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Überblick

Koalitionsvertrag Was die Ampel will

Stand: 24.11.2021 21:58 Uhr

Der Mindestlohn wird erhöht, die Schuldenbremse wieder eingehalten, der Kohleausstieg soll vorgezogen und Cannabis legalisiert werden: Das sind die wichtigsten Punkte aus dem Koalitionsvertrag.

Wahlrecht

Das aktive Wahlalter für die Wahl zum Bundestag soll auf 16 Jahre gesenkt werden. Dafür muss das Grundgesetz geändert werden. Das aktive Wahlalter für das Europäische Parlament soll ebenso auf 16 Jahre gesenkt werden. Für die Europawahlen könnten die Koalitionäre diese Reform mit einfacher Mehrheit beschließen. Die Ampelkoalition will "innerhalb des ersten Jahres" das Wahlrecht überarbeiten, um das Anwachsen des Bundestages zu verhindern.

Mindestlohn

Der gesetzliche Mindestlohn soll in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden. Die Mindestlohnkommission soll dann über weitere Erhöhungsschritte befinden. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,60 Euro pro Stunde.

Bürgergeld

Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden. "Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung", heißt es im Koalitionsvertrag. Das Schonvermögen soll erhöht werden. An Mitwirkungspflichten, die in der Teilhabevereinbarung festgehalten werden, will die Ampel-Koalition festhalten.

Cannabis

Die Ampel-Koalition will die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene "zu Genusszwecken" in lizenzierten Geschäften einführen. Dadurch werde die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz soll nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen evaluiert werden.

Die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis sollen verschärft werden.

Klima

Die Ampel-Koalition will den Kohle-Ausstieg vorziehen. "Idealerweise gelingt das schon bis 2030", heißt es in der Vereinbarung. Bisher war dies bis spätestens 2038 verankert. Dafür sollen Wind- oder Solarstrom massiv ausgebaut werden. Bis 2030 solle 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. Bisher waren nur 65 Prozent vorgesehen. Dafür sind mehr Gaskraftwerke nötig. Diese sollen aber auf den Betrieb mit Wasserstoff umgerüstet werden können.

Die Solarleistung wollen die Partner unter anderem mit einer Photovoltaik-Pflicht auf Gewerbedächern bis auf 200 Gigawatt mehr als verdreifachen. Beschleunigt wird demnach auch der Windenergie-Ausbau auf hoher See, der 2030 auf 30 Gigawatt klettern soll (bisher 20 GW). Für Windenergie an Land sollen zwei Prozent der Bundesfläche reserviert werden.

Der Ausstieg aus der Kohle soll auch über den europäischen Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten beschleunigt werden. Daher will sich die Koalition bei der EU für einen Mindestpreis für diese Zertifikate einsetzen, die die Kraftwerke benötigen. Sollte dies keinen Erfolg haben, werde national verankert, dass der Preis nicht unter 60 Euro pro Tonne fällt. Derzeit liegt er knapp unter 70 Euro.

Der Klimaschutz soll künftig stärker als bisher in die Entscheidungen der Bundesregierung einbezogen werden. Jedes Ministerium soll seine Gesetzentwürfe auf ihre Klimawirkung und die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen hin prüfen und mit einer entsprechenden Begründung versehen - der sogenannte Klimacheck. Das Bundesklimaschutzgesetz soll "noch im Jahr 2022 konsequent" weiterentwickelt werden, ein Klimaschutz-Sofortprogramm soll kommen.

Pflege

Die Ampel will für den Pflegebonus eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Dazu soll die Steuerfreiheit des Pflegebonus auf 3000 Euro angehoben werden. Das Pflegegeld für die Pflege zu Hause soll von 2022 an regelmäßig erhöht werden. Pflegende Angehörige sollen mehr und praktikablere Entlastungsangebote bekommen. Die Koalitionäre kündigen auch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten für berufstätige pflegende Angehörige an.

Kindergrundsicherung

"Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen", heißt es in dem Papier. Die bisherige finanzielle Unterstützungen - wie Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie Kinderzuschlag - sollen gebündelt werden. "Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern."

Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag, wie es in dem Papier heißt.

Kinderrechte sollen zudem im Grundgesetz verankert werden.

Wohnen

Im Koalitionsvertrag ist als Ziel der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen angegeben. Ein "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" soll geschlossen werden. Es soll "zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg" gebracht werden. Die Mietpreisbremse soll verlängert und verschärft werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu elf Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent.

Drohnen

Die Ampel-Koalition will einer Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr zustimmen. Das soll unter "verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten" ermöglicht werden. "Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen", heißt es. Die SPD hatte in der vergangenen Legislaturperiode die Entscheidung über die Bewaffnung von Bundeswehrdrohnen immer wieder vertagt.

Atomwaffen

Die neue Bundesregierung will die grundsätzliche deutsche Ablehnung des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen aufgeben und damit von der bisherigen NATO-Linie abweichen. Deutschland soll als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen. Bisher hat kein anderes NATO-Mitglied einen solchen Beobachterstatus.

"Im Lichte der Ergebnisse der Überprüfungskonferenz des NVV und in enger Absprache mit unseren Alliierten werden wir als Beobachter (nicht als Mitglied) bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten", heißt es in dem Koalitionsvertrag.

Der umstrittene Vertrag zum Verbot von Atomwaffen war 2017 von 122 der 193 Länder der Vereinten Nationen beschlossen worden und Anfang dieses Jahres in Kraft getreten. Er untersagt Besitz, Erwerb, Entwicklung und Stationierung von Nuklearwaffen. Alle Atommächte sowie sämtliche NATO-Staaten und damit auch Deutschland haben ihn bisher abgelehnt, weil sie die bereits zuvor vereinbarten Verträge für eine bessere Grundlage für atomare Abrüstung erachtet haben.

Verkehr

Ab 2022 sollen die Regionalisierungsmittel im Nahverkehr erhöht werden. Pandemiebedingte Einnahmeausfälle sollen ausgeglichen werden. Gemeinsam mit Ländern und Kommunen sollen Qualitätskriterien und Standards für Angebote und Erreichbarkeit für urbane und ländliche Räume definiert werden.

Die Deutsche Bahn AG soll als integrierter Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten bleiben. Die internen Strukturen sollen effizienter und transparenter gestaltet werden. Die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) der Deutschen Bahn AG sollen zu einer "neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte" zusammengelegt werden. Dazu heißt es weiter: "Diese steht zu 100 Prozent im Eigentum der Deutschen Bahn als Gesamtkonzern. Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur verbleiben zukünftig in der neuen Infrastruktureinheit."

Der grenzüberscheitende Verkehr soll gestärkt und mit der EU sowie den Mitgliedstaaten sollen Nachtzugangebote aufgebaut werden. Bis 2030 sollen 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert sein.

Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität mit mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030 werden. "Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission" sollen in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden.

SPD, Grüne und FDP wollen zudem eine Reform der Lkw-Maut. 2023 soll eine "CO2-Differenzierung" der Lkw-Maut vorgenommen werden. Der gewerbliche Güterkraftverkehr ab 3,5 Tonnen solle einbezogen und ein CO2-Zuschlag eingeführt werden - unter der Bedingung, eine Doppelbelastung durch den CO2-Preis auszuschließen.

Führerschein

Begleitetes Fahren soll bereits ab 16 statt wie bisher mit 17 Jahren möglich sein. Bis zum 18. Geburtstag besteht die Auflage, den Pkw nur in Begleitung einer mindestens 30-jährigen Begleitperson zu fahren. "Um Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr zu schulen, werden wir begleitetes Fahren ab 16 Jahren ermöglichen", heißt es im Koalitionsvertrag.

Migration und Bleiberecht

Die Visavergabe soll beschleunigt und verstärkt digitalisiert werden. Aufenthaltsgenehmigungen sollen nicht bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten erlöschen. Das "komplizierte System der Duldungstatbestände" soll neu geordnet werden. "Gut integrierte Jugendliche" sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen. Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können.

Für schnellere Asylverfahren will die neue Koalition das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entlasten. "Wir wollen schnellere Entscheidungen in Asylprozessen sowie eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung und werden dazu zügig einen Gesetzentwurf vorlegen", kündigten die drei Parteien an.

Altersversorgung

Das bisherige System der privaten Altersvorsorge soll "grundlegend" reformiert werden. "Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen", heißt es in dem Vertrag. Zudem soll eine gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester geprüft werden. Der Sparerpauschbetrag soll auf 1000 Euro erhöht werden. Die Ampel will "in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen". Dies soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle verwaltet werden.

Befristungen

Im öffentlichen Dienst soll die Möglichkeit der Haushaltsbefristung abgeschafft werden. Beim Bund als Arbeitgeber soll die sachgrundlose Befristung "Schritt für Schritt" fallen. Um Kettenbefristungen zu vermeiden, sollen die mit Sachgrund befristeten Arbeitsverträge beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre begrenzt werden. Ein Überschreiten dieser Höchstdauer ist demnach nur in Ausnahmefällen möglich.

Finanzierung

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden. Im kommenden Jahr müssten aber wegen der andauernden Pandemiefolgen noch einmal neue Kredite aufgenommen werden. Kommunen mit hohen Altschulden sollen entlastet werden. "Auch im Jahr 2022 werden fortwirkende Pandemiefolgen zu bewältigen sein, die weiterhin eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenregel begründen", heißt es in dem Vertrag. "Ab 2023 werden wir dann die Verschuldung auf den verfassungsrechtlich von der Schuldenbremse vorgegebenen Spielraum beschränken und die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten."

Paragraf 219a

Das umstrittene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche soll abgeschafft werden. "Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen", heißt es im Vertrag. Daher solle der entsprechende Paragraf 219a des Strafgesetzbuches gestrichen werden. Ziel sei, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu stärken und Versorgungssicherheit herzustellen. Schwangerschaftskonfliktberatung solle online möglich sein. Gegen belästigende Aktionen von Abtreibungsgegnern sollen "gesetzliche Maßnahmen" kommen.