Christian Lindner
analyse

Steuerschätzung Der Finanzminister und sein Erwartungsmanagement

Stand: 16.05.2024 19:00 Uhr

Geld falle nicht einfach so vom Himmel, sagt Finanzminister Lindner zur Steuerschätzung. Das Ergebnis bestätigt die Haltung des FDP-Politikers: Es gibt wenig finanzielle Spielräume für den neuen Bundeshaushalt.

Eine Analyse von Jan-Peter Bartels, ARD-Hauptstadtstudio

Die Miene ernst, die Worte deutlich: "Klar ist, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen", sagte der Finanzminister mit Blick auf die Steuereinnahmen. Vor drei Jahren. Ähnlich vor fünf Jahren. Der Mann auf dem Podium im Finanzministerium, der das Geld zusammenhalten wollte, war damals Olaf Scholz. Der Kanzler kennt die Situation, in der Christian Lindner heute steckt.

Auch Lindner kann Erwartungsmanagement: "Das Ergebnis der Steuerschätzung zerstört also die Illusion all derjenigen, die vielleicht vermutet haben, dass das Geld einfach so vom Himmel fällt", sagte der FDP-Politiker heute. Man könne nur mit dem haushalten, was da sei. Und dazu legte er die neuen Zahlen der Steuerschätzer für den Haushalt 2025 vor: Demnach muss der Bund mit rund elf Milliarden Euro weniger auskommen als bisher gedacht.

Mantraartig habe er das bisher gesagt, nun liege es schwarz auf weiß vor: "Neue finanzielle Spielräume gibt es absehbar nicht." Einige seiner Kabinettskollegen dürften sich dabei angesprochen gefühlt haben. Gleich mehrere Ressorts hatten weit höheren Bedarf angemeldet als von Lindner vorgesehen.

Die Verteidigungslinien sind gezogen

Entwicklungsministerin Svenja Schulze beispielsweise hat zwei Milliarden mehr angemeldet. Im Entwicklungsbereich sei schon stark gekürzt worden, sagte die SPD-Politikerin am Wochenende in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin und verwies darauf, dass Entwicklungsarbeit auch sicherheitspolitisch wichtig sei: "Wir können uns aus dieser Verantwortung nicht zurückziehen, wenn uns die Sicherheit in Deutschland wichtig ist."

Mit der nationalen Sicherheit argumentiert auch Innenministerin Nancy Faeser, die mit weniger Geld auskommen soll als bisher. Und Verteidigungsminister Boris Pistorius, der gern etwa zehn Prozent mehr hätte. Die Verteidigungslinien sind also gezogen, der hohe Einsatz betont.

Das Argument Sicherheitspolitik weiß Lindner allerdings inzwischen zu kontern. "Fiskalische Resilienz ist auch eine Kategorie der Sicherheitspolitik: Wer über Reserven verfügt für den Fall einer Krise, der hat gut vorgesorgt", sagte der Finanzminister.

Irgendjemand muss verzichten

Mit Pistorius habe er heute gesprochen, so Lindner. Die zusätzlichen Ausgaben aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine könnten aber kein Grund sein, beispielsweise die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse in Anspruch zu nehmen. Lindner bleibt dabei: Das Geld muss reichen, auch wenn es nun weniger ist. Es soll aber anders verteilt werden. 

Irgendjemand muss also verzichten - und das kurz vor einem Wahljahr. Das wird die Verhandlungen über den Haushalt 2025 nicht leichter machen, sondern den Konflikt eher zuspitzen. Und damit fing Lindner heute auch an. "Bestimmte Einzelpläne akzeptieren wir gar nicht als Gesprächsgrundlage." Er könne deswegen gar nicht sagen, wie viel Geld nun wirklich im Haushalt fehle. Die angemeldeten Pläne seien zu hoch, wichen von den bisherigen Vereinbarungen ab, deswegen rechne er gar nicht damit.

Keine Erleichterung im Haushaltskonflikt

Wo die Reise aus Lindners Sicht hingehen soll, deutete er bereits an: Beim Bürgergeld werde es 2025 seiner Einschätzung nach eine Nullrunde geben und die sozialen Ausgaben dürften nicht ausgedehnt werden. Eine Position, die vielen gerade in der Kanzlerpartei SPD nicht schmecken wird. Scholz selbst hatte vor einigen Tagen gesagt, die Limits seien mit ihm abgesprochen gewesen, man müsse das nun gemeinsam hinkriegen. Zu Details und seinen Sparvorlieben hatte er sich aber bisher ausgeschwiegen.

Die Zahlen der Steuerschätzer bringen also im Haushaltskonflikt keine Erleichterung, sondern eine neue Belastungsprobe. Die könnte bis zum 3. Juli dauern, dann soll das Kabinett den Haushalt verabschieden. Am Ende wird wohl die Dreier-Runde aus Kanzler Scholz und den Vizekanzlern Robert Habeck und Lindner die strittigen Punkte entscheiden müssen.

Zumindest Scholz kann die Rolle von Lindner bestimmt gut nachvollziehen, setzte er doch vor rund fünf Jahren das gleiche Ziel wie Lindner heute, fast wortgleich. Nämlich: "Dass man seriös und sorgfältig mit dem Geld der Steuerzahler umgehen soll."