Zwei Klimaschutzaktivisten sitzen vor einem Schaufelradbagger am Rand des Braunkohledorfes Lützerath.
FAQ

Räumung hat begonnen Lützerath und der Kampf um Kohle

Stand: 11.01.2023 09:01 Uhr

Das Dorf Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler wird geräumt. Klimaaktivisten sind auf den Barrikaden. Worum geht es in dem Konflikt - und welche Rolle spielen die Grünen?

Die Ausgangslage

Das Dorf Lützerath gehört zur 43.000-Einwohner-Stadt Erkelenz im Westen von Nordrhein-Westfalen. Es besteht nur noch aus wenigen Häusern. Die ursprünglichen Bewohner haben ihren Besitz verkauft und leben längst woanders. Die Umsiedlung begann bereits 2006. Der Ort gehört dem Energieunternehmen RWE. 2020 starteten die Rodungs- und Abrissarbeiten. Der Konzern will das Gebiet am Braunkohletagebau Garzweiler räumen, um die Kohle darunter abzubaggern. Seit etwa zwei Jahren haben Klimaaktivisten den Ort besetzt und wollen die Räumung verhindern. Mittlerweile liegt Lützerath direkt an der Abbruchkante des riesigen Lochs, das der Tagebau in die Landschaft gräbt.

Der Konflikt ist inzwischen symbolisch aufgeladen und wird zum Teil emotional geführt. Auch politisch ist er brisant, weil ausgerechnet grüne Minister in Bund und Land die Vereinbarung mit RWE ausgehandelt haben. Nun steht die Räumung unmittelbar bevor.

Was haben Politik und RWE vereinbart?

RWE fördert im rheinischen Revier westlich von Köln Braunkohle. Noch. Denn der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Vereinbart war eigentlich ein Ausstieg bis 2038. Im Oktober vergangenen Jahres einigte sich der Essener Energiekonzern mit den von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen auf ein Ende der Braunkohleverstromung schon bis 2030. Die Vereinbarung sieht außerdem vor, die noch zur Verstromung verfügbare Braunkohlemenge im Tagebau Garzweiler II auf rund 280 Millionen Tonnen zu halbieren. Fünf bislang von Umsiedlung bedrohte Dörfer im rheinischen Revier sollen erhalten bleiben - es handelt sich um Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich, Berverath. Der umkämpfte Ort Lützerath allerdings soll den Kohlebaggern weichen.

Und die Laufzeit der zwei Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die eigentlich zum Jahresende stillgelegt werden sollten, wird wegen der Energiekrise bis Ende März 2024 verlängert. "Das war nicht mein persönlicher Plan und nicht der Koalitionsplan, Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu bringen", sagte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Aber es sei Krieg in der Ukraine, und es fehle die Hälfte der deutschen Gasimporte.

Warum kann Lützerath nicht erhalten bleiben?

RWE und die NRW-Landesregierung argumentieren, dass die hier liegende Kohle unbedingt gebraucht werde, um die Energieversorgung sicherzustellen. Laut dem grün-geführten Wirtschaftsministerium in NRW wird die Kohle auch gebraucht, um in der Energiekrise die Braunkohlewirtschaft mit hoher Auslastung zu betreiben. Wegen der Energiekrise gebe es einen "erhöhten Braunkohlebedarf, der zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit benötigt wird", heißt es offiziell.

Aktivistinnen wie Luisa Neubauer bestreiten das: "Für Energiesicherheit in der Krise braucht es die Kohle unter Lützerath nicht", schrieb sie auf Twitter. "Das zeigen unabhängige Gutachten." Die anders lautenden Zahlen von RWE seien "nachweislich falsch". Expertenberichte der CoalExit Research Group und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kamen zuletzt zu dem Ergebnis, dass die Energieversorgung in der Krise auch ohne die Kohle unter Lützerath möglich wäre.

Die Karte zeigt das Abbaugebiet des Tagebau "Garzweiler II"‚2 nahe des Ortes Lützerath.

Was wollen die Aktivisten?

Das Dorf erhalten und einen Abriss verhindern. Sie fordern ein Räumungsmoratorium. Sie warnen vor Schäden für Umwelt und Tiere und sehen das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaschutzabkommens gefährdet. Umweltaktivisten warfen den Grünen vor, für die Einigung mit RWE auf einen Kohleausstieg 2030 den Ort Lützerath zu "opfern". Deshalb gab es zuletzt immer wieder Proteste gegen das Vorrücken des Tagebaus. Die Umweltschützer schlossen sich dafür zum Aktionsbündnis "Lützerath unräumbar" zusammen, zu dem auch Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation gehören. Sie wollen nach eigenen Angaben in Lützerath "für globale Klimagerechtigkeit" kämpfen.

Je näher die Räumung rückt, desto mehr Aufmerksamkeit und Zulauf bekommen die Aktivisten. Mehrere Tausend Menschen kamen am Wochenende in das Örtchen. Der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmsdorf sprach sich gegen die Räumung aus. "Die Politik sollte sorgfältig darüber nachdenken, wie ein massiver Polizeieinsatz für Kohle und gegen Klimaschützer im Rückblick in vier oder fünf Jahren beurteilt werden wird, wenn die Klimaschäden noch massiver und offensichtlicher geworden sind", schrieb der Leiter für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bei Twitter.

Was passierte 2018 im Hambacher Forst?

Erst "Hambi", jetzt "Lützi"? Zumindest die Bilder ähneln sich. Im Hambacher Forst befehdeten sich 2018 wochenlang maskierte Aktivisten und Polizisten mit Schutzhelmen. Der südlich der Garzweiler Reviere gelegene Wald war eigentlich zur Rodung vorgesehen, um dem Energiekonzern RWE die Möglichkeit zum Abbau der darunter gelegenen Braunkohle zu geben. Die drohende Zerstörung des uralten Waldes mit 30 Meter hohen Baumriesen mobilisierte massiven Widerstand. Es kostete die Polizei viele Wochen und Millionen Euro, um 86 Baumhäuser abzumontieren und die darunter liegenden Lager aufzulösen. Ein junger Journalist kam zu Tode, als er durch die Bretter einer Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern brach und in die Tiefe stürzte. Als die Räumung fast geschafft war, wurde die Rodung per Gerichtsbeschluss vorläufig verboten. Der Wald steht noch heute.

Wie geht es in Lützerath weiter?

Die Räumung begann am Mittwochmorgen. Klimaaktivisten kündigten für Samstag kommender Woche eine Großdemonstration in Lützerath an, zu der nach eigenen Angaben "etliche tausend" Protestierende erwartet werden. Die Demonstration soll demnach trotz des Aufenthaltsverbots und einer möglicherweise vorher durchgesetzten Räumung der Polizei stattfinden.

Für die Polizei hat der Einsatz viele Unbekannte. Wie im Hambacher Forst in der Nähe haben Aktivisten Baumhäuser gebaut und sieben Häuser verbarrikadiert. Von der Protestszene ist nach Einschätzung der Polizei ein kleiner Teil gewaltbereit. Etwa 300 Aktivisten seien in Lützerath, weitere 250 in einem Nachbarort, erklärte die Polizei. Man stelle sich sowohl auf friedliche Demonstrationen als auch auf gewalttätige Proteste ein, sagte der hauptverantwortliche Einsatzleiter Wilhelm Sauer mit Blick auf die nächsten Tage.

Die Polizei plant den Einsatz für die Dauer von insgesamt vier Wochen. Die Kräfte kommen laut Sauer aus dem ganzen Bundesgebiet. Die Aachener Polizei hat die Einsatzleitung für die Räumung. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte im Morgenmagazin von ARD und ZDF, er hoffe nicht, dass hinterher wieder die Debatte aufkomme, ob die Polizei das habe tun müssen. Es bleibe "keine andere Wahl".

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, warnte in der "taz" vor einer Unterwanderung der Proteste durch gewaltbereite Linksextremisten.

Die Grünen warnten ebenfalls vor einer harten Konfrontation. "Ich finde, Deeskalation aller Beteiligten ist jetzt das Gebot der Stunde", sagte die Co-Vorsitzende Ricarda Lang. Und Co-Chef Omid Nouripour ergänzte im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF: Der Streit sei "ausgeurteilt durch alle Instanzen" und der Energiekonzern RWE habe einen Rechtsanspruch auf das Abbaggern der unter Lützerath liegenden Kohle.

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