das jetzt gerade nicht unsere vorrangigste Priorität hat", hatte er zuletzt dazu gesagt.

Eine Modifikation von "Taurus" ist laut Hersteller zwar möglich, kostet allerdings auch Zeit. Zudem gibt es stichhaltige Argumente, die gegen eine solche Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten der Marschflugkörper sprechen. So wird der Angriff auf die Ukraine nicht nur von russischem Staatsgebiet aus koordiniert, sondern auch organisiert. Hier befinden sich neben Kommandozentren auch Treibstoff- und Waffenlager für die Versorgung der russischen Truppen. Diese Nachschublinien abzuschneiden, könnte die ukrainische Gegenoffensive entscheidend voranbringen. Zudem erlaubt selbst das Völkerrecht, dass die Ukraine als angegriffenes Land auch militärische Ziele in Russland ins Visier nimmt.

Die Ukrainer dürften technischen Veränderungen am "Taurus" als Misstrauen ihnen gegenüber empfinden. Zwar betont Scholz immer wieder Deutschlands Solidarität. Doch mit zunehmender Kriegsdauer und einer sich festigenden Front fürchten nicht wenige Ukrainer auch ein Nachlassen bei der militärischen Unterstützung durch den Westen. Sorgen, die vor allem Russlands Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielen.

"Taurus"-Lieferung wäre kein Alleingang

Das Zögern von Olaf Scholz beim "Taurus" erinnert auch deshalb an vergangene Debatten, weil einmal mehr das Argument im Raum steht, dass es keine deutschen Alleingänge geben dürfe. Wie bei der Lieferung von Kampfpanzern ist Großbritannien vorangegangen. Das Land hat ebenso wie Frankreich mit dem "Storm Shadow" beziehungsweise "Scalp" bereits ein vergleichbares Waffensystem an die Ukraine geliefert.

Die USA, von denen Scholz schon seine Entscheidung beim "Leopard" abhängig gemacht hat, wollen der Ukraine bislang keine Marschflugkörper liefern. Möglicherweise teilt Washington die Bedenken Berlins. Allerdings steht US-Präsident Joe Biden auch vor einem schwierigen Wahlkampf, in dem die Republikaner schon jetzt wieder auf die "America First"-Karte setzen. Zudem machen auch Politiker der US-Demokraten immer wieder deutlich, dass sie mehr Eigenständigkeit von den Europäern erwarten.

Einsatz in der Ukraine möglich

Technische Fragen, ob die "Taurus"-Marschflugkörper sich überhaupt mit den ukrainischen Kampfflugzeugen vom Typ "Suchoi" abschießen lassen, sind unterdessen längst beantwortet. Die britisch-französische Variante hatten die Ukrainer innerhalb weniger Wochen einsatzfähig. Zudem wirbt der "Taurus"-Hersteller selbst damit, dass für sein System von einer Reihe verschiedener Flugzeugtypen aus eingesetzt werden kann.

Somit scheint kaum noch etwas gegen eine Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine zu sprechen. Während sich neben Grünen und FDP mittlerweile auch Abgeordnete aus der Kanzlerpartei SPD dafür aussprechen, zögert Scholz aber noch. Und auch aus dem Haus von Verteidigungsminister Pistorius heißt es am Freitag nur kurz und knapp: "Eine politische Entscheidung zur Abgabe wurde nicht getroffen."