Innenministerin Faeser wird in Tunesien begrüßt.

Migrationsabkommen Faesers Mission in Tunis

Stand: 19.06.2023 03:56 Uhr

Innenministerin Faeser ist heute in Tunesien. Sie will, dass das Land abgelehnte Asylbewerber zurücknimmt - ein schwieriges Unterfangen, auch, weil Präsident Saied zunehmend autoritär regiert.

Von Nadine Bader, ARD-Hauptstadtstudio, zzt. Tunis

Ein völlig überfülltes Boot mit Geflüchteten kentert auf dem Weg nach Europa. Viele Menschen sterben, unter ihnen zahlreiche Kinder. Immer wieder spielen sich solche Dramen im Mittelmeer ab. Zuletzt vergangene Woche südwestlich der griechischen Halbinsel Peloponnes.

Seit 2014 sind laut UN mehr als 26.000 Migranten und Asylsuchende bei der Fahrt übers Mittelmeer ums Leben gekommen oder verschollen. Es sind wohl auch solche Bilder und Zahlen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Kopf hat bei ihrer Reise nach Tunesien. Sie sei tief erschüttert und wolle daran arbeiten, legale Migrationswege zu schaffen und Migrationsabkommen zu schließen, sagt die SPD-Politikerin.

Zudem hat Faeser die Länder und Kommunen im Nacken. Lokalpolitiker aller Parteien beklagen seit Monaten, sie seien überlastet. Sie fürchten, die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten könnten die Gesellschaft überfordern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verzeichnet in diesem Jahr bisher 125.566 Erstanträge auf Asyl. Das sind 76 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die meisten Menschen kommen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei - gefolgt vom Iran, dem Irak und Georgien.

"Talentpartnerschaften" und "Rückführungsprozesse"

Innenministerin Faeser steht also unter Druck. Wohl auch deshalb hat sie sich nun auf den Weg nach Tunesien gemacht. Sie will dort Gespräche mit dem tunesischen Staatspräsidenten Kais Saied und Innenminister Kamel Fekih führen, zusammen mit dem französischen Innenminister Gérald Darmanin.

Themen sind die Förderung legaler Migrationswege, vor allem zu Ausbildungs- und Arbeitszwecken. Das Innenministerium spricht von "Talentpartnerschaften". Zudem soll es darum gehen, wie Menschenschmuggel eingedämmt sowie die Seenotrettung und die Kooperation im Bereich Polizeiausbildung gestärkt werden können. Besonders wichtig dürfte Faeser das Thema "Rückführungsprozesse" sein: Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland sollen freiwillig zurückkehren, die Prozesse beschleunigt werden.

Kais Saied (rechts) spricht mit Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni (links) im Präsidentenpalast in Tunis.

Kais Saied (rechts) spricht mit Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni (links) im Präsidentenpalast in Tunis.

Ein Geben und Nehmen

Die Reise knüpft an die Bemühungen von EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen an. Sie hatte eine Woche zuvor mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte und der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni mit ihrem Besuch in Tunis eine Charmeoffensive gestartet. Das Ansinnen ist offenkundig: Der wirtschaftlich angeschlagene Maghreb-Staat Tunesien soll zu einem strategischen Partner aufgepäppelt werden. Im Gegenzug soll das Land verhindern, dass von dort weiterhin so viele Menschen übers Mittelmeer nach Europa kommen.

Laut EU-Grenzschutzbehörde Frontex ist Tunesien inzwischen zu einem Haupttransitland geworden. Mehr als die Hälfte der in Italien ankommenden Geflüchteten haben sich demnach mit Booten von Tunesien aus auf den Weg gemacht. Eine Einigung auf das "Partnerschaftspaket" steht noch aus. Die EU bietet ein Hilfspaket von einer Milliarde Euro, ein Erasmus-Programm für tunesische Studierende und Fachkräftepartnerschaften.

Im Gegenzug soll Tunesien seine Grenzen besser kontrollieren. "Wir werden auf eine operative Partnerschaft zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität hinarbeiten", heißt es von der EU. "Und wir werden Tunesien beim Grenzmanagement unterstützen."

Kritiker sehen Abhängigkeit von Autokraten

Es ist eine Charmeoffensive, die auch Kritik hervorruft. Denn Tunesien galt zwar einmal als Hoffnungsträger für eine Demokratisierung. Doch Präsident Saied regiert zunehmend autoritär, lässt politische Gegner verhaften und macht Stimmung gegen Migranten aus anderen afrikanischen Ländern. Dazu kommen die wirtschaftlichen Probleme im Land.

Kritiker sagen, nach dem EU-Türkei-Abkommen 2016 mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei nun der tunesische Präsident an der Reihe. Um Migranten von Europas Küsten fernzuhalten, begebe sich die EU sehenden Auges in die Abhängigkeit von autokratischen Regierungschefs und Gewaltherrschern.

Migrationsforscher Ruud Koopmans dagegen begrüßt Faesers Reise nach Tunesien. Es sei gut, dass die Bundesinnenministerin sich der Initiative von der Leyens anschließe, mit dem Maghreb-Staat zu verhandeln. Aus Sicht Koopmans sind Migrationsabkommen mit Drittstaaten unabdingbar, um die Reformpläne in der EU-Asylpolitik umzusetzen.

Eine "Win-win-Situation"?

Die EU-Staaten hatten sich vor eineinhalb Wochen auf Verschärfungen des Asylrechts geeinigt. Demnach sollen Asylanträge von Migranten, die aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent stammen, bereits an den EU-Außengrenzen geprüft werden. Die Schutzsuchenden sollen in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen bleiben. Wer keine Chance auf Asyl hat, soll gar nicht erst einreisen und nach den Schnellverfahren umgehend zurückgeschickt werden.

Koopmans bezweifelt, dass das ohne Rücknahmeabkommen mit Drittstaaten wie Tunesien funktioniert. Die Sorge: Dass die Menschen dann unter inhumanen und nicht hinnehmbaren Bedingungen lange in Lagern festsitzen, ähnlich wie in den "Hotspots" in Griechenland. Von Abkommen mit Ländern wie Tunesien verspricht sich Koopmans eine "Win-win-Situation".

Karte: Tunesien

Länder wie Tunesien könnten legale Kontingente für Wirtschaftsmigranten und Studierende erhalten. Solche Kontingente wären ein hoher Anreiz, weil tunesische Fachkräfte Geld an ihre Familien in ihr Heimatland zurücküberweisen könnten. Im Gegenzug müssten abgelehnte Migranten von den EU-Außengrenzen zurückgenommen werden. Auch diejenigen, die nur durch Tunesien durchgereist sind. Koopmans hofft, dass sich dann weniger Menschen in die Hände von Schleppern auf die gefährliche Bootsfahrt nach Italien begeben, weil dafür kein Anreiz mehr besteht.

Warnung vor Geld und politischen Zugeständnissen

Länder wie Tunesien für solche Abkommen vorrangig mit Geld zu locken, hält Koopmans dagegen für keine gute Idee. Die Gefahr wäre, sich dadurch leicht erpressbar zu machen. Anders wäre das bei Verhandlungen auf Augenhöhe über Migrationspolitik. Denn beide Seiten könnten Vorteile daraus ziehen, Kontingente für Wirtschaftsmigranten zu vereinbaren.

Der Migrationsforscher warnt zudem vor politischen Zugeständnissen an den tunesischen Präsidenten Saied. Es sei wichtig, darauf zu beharren, dass das Land wieder zu demokratischen Verhältnissen zurückkehrt. Ansonsten könnten unerwünschte Auswirkungen die Folge sein. Nämlich, dass mehr und nicht weniger Menschen das Land verlassen und sich über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa machen.

Kritik von Pro Asyl

Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren die geplanten Migrationsabkommen. Sie fürchten, dass solche Kooperationen auf Flüchtlingsabwehr zielen und nicht den Schutz der Menschen ins Zentrum stellen. Bei bestehenden Kooperationen wie mit der Türkei oder der libyschen Küstenwache komme es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen, ohne dass die EU daraus Konsequenzen ziehe.

Was auf dem Papier Grenzsicherung heißt, bedeute in der Praxis oft Gewalt gegenüber fliehenden Menschen und Menschenrechtsverletzungen. Pro Asyl geht davon aus, dass Menschen auf der Flucht dann oft noch gefährlichere Routen nehmen. Die Folge wären mehr anstatt weniger Bootsunglücke auf dem Mittelmeer mit tödlichen Folgen.

Auch von den vorgesehenen Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen erwartet Pro Asyl nichts Gutes: Vor allem völkerrechtswidrige Abschiebungen, weil drohende Menschenrechtsverletzungen nicht ausreichend geprüft werden könnten. Faire Verfahren seien nicht möglich, wenn schutzsuchende Menschen gezielt isoliert und keine unabhängige Unterstützung bekommen würden.

Bundesinnenministerin Faeser, die bei der hessischen Landtagswahl im Oktober Ministerpräsidentin werden will, verteidigt den von ihr mit ausgehandelten EU-Asylkompromiss. Die Alternative sei, dass an den EU-Außengrenzen alles weiterläuft wie bisher. Ob sich die Pläne über Rücknahmeabkommen mit Tunesien werden umsetzen lassen, hängt wohl mit an Faesers und dem Verhandlungsgeschick der EU.