Robert Habeck und Ricarda Lang
analyse

Grüne im Umfragetief Wie weg vom Image der Verbotspartei?

Stand: 29.07.2023 18:49 Uhr

Einst waren sie gegen Tabus angetreten, nun gelten sie vielen als Verbotspartei - nicht zuletzt wegen der Heizungswende. Auch in der Ampelkoalition sind die Grünen zunehmend isoliert. Wie will die Partei ihr Image verbessern?

Von Claudia Buckenmaier, ARD-Hauptstadtstudio

Ricarda Lang geht auch dahin, wo sie sich nicht sicher sein kann, dass nur Beifall auf sie wartet. Mitte Juni war sie zu Gast beim Sonntags-Stammtisch des Bayerischen Fernsehens. Sie hat sich bewusst für ein Dirndl entschieden und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

"Ihre Partei durchlebt ja gerade nicht die leichteste Phase", wird sie vom Moderator begrüßt. Da werde man noch drüber sprechen. "Davon bin ich ausgegangen", sagt die Parteivorsitzende der Grünen lachend. In diesen Wochen tourt sie durch Talkshows, gibt Interview um Interview in der Hoffnung, Boden gut zu machen für die Grünen und ihre Politik in der Regierung.

Kein Zurück in die Nische der Umwelt- und Klimapolitik

Zum Sonntags-Stammtisch kommt sie mit vielen neuen Eindrücken von ihrer ersten Reise in die USA Anfang Juni. Als sie gefragt wird, was die Amerikaner besser machen als die Deutschen, sagt sie ohne Zögern, "die reden relativ wenig über Klima und wahnsinnig viel über Wohlstand und Jobs". Das würde sie sich für ihre Heimat auch wünschen, dass mehr über Chancen geredet wird. Chancen, die dann möglichst genutzt werden sollen, um mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Das ist ihr Thema, seit sie angefangen hat, Politik zu machen. Und - geht es nach ihr - soll es auch viel stärker das Thema ihrer Partei werden. Klimaschutz will sie viel breiter verstanden wissen, nämlich als Menschheitsschutz und als riesengroßen Jobmotor. Sie will die Themen verbinden, will, dass die Grünen als eine Partei wahrgenommen werden, die die Zusammenhänge deutlich macht. Kein Zurück in die grüne Nische der Umwelt- und Klimapolitik.

"Das heißt für uns als Regierungspartei, dass wir soziale Sicherheit schaffen müssen, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Menschen von ihren Löhnen leben können." Sie hofft damit, den Grünen einen Weg aus dem Umfragetief zu weisen. Denn das belastet auch ihre persönliche Bilanz nach eineinhalb Jahren an der Parteispitze.

"Dürfen nicht mit dem Finger auf andere zeigen"

Ricarda Lang war 18 Jahre alt, als ihre alleinerziehende Mutter ihren Job verlor. Diese Erfahrung - das betont sie immer wieder - präge seitdem ihren Zugang zu Politik. Seit Februar 2022 ist sie Parteivorsitzende vom Bündnis 90/Die Grünen. In ihrer Bewerbungsrede forderte sie, dass die Partei "den falschen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Sozialem" auflösen müsse. "Wir dürfen nicht mit dem Finger auf andere zeigen."

Sie wollte alles dafür tun, dass die Grünen das Image einer Partei der Besserverdienenden verlieren. Doch was im Wahlkampf vor der Bundestagswahl 2021 möglich schien, geht in der Regierungsverantwortung immer mehr verloren.

Wut auf die Politik des Klimaministeriums

Es ist keine einfache Zeit. Die Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Sanktionen und ihre wirtschaftlichen Folgen, die Klimakatastrophen, Dürre, Überschwemmungen. Und eine Regierung, die alle Probleme gleichzeitig angehen will. Gesetzentwurf folgt auf Gesetzentwurf. Das anfängliche Vertrauen in der Bevölkerung, gut aufgehoben zu sein, weicht immer mehr Wut und Verärgerung - vor allem auf die Grünen, denn sie sind verantwortlich für das Wirtschafts- und Klimaministerium, das für die meisten Vorhaben in dieser schwierigen Zeit zuständig ist.

Eine Zeit der Überforderung, der wachsenden Ängste, geschürt auch von Populisten von rechts. Die Wut zeigt sich vor allem im Osten als offener Hass. Bei einer Tour durch Ostdeutschland ist Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt in einem Ort in Sachsen-Anhalt als "grüner Müll" beschimpft worden.

Grüne als große Verlierer der Dreierkoalition

Mit der Arbeit der Grünen sind laut ARD-Deutschlandtrend immer weniger Menschen zufrieden. Die Zustimmungswerte sind in freiem Fall. Vor allem im Bereich Wirtschaft sprechen der Partei nur wenige Kompetenz zu. Bisher gelingt den grünen Politikerinnen und Politikern, die sich in vielen Talkshows der Kritik stellen, kein Befreiungsschlag. Ob sie einräumen, erkannt zu haben, dass manches Vorhaben die Menschen überfordere, ob sie sagen, es tue ihnen leid, ob sie versuchen, ihre Entscheidungen zu erklären - die Stimmung im Land beeinflusst das kaum.

Die Grünen sind die großen Verlierer einer Dreierkoalition, die die Bevölkerung in den vergangenen Monaten vor allem streitend wahrgenommen hat. Eine Koalition, die sich immer erst im sprichwörtlich letzten Moment zusammenrauft, um eine Lösung zu finden, die manchmal nur eine geringe Halbwertszeit hat. Da hilft es nicht zu sagen, wie es Robert Habeck jüngst in den tagesthemen tat, "das Miteinander im Kabinett ist tadellos. Wir können die Dinge ruhig und quasi ganz normal bereden, aber wir kriegen sie eben nicht über die politische Ziellinie gebracht."

Image der Verbotspartei

Einsicht in die eigenen Fehler der Grünen sieht anders aus. Das ist ein gefundenes Fressen für die Opposition. Seit das Bundesverfassungsgericht verhindert hat, dass das Gebäudeenergiegesetz, das viele nur als Heizungsgesetz kennen, noch vor der Sommerpause im Parlament verabschiedet wurde, wie die Koalition es wollte, ist es für Unionspolitiker Jens Spahn und andere "ein Gesetz für die Tonne". Spätestens das Chaos um dieses für die Grünen so wichtige Vorhaben war das eine Vorhaben zu viel. Die Vorhaltung der Opposition, die Grünen seien eine Verbotspartei, verfängt.

Es ist völlig offen, wie es der Partei gelingen kann, wieder Vertrauen zu schaffen, über ihren ganz engen und bisher noch treuen Unterstützerkreis hinaus. Obwohl auch der in den vergangenen Monaten viele politische Zumutungen aushalten musste: von der Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke und Kohlestrom bis hin zum Asylkompromiss der Europäischen Union.

Klimaschutz als eine Frage wirtschaftlicher Vernunft

Erschwerend kommen nun noch die schlechten Prognosen für die deutsche Wirtschaft hinzu. Der Internationale Währungsfonds spricht davon, dass die Lage für Deutschland besonders düster sei. Die "Welt am Sonntag" titelte "Sind wir noch zu retten?", die Industrie sei in der Krise, eine Rezession drohe und das grüne Wirtschaftswunder bleibe aus.

Die grünen Politikerinnen und Politiker versuchen sich freizuschwimmen, indem sie Investitionen fordern, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dazu soll auch ein subventionierter Industriestrompreis gehören. Wirtschaftsminister Habeck will sie so wettbewerbsfähig halten. Bei der Forderung nach Investitionen soll nicht das Klima aus dem Blick geraten. Aber Klimaschutz als Mittel zum Zweck, als eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft.

Parteivorsitzende Lang zitiert US-Präsident Biden. "Wenn ich das Wort Klima höre, dann höre ich Jobs." Das ist der Kern des US-amerikanischen Investitionsprogramms, des "Inflation Reduction Act": Geld fließt in grüne Industrien, allerdings nur, wenn gleichzeitig gut bezahlte Jobs geschaffen werden. Das hätte Lang gerne auch in Deutschland, denn so könne zugleich die Demokratie gestärkt werden.

"Vorurteile sterben sehr langsam"

Plakativ vorgetragener Optimismus, egal wie stark der Gegenwind ist. Nur wo soll das Geld herkommen? Für solche Investitionen gibt es in der Ampelkoalition keine Mehrheit. Das FDP-geführte Finanzministerium will weniger neue Schulden machen. Der nächste Koalitionsstreit steht da wohl schon vor der Tür.

Ob diese Strategie der Grünen aufgehen kann? Was Lang bei ihrer Begeisterung für Bidens Konzept, Klimaschutz und Jobs zu verbinden, zu vergessen scheint - seiner Beliebtheit in der amerikanischen Bevölkerung hat es bisher nicht geholfen. Trotz erster Erfolge. Bis die Grünen als eine Partei mit Wirtschaftskompetenz wahrgenommen werden, scheint noch ein weiter Weg zu sein. Lang selbst hat es in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eingeräumt: "Vorurteile sterben sehr langsam." Doch die nächsten Wahlen kommen schnell.

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