Plakate mit der Aufschrift "Wahl Lügen" stecken während einer Demonstration vor der Stadthalle in Biberach zum politischen Aschermittwoch der Grünen in einem Misthaufen.
analyse

Zunehmende Proteste und Angriffe Wie die Grünen zum Feindbild wurden

Stand: 15.02.2024 17:15 Uhr

Erst die Blockade gegen Habeck an der Nordseefähre, jetzt Tumulte beim Politischen Aschermittwoch in Biberach. Warum richten sich die Proteste so massiv gegen die Grünen? Und wie gehen sie damit um?

Von Björn Dake, ARD Berlin

Cem Özdemir stellt sich seit Wochen wütenden Bauern. Der Landwirtschaftsminister zeigt Verständnis für Emotionen und Existenzängste. Doch nach der Absage des Politischen Aschermittwochs in Biberach sagt der Grünen-Politiker: "Die Bereitschaft zum Verständnis endet da, wo man über das Ziel hinausschießt." Und das ist aus seiner Sicht in Biberach passiert.

Sein Parteifreund Robert Habeck gibt sich bei einem Bürgerdialog in Leipzig zerknirscht. Wenn es der Sinn einer Demonstration sei, ins Gespräch zu kommen, dann ist der Versuch nach seinen Worten "grandios verfehlt worden". Der Bundeswirtschaftsminister hat eigene Erfahrungen damit. Anfang Januar hindert ihn eine aufgebrachte Menge in Nordfriesland daran, eine Fähre zu verlassen.

Grüne sind am häufigsten Ziel von Übergriffen

Nach Angaben der Bundesregierung registrierte die Polizei im vergangenen Jahr knapp 2.800 Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker. Mehr als 1.200 davon richteten sich gegen Vertreter der Grünen. Keine andere Partei erfährt aktuell so viel Gewalt, Hass und Ablehnung.

Erfolg in der Mitte macht sie zum gefragten Gegner

Um zu verstehen, woher das immer härtere Grünen-Bashing kommt, muss man anderthalb Jahre zurückschauen. Im Sommer 2022 reiten die Grünen auf einer Erfolgswelle. Rekordergebnisse bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Im ARD-Deutschlandtrend stehen sie bei 23 Prozent. Annalena Baerbock und Robert Habeck sind zu der Zeit mit Abstand die beliebtesten Politiker des Landes. Ihr pragmatischer Kurs bei Rüstungsprojekten, Kohle und Atom nervt zwar die Parteilinke. Aber die Grünen besetzen erfolgreich die politische Mitte - und werden damit zum strategischen Ziel.

Image der Verbotspartei bleibt haften

Neben der AfD schießt sich vor allem die Union auf die Partei ein. Neulich erst macht CSU-Generalsekretär Martin Huber die Grünen "hauptverantwortlich für die miese Stimmung im Land". Und weiter: "Sie sind eine von Ideologie getriebene Partei. Wer für das Heizgesetz steht, für die Asylblockade, für das Verbot von Fleisch, der kann für uns kein Partner sein." Da spielt es auch keine Rolle, dass niemand ein Fleischverbot fordert. Das Image der Verbotspartei haftet den Grünen weiter an. Im Herbst bezeichnet Sahra Wagenknecht die Grünen "als die gefährlichste Partei im Bundestag".

Heizungsgesetz als Kipppunkt der Koalition

In der Partei erklärt man sich die Ablehnung der anderen mit den Zumutungen der eigenen Politik. Beispiel Heizungsgesetz. Das wird im März 2023 zum Kipppunkt für die Grünen - und die gesamte Ampel.

Das Gesetzesvorhaben trifft auf eine gestresste Gesellschaft - durch Corona, Krieg und Klimakrise. Die Vorschläge zum klimafreundlichen Heizungsaustausch wirken zunächst unausgegoren und schlecht kommuniziert. Die Opposition im Bundestag greift Ängste der Bevölkerung vor Überforderung auf. Die FDP wirft den Grünen vor, verbohrt zu sein: zu einseitig auf die Wärmepumpe zu setzen, nicht offen genug zu sein für andere Technologien.

Grüne beklagen mangelnde Unterstützung der SPD

Die SPD hält sich aus all dem raus - so nehmen es viele Grüne wahr. Das Vertrauen in der Ampel scheint spätestens jetzt aufgebraucht. Die Koalition wirkt nach außen zerstritten und hat sich bis heute nicht davon erholt.

Jetzt schwächelt auch noch die Wirtschaft. Das Bundesverfassungsgericht kippt Mitte November den Haushalt. Der geplante Abbau von Subventionen für die Landwirtschaft bringt die Bauern auf die Barrikaden - neuer Stress für die Ampel. Und vor allem für den grünen Landwirtschaftsminister Özdemir.

Grüne gewinnen neue Mitglieder

Die Grünen wollen sich nicht in eine Opferrolle drängen lassen. Parteichefin Ricarda Lang setzt auf Sachlichkeit. Die demokratischen Parteien ruft sie auf, inhaltlich zu diskutieren: "Weniger Feindbild, weniger Empörung." Wer mit Empörung, Angst und Hass Politik macht, stärkt aus ihrer Sicht nur Parteien, die darin ihr Geschäft sehen.

So groß Anfeindungen und Ablehnung sind - die Grünen erreichen zumindest weiter ihre Anhänger. Seit Anfang des Jahres hat die Partei mehr als 4.500 neue Mitglieder gewonnen. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend stehen die Grünen bei 14 Prozent. Als einzige Ampelpartei erreichen sie damit fast ihr Ergebnis der Bundestagswahl 2021, als sie 14,7 Prozent der Stimmen erhielten.