Eine Überwachungskamera.

Biometrische Datenerfassung Überwachung - ja, nein, vielleicht?

Stand: 20.02.2023 12:40 Uhr

Kameras im öffentlichen Raum, die automatisch erkennen, wer durchs Bild läuft: für viele ein Schreckensszenario, für Strafermittler eine Erleichterung. Was will die Bundesregierung?

Von Kirsten Girschick, ARD Berlin und Philipp Eckstein, ARD-Hauptstadtstudio

Im Bahnhof, in der Einkaufsstraße, in der U-Bahn-Haltestelle - überall wird man von Kameras erfasst. Das eigene Bild, der eigene Gang, eine zufällige Bewegung - blitzschnell ausgewertet von einer künstlichen Intelligenz, die Individuen identifiziert, mit Datenbanken abgleicht und möglicherweise verdächtiges Verhalten meldet. Das ist längst möglich und wird durch die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz auch technisch immer schneller und genauer. In China ist eine solche Massenüberwachung längst üblich.

Im Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Parteien festgelegt: "Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab." Das Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum sei zu gewährleisten. "Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring-Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen."

Eine Ansage in Richtung europäischer Union, die Ende 2021 bereits über die KI-Verordnung (AI Act) beriet. Sie soll EU-weit den rechtlichen Rahmen für den Umgang mit künstlicher Intelligenz regeln. Zugleich soll mit der Verordnung festgelegt werden, wofür Sicherheitsbehörden die immer schnellere und leistungsfähigere Technologie nutzen dürfen.

Nachträgliche Auswertung soll erlaubt bleiben

Das Innen- und Justizministerium teilen mit, man habe sich dabei "für ein europarechtliches Verbot von biometrischer Echtzeit-Fernerkennung im öffentlichen Raum ausgesprochen". Die Bundesregierung habe sich außerdem dafür ausgesprochen, dass der Einsatz von KI zur retrograden biometrischen Identifizierung, beispielsweise zur Beweiswürdigung, europarechtlich nicht ausgeschlossen werden dürfe.

Die Verhandlungsposition der Bundesregierung in der EU ist also: Eine Echtzeit-Auswertung soll verboten sein. Zugleich soll eine nachträgliche biometrische Auswertung beispielsweise von Videomaterial aber erlaubt bleiben, etwa für Fahndungszwecke.

Ein Unding, findet Anke Domscheit-Berg von der Linkspartei. Für sie ist völlig unverständlich, wie man den Koalitionsvertrag so interpretieren könne, dass er eine nachträgliche Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zulasse. Sie befürchtet, dass es zu einer Art Vorratsdatenspeicherung kommt: "Dass also künftig große Events oder spezielle Plätze einfach standardmäßig Video aufgezeichnet werden und nachträglich dann eine Analyse über Gesichtserkennung erfolgt, um Menschen zu identifizieren."

Fahndung per Software ist bereits Alltag

Grundsätzlich gibt es in Deutschland schon länger eine automatisierte Nutzung biometrischer Daten für Fahndungszwecke. Das Bundeskriminalamt (BKA) etwa setzt seit 2008 eine Software ein, die bereits jetzt durch maschinelles Lernen immer besser im Erkennen und Vergleichen biometrischer Daten wird. Sie wird eingesetzt, um etwa Fahndungsfotos oder Handyvideos von Zeugen mit anderen Fotos in polizeilichen Datenbanken zu vergleichen. Dabei liefert die Software eine Liste von Treffervorschlägen. Die tatsächliche Identifizierung nehmen aber noch immer menschliche Spezialisten vor.

Bei etwa 90.000 Abfragen im Jahr 2021 wurden so 5000 Personen identifiziert, nachdem die Ergebnisse des Gesichtserkennungssystems von Fahndern verifiziert wurden. Das BKA schreibt: "Ohne derartige Technik wäre in solchen Fällen oft keine Generierung von Ermittlungshinweisen möglich." Ziel sei es, die Sachbearbeitung bestmöglich in ihrer Arbeit zu unterstützen und im Rahmen von Strafverfahren oder Gefahrenabwehrlagen den Kreis der Tatverdächtigen und Gefährdern einzugrenzen. Eine Echtzeit-Identifizierung aufgrund biometrischer Daten finde beim BKA allerdings nicht statt.

Zweifel an der Verhältnismäßigkeit

Der Deutsche Anwaltverein erkennt das Anliegen, Straftaten zu bekämpfen, an. Er sieht allerdings große Probleme mit der Verhältnismäßigkeit, wenn biometrische Daten von Menschen abgeglichen werden, die sich zufällig an öffentlichen Orten befinden, ohne selbst Anlass zu einer solchen Überprüfung zu geben.

Die Unterscheidung der Bundesregierung zwischen "Echtzeit" und "retrograder" biometrischer Auswertung ändere nichts an der Tiefe des Eingriffs, meint David Albrecht vom Anwaltsverein: "Für die Betroffenen übt es den gleichen Druck aus, das gleiche Gefühl von Überwachtsein, wenn die Aufnahmen in Echtzeit ausgewertet und abgeglichen werden, wie wenn sie im Nachgang mit zeitlichem Versatz ausgewertet werden."

Zumal im Entwurf der KI-Verordnung nur geringe Hürden für die Nutzung vorgesehen seien: "So, wie es aktuell im Entwurf drinsteht, wäre zum Beispiel der einfache Diebstahl, der im Bahnhof beispielsweise passiert, also Taschendiebstahl, schon ausreichend, um auf dieses Mittel der biometrischen Fern-Identifizierung zurückzugreifen."

Albrecht hält es für wichtig, eine Begrenzung von biometrischer Identifizierung bereits in der KI-Verordnung auf europäischer Ebene zu verankern. Denn solche Verordnungen gelten unmittelbar, und können durch nationales Recht nur begrenzt eingeschränkt werden.

"Noch nicht ausverhandelt"

Haben SPD, Grüne und FDP also in ihrem Koalitionsvertrag etwas angekündigt, woran sich die Bundesregierung nicht hält? Der digitalpolitische Sprecher der FDP, Maximilian Funke-Kaiser weist diesen Vorwurf zurück: "Das Ding ist noch nicht ausverhandelt."

Die Verhandlungsposition der Bundesregierung sei wie im Koalitionsvertrag, dass sie sich gegen Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ausspreche. "Und mit diesem Verhandlungsziel geht man in die Verhandlungen rein", so Funke-Kaiser. "Nachdem man aber mit den anderen Ländern andere Meinungen hat, muss man natürlich versuchen, doch zu einem Ergebnis zu kommen."

Auch Parsa Marvi, Berichterstatter für die SPD-Bundestagsfraktion argumentiert ähnlich. Man unterstütze die Forderungen aus dem Koalitionsvertrag, sagt er. "Es kann aber am Ende zu einem Kompromiss kommen. Und da wird es um Detailfragen gehen und um diese Unterscheidbarkeit zwischen Echtzeit und retrograd. Das ist dann Realpolitik."

Der linken Oppositionspolitikerin Domscheit-Berg ist das zu wenig: "Meine Sorge ist, dass die Bundesregierung ermöglicht, dass wir aus Europa eine Regulierung kriegen, die die Tür aufmacht zu einer Massenüberwachung im öffentlichen Raum über biometrische Daten." Sie fordert mehr öffentliche Diskussion über die Künstliche-Intelligenz-Verordnung, über die in der EU aktuell verhandelt wird.

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