Volker Wissing
analyse

Digitalpolitik der Ampel "Wir können ja nur besser werden"

Stand: 07.06.2023 09:17 Uhr

Unambitioniert und holprig - die Digitalpolitik der Ampelregierung fällt bei Fachleuten durch. Auf der re:publica sucht man nach Erklärungen - und was sagt eigentlich Minister Wissing dazu?

Von Kristin Becker, ARD Berlin

Ohne Termin zu einem neuen Ausweis - und das in Berlin. Das Innenministerium macht es möglich - bei der re:publica. Allerdings nur, wenn man dafür ganz analog vor Ort ist. Den Ausweis im Netz beantragen, das geht auch im "Pop-up Bürgeramt" bei der Digitalkonferenz nicht.

Für viele bei der Konferenz ist das symptomatisch für den Zustand der Digitalisierung in Deutschland. Und obwohl die Stimmung eventbedingt heiter ist, klingen viele Stimmen doch eher düster. Etwa die von re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl: "Wir waren optimistisch, hatten Hoffnung, aber die ist eigentlich bei fast allen verloren gegangen."

Digitalminister Volker Wissing auf der re:publica

Kritik an Digitalstrategie und Ampelpolitik lässt Volker Wissing an sich abperlen.

Die aktuelle Regierung sei mit großen Ambitionen fürs Digitale gestartet, viel übrig sei davon aber nicht, kommentiert Beckedahl die Digitalpolitik der Ampel: "Wir haben zu wenig Digitalkompetenz bei den Spitzenpolitikerinnen. Wir haben zu wenig Digitalkompetenz auf allen Ebenen der Verwaltungen."

Große Veränderungen, andere Ansätze, Fortschritt spüre er nicht: "Wir haben dasselbe Klein-Klein wie vorher." Die digitale Zivilgesellschaft sei weiterhin nicht ausreichend eingebunden und es gebe eher mehr Überwachungsgesetze als weniger.

SPD-Chefin Esken hat noch Hoffnung

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gehört zu denen, die noch Hoffnung haben - oder wieder. Im November hatte sie öffentlich ordentlich ausgeteilt: "Die Digitalpolitik der Bundesregierung ist bislang hinter dem hohen Anspruch des Koalitionsvertrags zurückgeblieben." Nun schlendert sie mit einem freundlichen Lächeln durch die große, bunt gefüllte Konferenzhalle und formuliert es freundlicher: "Es geht ja voran, aber lange nicht so, wie wir es uns wünschen würden."

Als Digitalpolitikerin dürfte ihr gerade auf der re:publica viel Kritik an der SPD-geführten Ampel begegnen, als Chefin der Kanzlerpartei stellt sich vor die Regierung. Es gebe sehr wohl ein großes Bewusstsein fürs Digitale, doch die Nachwirkungen von Corona, vor allem aber der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hätten die Bedingungen extrem schwierig gemacht und viele Gestaltungspläne ausgebremst, versucht Esken zu erklären. Gerade auch im Bereich der Digitalisierung.

Dass es kein richtiges, eigenständiges Ministerium dafür gebe - wie immer wieder kritisiert wird - sei nicht das Problem. Schließlich müsse jedes Ressort in seinem Bereich die Digitalisierung vorantreiben. Schwierig sei eher, das Ganze zusammenzubringen. Für Esken ist es die dritte Legislaturperiode als Bundestagsabgeordnete - und nicht nur das: "Es ist der dritte Anlauf, die digitale Politik gut zu koordinieren. Es funktioniert zum dritten Mal nur so mittel."

Begleitender Beirat sieht Probleme

Als harte Kritik am zuständigen Bundesministerium für Digitales und Verkehr will sie das nicht verstanden wissen, eher als Hinweis auf eine strukturelle Schwäche. Sie hätte lieber ein Digitalkabinett, das die großen Linien der Digitalisierung koordiniert, aber: "Ich bin auch keine Freundin davon, eine weitere Reorganisation auszuprobieren. Ich würde ganz gerne mal ins Arbeiten kommen."

Henning Tillmann ist schon dabei, er arbeitet ehrenamtlich mit. Der Softwareentwickler und Digitalaktivist vom Netzverein D64 ist einer derjenigen, die in einem Beirat aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Umsetzung der Digitalstrategie der Bundesregierung begleiten. An sich eine gute Idee, findet er, aber: "Der Koalitionsvertrag ist deutlich besser als die Digitalstrategie."

Dass der Beirat nur einzelne Hauptprojekte der verschiedenen Ministerien begutachtet statt auch die Digitalstrategie als Ganzes genauer anzuschauen und zu verbessern, stört Tillmann - wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen im Beirat. "Es gibt keine wirkliche Koordination, sondern einfach einzelne politische Projekte von bestimmten Ressorts, die in ihrem eigenen Vakuum vor sich hin vegetieren", erzählt er. "Warum wird das nicht zusammen gedacht?"

Kritik lässt Minister Wissing abperlen

Tech-Expertin Julia Kloiber, die ebenfalls im Beirat mitarbeitet, pflichtet ihm bei. "Die Digitalstrategie ist ein Sammelsurium unterschiedlicher Projekte, eine klare Prioritätensetzung fehlt." Oft seien nicht mal Anwendungszweck und Zielgruppe der sogenannten "Leuchtturmprojekte" richtig klar.

Beispielhaft dafür, so Kloiber und Tillmann, sei etwa die "Nationale Bildungsplattform". 630 Millionen Euro würden für das Leuchtturmprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ausgegeben, das digitale Lernangebote zusammenführen soll. Die Bildungshoheit liege allerdings bei den Bundesländern, die offenbar wenig Interesse an dem Projekt hätten - auch, weil sie schon lange eigene Lösungen fürs Onlinelernen an den Schulen hätten.

Kritik an Digitalstrategie und Ampelpolitik lässt Volker Wissing an sich abperlen. Der FDP-Politiker kommt zum zweiten Mal als Digitalminister auf die re:publica und tritt erstaunlich gelassen in den Ring. "Abgerechnet wird zum Schluss" lautet sein Motto, als ihn re:publica-Chef Beckedahl zur Erfolgswahrscheinlichkeit der Digitalstrategie befragt. Es sei Aufgabe des Beirats, kritisch zu sein. "Ich finde das gar nicht schlimm, wir können ja nur besser werden."

Digitale Behördengänge bleiben eine Baustelle

Deutlich wird aber auch, dass er die Kritik nur sehr begrenzt nachvollziehen kann. Er sieht sich und die Ampel auf Kurs - auch beim Dauerärgernis Verwaltungsdigitalisierung. "Ab September kann man ein Auto digital zulassen und direkt losfahren", betont Wissing - in der Brust des Digitalministers klopft da sehr laut das Herz des Verkehrsministers, der er eben auch ist.  

Das kann allerdings über den grundsätzlichen Misserfolg bei diesem Thema nicht hinwegtäuschen. Dass man sein Auto im Netz anmelden kann, hatte Wissings Vorgänger Andreas Scheuer schon für 2019 wirkungslos versprochen, spätestens aber bis Ende 2022 hätte die KFZ-Zulassung online machbar sein sollen - wie die meisten Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland. So gab es das Onlinezugangsgesetz (OZG) vor. Geklappt hat das nicht, die digitalen Behördengänge bleiben eine große Baustelle.

Zwar hat das Bundeskabinett nach langem Hin und Her neulich nun doch eine Nachfolgeregelung für das bereits ausgelaufene OZG auf den Weg gebracht, aber klare Fristen oder ein Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen fehlen. Einen solchen hatten nicht nur der Normenkontrollrat und der IT-Branchenverband Bitkom gefordert, sondern auch die Bundestagsfraktion von Wissings eigener FDP.

Eigenständiges Digitalbudget scheint abgemeldet

Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio unterstützt der Digitalminister diese Forderung: "Ich würde gern sehen, dass wir das schaffen." Federführend sei allerdings das Innenministerium. Zudem mache es das föderale System in Deutschland nicht einfach. Auch das ist symptomatisch für das digitale Dilemma - es gibt viele Zuständigkeiten, aber niemand ist abschließend verantwortlich.  

Nicht mehr nur verzögert, sondern abgemeldet scheint übrigens ein eigenständiges Digitalbudget, wie es im Koalitionsvertrag eigentlich fest vereinbart war. Entscheidend sei, so Wissing, dass in den Ministerien "genügend Geld da ist, um die Digitalprojekte der Digitalstrategie umzusetzen. Das war bisher der Fall." Für die Zukunft sagt das allerdings nichts aus. Die Haushaltsverhandlungen sind im Gange und schwierig - und der Finanzminister hat schon angekündigt, dass alle sparen müssen.

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