Die Linke-Co-Chefs Martin Schirdewan und Janine Wissler
analyse

Die Linkspartei In doppelter Gefahr

Stand: 14.07.2023 12:06 Uhr

Eine starke AfD im Osten und eine mögliche Wagenknecht-Partei: Die Linke kämpft an gleich zwei Fronten ums politische Überleben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Zumindest auf den ersten AfD-Landrat und -Bürgermeister haben die Führungskräfte der Linken schnell eine Antwort gefunden. In Deutschland sei "europäische Normalität" eingekehrt, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Die beiden Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler schrieben in einem internen Papier von einer "bundes- und europaweiten Herausforderung", die insgesamt nicht mehr "lokales Problem bestimmter Regionen" sei.

Das ist nicht komplett falsch und klingt praktischerweise auch nicht nach "Wählerbeschimpfung". Sonneberg ist demnach ein bisschen wie Italien, Raguhn-Jeßnitz wie Schweden. Schirdewan und Wissler reagieren darauf laut "Redaktionsnetzwerk Deutschland" mit Rufen nach mehr Geld für Demokratieprojekte und Soziales.

Die AfD ist eine Gefahr für die Linkspartei. Nennenswerte Wählerwanderungen gab es zuletzt zwar nicht mehr, aber die Chancen für Ramelow auf eine weitere Amtszeit als Regierungschef nach der Wahl im nächsten Jahr sind schlecht wie lange nicht.

Und im Kommunalen bedroht die AfD ein zartes Pflänzchen linker Hoffnung im Osten: Die Linke kann noch Wahlen gewinnen. Sie holte zuletzt die Rathäuser der Städte Rostock, Köthen (Sachsen-Anhalt) und Reichenbach im Vogtland. Mit der AfD wächst aber die Konkurrenz. Von der aufgeheizten Stimmung ganz zu schweigen.

Großes Wählerpotenzial für Wagenknecht-Partei

Eine zweite Bedrohung verlangt ebenfalls nach Antworten. Seit Monaten kokettiert mit Sahra Wagenknecht ausgerechnet die populärste Genossin mit der Gründung einer neuen Partei. Mit der Entscheidung über eine Abspaltung will sich die in Fragen von Populismus, Russland- und Asylpolitik von der Partei entfremdete Wagenknecht bis Jahresende warten. So lange bestimmt diese Debatte weiter das Gespräch über Die Linke.

Umfragen und Studien bescheinigen einer Wagenknecht-Partei ein Wählerpotenzial, das weit größer ist als die vier bis fünf Prozent im ARD-Deutschlandtrend, bei denen ihre Noch-Partei seit zwei Jahren auf der Stelle tritt. In Thüringen könnte eine Wagenknecht-Partei einer Umfrage zufolge sogar stärkste Kraft werden. Mit 25 Prozent läge sie nach einer Insa-Umfrage aktuell im Freistaat vorn, wie die Thüringer Zeitungen der Funke Mediengruppe berichteten. Eine solche Partei würde die von Björn Höcke geführte Thüringer AfD demnach auf den zweiten Platz verweisen.

Drei Gruppen ringen um Zukunft der Partei

Daran hat auch ein Vorstandsbeschluss nichts geändert, der Wagenknecht im Juni zur Rückgabe ihres Mandates aufforderte. Im Gegenteil: Teile der Bundestagsfraktion zählen nun den Parteivorstand an. Vor der Sommerpause bleiben die Fronten hart.

Drei Gruppen gibt es. Da sind diejenigen, die Wagenknecht loswerden wollen, weil sie autoritäre Positionen vertrete und auf dem Rücken der Partei eine Neugründung betreibe. Ihnen gegenüber steht das Wagenknecht-Lager, das die Schuld für das Zerwürfnis in erster Linie beim Parteivorstand sieht, so wie es das bei der NATO im Ukraine-Krieg tut.

Dazwischen steht der Teil, der das Auftreten und die Positionen der umstrittenen Genossin eher ablehnt, sie aber dennoch halten will.

Reden, reden, reden

Am Donnerstagabend trafen sich die Wagenknecht-Anhänger und Letztere in Berlin. Man diskutierte unter dem Titel "Ist Die Linke noch zu retten?". Die Idee hatte die Vorsitzende der links-orthodoxen Kommunistischen Plattform, Ellen Brombacher. Die Veranstaltung fand jedoch im Namen der Bundestagsfraktion statt. Und das, obwohl Wagenknechts Gegnerinnen als Dritte außen vor blieben.

Mit Brombacher saßen Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch und die direkt gewählten Abgeordneten Gesine Lötzsch und Gregor Gysi auf dem Podium. Drei Ost-Schwergewichte, die alle die Partei zusammenhalten wollen. 

Wie das gehen soll? Weiter reden, reden, reden. Miteinander, nicht mit "den Medien", die ohnehin der Partei nach dem Leben trachteten. Bartsch will die Linke hinter dem Kampf gegen die umstrittene Wahlrechtsreform versammeln. Auch die könnte der Linken den Wiedereinzug in den Bundestag verwehren. "Die anderen Parteien wollen uns totmachen", sagte Bartsch.

Eine "Partei der Tausend Dinge"?

Lötzsch will die Stimme gegen Aufrüstung und Auslandseinsatz sein. Gysi mahnte Fokus an. Man dürfe nicht "die Partei der Tausend Dinge" bleiben.

Wie Kompromisse zwischen den einzelnen Lagern aussehen könnten, spielte kaum eine Rolle. Das Kalkül hinter "Immer weiter reden, reden, reden" zeigt ein Gysi-Satz: "Es macht einen großen Unterschied, ob Sahra geht - oder wir sie wegschicken." So werden Haltungsnoten zum Rettungsanker.

Deutliche Zeichen aus Sachsen

Andere gehen weiter. Ende Juni erklärten alle Europa-, Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus Sachsen in einem gemeinsamen Brief, sie würden in jedem Fall in der Linken bleiben. In dem Landesverband sollen bereits Abwerbeversuche durch Wagenknecht-Anhängerinnen laufen.

Für einige überraschend: Auch Sören Pellmann, Ostbeauftragter der Fraktion und in der Vergangenheit bisweilen nah bei Wagenknecht, hatte den Brief unterzeichnet. Der Leipziger sicherte seiner Partei durch das dritte Direktmandat den Einzug in den Bundestag. Pellmann ließ Anfragen zur Situation seiner Partei unbeantwortet.

Lay: Es fehlt einheitliche Ansprache

Laut Mitunterzeichnerin Caren Lay bedurfte es für den Brief keiner großen Gespräche. Sie hätte sich so ein Statement allerdings auch aus anderen Landesverbänden "und vor allem von der Bundestagsfraktion gewünscht", sagt Lay.

Für die Mieten- und Baupolitikerin schreit die aktuelle gesellschaftliche Situation nach linker Politik. Doch es fehle eine einheitliche Ansprache, sagt Lay. Sie macht das am Gebäudeenergiegesetz deutlich. Dieses schade Mieterinnen, Kleineigentümern und Rentnern in Ostdeutschland. Man dürfe aber nicht in einen Chor von CDU, AfD und "Bild"-Zeitung einstimmen. "Wir müssen das GEG von der sozialen Seite her kritisieren, nicht von einer anti-ökologischen."

Was passiert bei einer Abspaltung?

Im Herbst wählt die Bundestagsfraktion einen neuen Vorstand. Mit Co-Chefin Amira Mohamed Ali sind Wagenknechts Unterstützerinnen und Unterstützer auch dort noch vertreten. Und Mitte November trifft sich die Partei zum Parteitag für die Europawahl 2024. Irgendwann, dazwischen oder danach, verkündet Wagenknecht vielleicht ihren Abschied.

Eine Abspaltung schwebe "wie ein Damoklesschwert" über der Linken, sagt Lay. Und sie werde kommen. Wagenknechts Anhängerinnen und Anhänger nähmen längst nicht mehr an internen Diskussionsveranstaltung teil. Der Parteivorstand habe "in letzter Sekunde die Reißleine gezogen".

Lay hat dennoch so was wie Hoffnung. Ja, man werde Wählerstimmen an eine Wagenknecht-Partei verlieren. Aber, so glaubt sie, man werde auch "von SPD, Grünen und Nichtwählern neue Stimmen hinzugewinnen, weil wir für diese Menschen mit Sahra Wagenknecht nicht wählbar waren".

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