Ein Plakat hängt über dem Eingang des Finanzministeriums

Bundeshaushalt Wie die Schuldenbremse reformiert werden könnte

Stand: 10.04.2024 17:25 Uhr

SPD und Grüne wollen die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse reformieren. Auch Wirtschaftsforschungsinstitute empfehlen "behutsame Anpassungen". Welche Vorschläge werden diskutiert?

Von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

Aus Sicht von Finanzminister Christian Lindner ist die Sache klar: Für den FDP-Politiker gibt es an der Schuldenbremse nichts zu rütteln. Die stehe schließlich im Grundgesetz.

"Es ist ein Gebot der Verfassung", so Lindner kürzlich im ARD-Morgenmagazin. "Man kann nicht Gebote der Verfassung aus- und einschalten wie einen Lichtschalter."

Leichte Abweichungen sind möglich

Im Jahr 2009 haben Bundestag und Bundesrat die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Angesichts der damaligen globalen Finanzkrise sollten neue, strenge Regeln her für die Kreditaufnahme des Staates, um eine dauerhaft nachhaltige Finanzpolitik sicherzustellen.

Die Bundesländer dürfen daher gar keine Schulden mehr machen, der Bund hat eine Grenze von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Leichte konjunkturbedingte Abweichungen nach oben, aber auch nach unten sind dabei möglich - die sogenannte Konjunkturkomponente.

Die Regeln seien zu strikt, beklagen Kritiker der Schuldenbremse. Und innerhalb der Ampelkoalition fordern Politiker von SPD und Grünen immer wieder, die Schuldenbremse zu reformieren, damit der Staat zusätzliche Kredite aufnehmen kann - sei es für den Klimaschutz oder auch Schulen und Kitas.

Einige Institutionen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bis zur Bundesbank haben sich zuletzt ebenfalls mit der Frage befasst, inwieweit die Schuldenbremse reformiert werden könnte und sollte. Eine Reihe von Reformvorschlägen wird diskutiert.

Defizitgrenze erhöhen

Der Internationale Währungsfonds und auch der Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, schlagen vor, mehr Spielraum für neue Schulden zu ermöglichen. Statt 0,35 Prozent könnte der Bund jährlich bis zu 1 Prozent des BIP an neuen Krediten aufnehmen. Damit ließe sich die Gesamtverschuldung des Staates langfristig immer noch im Rahmen halten, so das Argument.

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, bewertet es positiv, "wenn man zukunftsorientierte Investitionen machen möchte, von denen auch die nächste Generation etwas hat". Das sei etwas, wofür es sich lohne, Schulden zu machen.

Kritiker bemängeln, dass die sogenannten Wirtschaftsweisen um Schnitzer den Kredit-Spielraum generell erweitern wollen. Der Staat könnte also auch Schulden machen, um Lücken im Sozialetat zu stopfen. Das sei nicht nachhaltig.

Sonderregeln nur für Investitionen

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium empfiehlt, bestimmte Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen - etwa um Geld in den Klimaschutz zu stecken. Der Vorschlag erinnert an die sogenannte "Goldene Regel", die vor der Einführung der Schuldenbremse galt. Damals durfte der Staat so viel Kredite aufnehmen, wie er an Geld investierte.

Allerdings führte dies dazu, dass Finanzminister in Geldnöten immer mehr Ausgaben als Investitionen deklarierten. Denn die Definition des Begriffs "Investition" ist durchaus dehnbar. Die Reparatur eines Schulgebäudes würden viele Bildungspolitiker als Investition begreifen, Ökonomen dagegen eher nicht. Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt deshalb, dass eine unabhängige Institution kontrollieren müsse, wann genau eine Ausgabe als Investition zu werten ist.

Übergangsregeln nach Aussetzen der Schuldenbremse

In den Jahren 2020 bis 2023 wurde die Schuldenbremse ausgesetzt, um anfangs auf die Notlage der Pandemie und später auf die Folgen des russischen Krieges in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise reagieren zu können. Dies war nach dem Regelwerk der Schuldenbremse für "außergewöhnliche Notsituationen" zulässig. Das sieht allerdings auch vor, dass nach Ende der Notlage die strengen Vorgaben wieder unverzüglich greifen.

In ihrem Frühjahrsgutachten haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute daher den Vorschlag aufgegriffen, Übergangsregeln nach einer Notlage zu verankern. "Der Gedanke ist, dass makroökonomische Schocks mehrere Jahre nachwirken", so der Direktor am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths. Es sei daher sinnvoll, nach einem Schock stufenweise zur 0,35 Prozent-Vorgabe zurückzukehren.

Die Institute betonen aber auch, dass maßvolle Modifikationen der Schuldenbremse zwar sinnvoll erscheinen, "das Wohl und Wehe des Standortes Deutschland aber nicht davon abhängen". Insgesamt habe die Schuldenbremse die Staatsfinanzen stabilisiert - besser als die "Goldene Regel" in der Zeit vor der Schuldenbremse, so Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Konjunktur stärker berücksichtigen

Die Schuldenbremse sieht eine sogenannte Konjunkturkomponente vor. In schlechten Zeiten darf der Staat etwas mehr als 0,35 Prozent des BIP an Krediten aufnehmen, in guten Zeiten mit etwas weniger. Das macht allerdings jeweils nur einige Milliarden Euro pro Jahr aus.

Die Bundesbank hat einen Vorschlag entwickelt, der diesen Rahmen im Regelfall etwas erweitern würde - vor allem abhängig vom Steueraufkommen. Der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner verweist allerdings darauf, dass damit auf lange Sicht keine neuen Spielräume geschaffen werden: "Alles, was man als zusätzlichen Spielraum in einer schlechten konjunkturellen Situation herausholen würde, müsste man damit bezahlen, dass man geringere Spielräume hat in den Zeiten der guten wirtschaftlichen Lage. Insofern ist nicht ganz klar, was damit gewonnen wird."

Allerdings hat die Bundesregierung einigen Spielraum, wenn sie an die Berechnung der Konjunkturkomponente rangehen möchte. Eine Änderung des Grundgesetzes wäre dafür nicht notwendig.

Bereits im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel darauf verständigt, die Konjunkturkomponente zu überprüfen, ohne dabei die Schuldenbremse im Grundsatz zu ändern. Finanzminister Lindner hatte sich im Dezember noch einmal offen dafür gezeigt. Verändert wurde die Berechnungsgrundlage für die Konjunkturkomponente bislang allerdings nicht.

Für die anderen Reformvorschläge bräuchte es dagegen eine Änderung des Grundgesetzes - und damit eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Die ist allerdings bis zur nächsten Bundestagswahl sehr unwahrscheinlich. Denn die Union ist dafür derzeit nicht zu haben - und die FDP sowieso nicht.

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