Omid Nouripour, Ricarda Lang und Annalena Baerbock
analyse

Parteitag der Grünen Gebremste Aufbruchstimmung

Stand: 24.11.2023 15:53 Uhr

Die Grünen haben ihre Parteispitze mit hohen Zustimmungswerten wiedergewählt. Der Parteitag in Karlsruhe zeigt trotzdem: Die Zeiten sind kompliziert für die Ökopartei - nicht nur wegen der Haushaltskrise.

Eine Analyse von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

Karlsruhe. Es ist die Stadt, in der sich die Grünen vor 43 Jahren als Partei gegründet haben. Und es ist die Stadt, in der vor neun Tagen ein Gerichtsurteil fiel, das auch die Grünen vor große Herausforderungen stellt. Schließlich fehlen der Ampel-Regierung alleine 60 Milliarden Euro, die insbesondere für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft vorgesehen waren.

Nun sitzt die Partei ausgerechnet hier zu ihrer Bundesdelegiertenkonferenz zusammen und berät über die möglichen Konsequenzen. "Da ist kein Platz für Streit", sagt ein Delegierter aus Rheinland-Pfalz. "In Krisenzeiten rücken die Grünen besonders eng zusammen."

Tatsächlich wirkt die Stimmung zur Halbzeit des Parteitags erstaunlich friedlich: Während vorab die Basis in einem offenen Brief ihren Unmut über die Kompromisse der Grünen innerhalb der Bundesregierung zum Ausdruck brachte, sind auf dem Treffen selbst bisher kaum Misstöne zu hören. "Wir sind uns dem Ernst der Lage durchaus bewusst", stellt eine Delegierte aus Thüringen klar.

Habeck ist mehr Zustimmung gewohnt

Der Ernst der Lage war vor allem Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den vergangenen Tagen ins Gesicht geschrieben. Ihn und sein Ministerium hatte das Urteil der Verfassungsrichter mit voller Wucht getroffen, stehen doch vor allem dessen Klimaprojekte auf der Kippe. Und so zeigt sich auf diesem Grünen-Parteitag ein ernster Robert Habeck. Er trägt Sakko am Eröffnungstag, kein halb aufgeknöpftes Hemd wie normalerweise.

Habeck spricht von der "gewendeten Zeit" - sein Begriff für die "Zeitenwende" des Kanzlers - von einer grünen Ideologie, die Wirklichkeit heiße. Es ist der Philosoph Habeck, der sich auf diesem Parteitag zeigt. Er liest seine Rede ab, verhaspelt sich immer wieder. Komplizierte politische Zeiten erlauben wohl keine freie Rede, die Habeck sonst so gut beherrscht.

Doch er wird auch plakativ, als er auf die Schuldenbremse zu sprechen kommt und Deutschland einen Boxer nennt, der in den Kampf zieht und sich vorher freiwillig die Hände auf dem Rücken gefesselt hat. Der Applaus ist Habeck sicher, er ist weiterhin einer der Stars für die Grünen. Aber er ist mehr Zustimmung gewohnt, Euphorie und Aufbruchstimmung wirken in Karlsruhe gebremst.

Offene Worte von Lang

Es sind schwierige Zeiten für die Grünen. Die Partei kann Herzensprojekte nicht so voranbringen, wie sie es möchte. Die Grünen-Bilanz der zwei Ampel-Jahre ist durchwachsen - was auch ein Grund für die schwächelnden Umfragewerte sein dürfte.

Co-Parteichefin Ricarda Lang übt in der Bewerbungsrede für ihre Wiederwahl Selbstkritik. Sie sei oft ins Technokratische abgerutscht, wenn die Partei in Bedrängnis gekommen sei. "Dabei ist in den Hintergrund getreten, was die Menschen gerade umtreibt, was sie gerade fühlen. Das darf uns als Partei nicht passieren", räumt Lang ein. Vielleicht sind es auch solch offene Worte, die ihr ein ordentliches Ergebnis bringen: 82,3 Prozent der Delegierten geben Lang die Stimme.

Ihr Kollege an der Parteispitze, Omid Nouripour, kommt auf 79,1 Prozent. Er hatte allerdings einen Gegenkandidaten. "Es waren zwei aufreibende Jahre", sagt Nouripour zu seiner bisherigen Arbeit als Grünen-Chef. "Aber die zwei härteren kommen noch."

Die alten und neuen Parteivorsitzenden stellen klar, dass sie die Grünen als Partei der Mitte verwurzeln und nicht zur "Ein-Themen-Partei" machen wollen - gegen all den Gegenwind, den die Grünen zurzeit erleben.

Kein grüner Spitzenpolitiker hat gerade leichte Zeiten. Die einen plagen Haushaltssorgen und wackelnde Zukunftsprojekte, die anderen die komplizierte Weltlage. Annalena Baerbock bringt Eindrücke einer Bundesaußenministerin mit auf diesen Parteitag, einer Außenministerin im Krisenmodus. Sie erzählt von Schicksalen der Menschen in Israel, die sie auf ihren Reisen in die Region getroffen hat.

Als Baerbock am späten Donnerstagabend redet, ist es absolut still im noch gut besetzten Saal. Alle kleben der Ministerin an den Lippen, wie sie auf staatstragende Art, mit emotionalen Worten und ernstem Gesicht ihre Eindrücke schildert. Die Menschen in Israel würden niemals in Sicherheit leben können, "wenn dieser Terror nicht bekämpft wird", sagt Baerbock.

Eine dunkle Wolke über der Konferenz

Sie weiß, welche rhetorischen Mitteln zünden. Der Parteitag beschließt schließlich einen Antrag des Bundesvorstandes mit dem Titel "Solidarität mit Israel: Für Frieden, gegen Hass und Terror." Und zwar einstimmig. Zum Start dieses Parteitages stehen also vor allem die unstrittigen Themen an.

Eine Partei zeigt sich geeint in der Feststellung, dass die Zeiten schwierig sind, aber auch wieder besser werden dürften. Das Urteil zur Haushaltspolitik vom 15. November - es schwebt wie eine dunkle Wolke über der Bundesdelegiertenkonferenz. Gefällt wurde es nur wenige Kilometer vom Ort dieses Events entfernt. Der Schatten von Karlsruhe.

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