Kanzler Scholz
FAQ

Kanzler in China Warum die Scholz-Reise umstritten ist

Stand: 03.11.2022 14:53 Uhr

Für kaum eine Reise dürfte Kanzler Scholz so viele Ratschläge bekommen haben, wie für seinen Antrittsbesuch in China. Und Kritik. Zahlreiche Konfliktthemen erwarten den Kanzler-Tross. Ein Überblick.

Die Ausgangslage

23 Stunden im Flugzeug, elf Stunden auf chinesischem Boden - schon allein wegen des zeitlichen Aufwands ist es mehr als ein lapidarer Antrittsbesuch des Bundeskanzlers in China. Olaf Scholz ist der erste Staatsgast eines G7-Staates seit dem Beginn der Corona-Pandemie und seit dem Parteitag der chinesischen Kommunisten, auf dem Präsident Xi Jinping seine Macht zementierte. Für den Kanzler wird der Besuch in mehrfacher Hinsicht ein diplomatischer Spagat und für kaum eine Reise dürfte er so viele Ratschläge bekommen haben. 

Ein komplexes Geflecht aus Abhängigkeiten und gegensätzlichen Interessen verbindet Deutschland und die Volksrepublik. Und zusätzlich gibt es eine ganze Reihe von Problemen und weltpolitischen Entwicklungen, die den Umgang mit China derzeit noch schwieriger machen als in den Jahren zuvor. Der Zeitpunkt der China-Reise des Kanzlers wird daher durchaus kritisch gesehen, auch innerhalb seiner Ampel-Regierung. Von einer "Sondierungsreise" ist in Scholz' Umfeld die Rede. Es gehe um Antworten auf Fragen wie: "Wo steht China, wo geht China hin, welche Formen der Kooperation sind mit diesem China möglich?" Die Reise sei ausdrücklich keine Fortsetzung der bisherigen China-Politik.

Problem: Abhängigkeiten und Erpressbarkeit

Die Zeiten, in denen der Erfolg einer Kanzler-Reise nach China an den Milliarden der Wirtschaftsabschlüsse gemessen wurde, sind vorbei. Die Hoffnung vom "Wandel durch Handel" wurde enttäuscht. Heute fürchtet Deutschland vielmehr eine allzu große Abhängigkeit. China ist die größte Exportnation der Welt und hat damit einen mächtigen Hebel, seine globalen Interessen durchzusetzen. Als verlängerter Arm der Regierung steigen Chinas Staatsunternehmen weltweit gezielt in Schlüsselindustrien ein und schaffen Abhängigkeiten - und damit auch Erpressbarkeit. Wie schwer es ist, sich nachträglich daraus zu befreien, zeigt das Beispiel Russland.

Umso größer ist das Unverständnis vieler, warum Kanzler Scholz kurz vor seiner Peking-Reise den Einstieg des chinesischen Logistikriesen Cosco am Hamburger Hafen gegen den Widerstand mehrerer Ministerien von SPD, Grünen und FDP durchboxte. Außenministerin Annalena Baerbock hatte sich in einer Protokollnotiz von der Entscheidung distanziert. Sie sieht kritische Infrastruktur durch die chinesische Beteiligung gefährdet. Scholz hat keine Sicherheitsbedenken.

Für China sind die Beteiligungen an Häfen ein wichtiger Teil seiner Infrastruktur-Initiative der "Neuen Seidenstraße". Dieses 2013 von Staats- und Parteichef Xi gestartete gigantische Projekt mit Milliarden-Investitionen soll nicht nur Handelskorridore über Land schaffen, sondern auch über See mit Beteiligungen an einer Reihe wichtiger Häfen entlang der Schiffsrouten für den Handel von und nach China. In Europa halten chinesische Unternehmen Beteiligungen an rund einem Dutzend Häfen, darunter Le Havre und Dünkirchen in Frankreich, Antwerpen und Brügge in Belgien sowie in Spanien, Italien, der Türkei und Griechenland.

Problem: neue China-Strategie gesucht

Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Parteien darauf verständigt, eine neue China-Strategie zu entwickeln. Im Frühjahr soll sie vorliegen. Außenministerin Baerbock betonte nach den Erfahrungen mit Russland, dass sich Deutschland von keinem Land mehr existenziell abhängig machen dürfe, "das unsere Werte nicht teilt". Solche Fehler dürften nicht zweimal gemacht werden. Die Grünen-Politikerin pochte auf Änderungen in der deutschen China-Politik, weil "das chinesische Politiksystem sich in den letzten Jahren massiv verändert hat und damit sich auch unsere China-Politik verändern muss".

Präsident Xi Jinping beansprucht die absolute Macht für sich und seinen Parteiapparat. Vom Kongress der Kommunistischen Partei Chinas ließ er sich seine Machtposition erst kürzlich zementieren. Vorbei ist die Zeit, in der China mit einer Kombination aus wirtschaftlicher Öffnung und gleichzeitiger politischer Zurückhaltung auf der Weltbühne als berechenbare Größe agierte. Xis Anspruch ordnet wirtschaftliche Erwägungen einem übergreifenden Ziel unter: Sein China bietet der Welt ein neues Ordnungsmodell an - und will eine Alternative zu "westlichen Werten" wie Demokratie und liberaler Gesellschaft sein. China beansprucht einen eigenen Platz als Weltmacht.

Problem: Menschenrechte

Xis Ordnungsmodell beruht nach innen auf einer absoluten, technologisch abgesicherten Kontrolle der Gesellschaft mit totalitärem Führungsanspruch der Kommunistischen Partei. Die Hoffnung gerade auch deutscher Politiker, dass China durch Außenhandel und wachsenden Wohlstand irgendwie demokratischer werden könnte, ging nicht auf. Die drakonischen Maßnahmen der Null-Covid-Politik, die Inhaftierung von Kritikern, die Einschränkung der Meinungsfreiheit, Überwachung, Internierung von Uiguren und anderen Mitgliedern von muslimischen Minderheiten sowie die Unterdrückung der Opposition in Hongkong: Die Vorwürfe gegen China sind gravierend. Der Kanzler werde bei seinem Besuch auch kritische Themen ansprechen, hieß es vorab aus dem Kanzleramt.

Problem: Russlands Krieg und Chinas Drohungen

China zählt zu den Profiteuren des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Die Volksrepublik bezieht russisches Öl, das der Westen nicht mehr kauft, zum Billigpreis. Seit Kriegsbeginn wächst der Warenaustausch zwischen China und Russland kräftig. Damit nimmt Peking den Sanktionen des Westens ihre Durchschlagskraft. Peking weigert sich, den russischen Angriffskrieg öffentlich zu verurteilen. Und die Volksrepublik behält sich ausdrücklich vor, die demokratisch regierte Insel Taiwan mit militärischer Gewalt unter ihre Herrschaft zurückzuholen.

Im Vorfeld seiner Reise forderte Scholz von der Führung in Peking deutliche Worte zu Russland. "Klare Worte Pekings an die Adresse Moskaus sind wichtig - zur Wahrung der Charta der Vereinten Nationen und ihrer Prinzipien", schrieb der Kanzler in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Er mahnte mit Blick auf chinesische Gebietsansprüche in Südostasien zudem an, dass kein Land der "Hinterhof" eines anderen sei.

Problem: Erwartungen

Für den Kanzler läuft es bei seinem Besuch in Peking darauf hinaus, dass er die seit Jahrzehnten eingefahrenen Gleise der deutschen Außenhandelspolitik verlassen soll. China ist der weltgrößte Markt für fast alles. So agierten deutsche Spitzenpolitiker vom einstigen CSU-Chef Franz Josef Strauß bis zu Ex-Kanzlerin Angela Merkel bei Peking-Besuchen seit den 1970er-Jahren stets als Türöffner für die deutsche Wirtschaft. Dank jahrzehntelanger politischer Förderung sind deutsche Unternehmen heute so eng mit China verflochten, dass eine "Entkopplung" schwerwiegende Folgen für die deutsche Volkswirtschaft hätte. Bekanntestes Beispiel eines auf China angewiesenen Unternehmens ist Volkswagen, der Konzern macht vierzig Prozent seines Umsatzes in China.

Auch diesmal sind im Kanzler-Tross zahlreiche Wirtschaftsbosse, etwa die Chefs von VW, BMW, BASF, Hipp und Merck. BASF-Chef Martin Brudermüller forderte, vom China-Bashing wegzukommen. Der Chemiekonzern will sein Engagement in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ausbauen. Anders als früher sei aber bei dem Besuch keine Unterzeichnungszeremonie von Abschlüssen geplant, heißt es dazu in Regierungskreisen. Es sei eben kein "business as usual".

Ausblick

Dass dies eine herausfordernde Reise wird, ist laut Kanzleramt allen klar. Die Koalitionspartner Grüne und FDP machen keinen Hehl daraus, dass sie die Reise des Kanzlers für falsch halten, zumindest für diesen Moment. "Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden", sagte Außenministerin Baerbock. Jetzt müsse er die richtigen Botschaften übermitteln. Im Koalitionsvertrag sei festgehalten, dass China in globalen Fragen Partner sei, aber auch "Wettbewerber und in zunehmendem Maße systemischer Rivale". FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hält den Zeitpunkt der Reise für "äußerst unglücklich". Eine "fast devote Haltung" gegenüber China warf die CDU dem Kanzler noch vor Reiseantritt vor.

In der SPD sieht man das anders: "Natürlich ist es richtig, dass der Kanzler nach China fährt", sagt SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt, die auch Vize-Vorsitzende der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe ist. "In diesen Zeiten ist es nötig, auch mit schwierigen Ländern zu reden und die eigenen Standpunkte zu vertreten." Die Bundesregierung müsse am Ende Farbe bekennen, wie man mit einem schwierigen Land wie China umgehen wolle, das man unter anderem für die internationale Klimapolitik brauche.

Die wichtigsten westlichen Partner sind vor der China-Reise von Kanzler Olaf Scholz nach Angaben aus Regierungskreisen eng eingebunden worden. Man habe sich auch über die Botschaften abgesprochen, die Scholz in Peking vorbringen will, sagte ein Regierungsvertreter. Es habe weder offene Kritik noch den Wunsch gegeben, Scholz solle nicht nach Peking reisen, fügte er hinzu.

Ratschläge für den Kanzler kamen auch aus China: "Um die Reise zu einem Erfolg zu machen, muss er sich auf pragmatische Kooperation konzentrieren und nicht auf Geopolitik - ungeachtet des Drucks radikaler westlicher Politiker und Medien", heißt es in einem veröffentlichten Kommentar der staatlichen Zeitung "Global Times" mit Blick auf Scholz. Die Staatszeitung warnte ausdrücklich vor offener Kritik der Deutschen an den chinesischen Gastgebern: "Das Gastgeberland vor einem Besuch mit unfundierten Forderungen unter Druck zu setzen, ist in vielerlei Hinsicht falsch." 

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