Wahlplakate in Sonneberg, Thüringen
analyse

Umgang mit AfD-Erfolg Keine einfachen Lösungen

Stand: 26.06.2023 19:36 Uhr

Nach dem ersten Wahlerfolg der AfD in einem Thüringer Landkreis suchen die anderen Parteien nach Antworten. Sie müssen sich darauf einstellen, dass Sonneberg kein Einzelfall bleiben dürfte.

Eine Analyse von Thomas Vorreyer

Wenn sich an diesem Montag alle in etwas einig waren, dann darin, dass die Landratswahl im thüringischen Kreis Sonneberg eine Abstimmung über die Bundespolitik war. AfD-Kandidat Robert Sesselmann hat sie gewonnen, obwohl der amtierende CDU-Landrat Jürgen Köpper auch von SPD, Grünen und dem linken Ministerpräsidenten Ramelow unterstützt wurde. So sieht es die AfD, so sieht es die CDU und so sehen es auch die anderen Parteien. Danach hören die Gemeinsamkeiten schon auf.

Die Ampel-Parteien kritisieren, Sesselmann habe mit Russland-Sanktionen, Diesel und Euro Wahlkampf gemacht, also mit Themen, über die auf Kreisebene nicht entschieden wird. Für die CDU war es ein Votum gegen die aktuelle Bundesregierung. Für die AfD hingegen eine "Machtprobe von nationaler Tragweite" (Björn Höcke), ein Sieg gegen alle anderen. Der erste AfD-Landrat Deutschlands soll der erste Schritt von vielen sein für die in Teilen rechtsextreme Partei.

AfD-Politiker in einer Stichwahl um wichtige kommunale Ämter - das hat es seit 2019, seit der Oberbürgermeisterwahl im sächsischen Görlitz, immer wieder mal gegeben. Zuletzt etwas häufiger, aber stets ohne Erfolg. In Sonneberg, dem nach Bevölkerungszahlen zweitkleinsten Landkreis Deutschlands, hat sich das nun geändert.

CDU stellt "Allparteienbündnisse" infrage

Die Mobilisierung war am Sonntag auf der Seite von Sesselmann. Er holte für die AfD rund 4000 Stimmen mehr als beim ersten Wahlgang Anfang Juni. Und insgesamt fast doppelt so viele wie noch bei der Landtagswahl 2019, als es im Kreis eine vergleichbare Wahlbeteiligung gegeben hatte. CDU-Mann Köpper konnte sich zwar auch verbessern, das Wählerpotenzial der ihn unterstützenden Parteien aber nicht im Ansatz ausschöpfen.

Interessanterweise hat nun ausgerechnet die CDU diese Unterstützung als ein Problem ausgemacht. "Allparteienbündnisse" funktionierten nicht mehr, sagte Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt am Montag dem MDR. Und beim Brandenburger Landesvorsitzenden Jan Redmann heißt es: "Das Konzept 'Schulterschluss gegen AfD' ist an seine Grenzen gekommen."

Dieser Logik folgend wird sich die CDU künftig noch stärker von den Ampel-Parteien - und in Thüringen von der Linken - abgrenzen. Die Richtung dafür hat Parteichef Friedrich Merz schon vor Wochen in einem Rundbrief vorgegeben: gegen einen angeblich "grünen" Zeitgeist. Fraglich ist, ob sich die CDU so tatsächlich aus dem ebenso angeblichen Parteienkollektiv, das die AfD "Altparteien" nennt, herausdiffundieren kann.

Oder ob sie nicht, wie man es dem früheren CDU-Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen vorwirft, die Positionen der AfD stärkt, ohne selbst davon profitieren zu können. Maaßen hatte als CDU-Rechtsaußen ausgerechnet im Wahlkreis von Sonneberg kandidiert. Ohne Chance gegen SPD und AfD. Heute will seine Partei Maaßen loswerden.

Und die AfD ist selbst dort stark im Osten, wo die CDU den Ministerpräsidenten stellt oder mitregiert. Die Partei hat zudem nicht in allen aktuell bestimmenden Themen eine einheitliche Haltung: Im Bundestag plädiert die CDU für noch mehr Waffenhilfen an die Ukraine, während ihr Bundesvize, Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer, für eine Reparatur der Nord Stream-Pipelines eintritt. Auch das umstrittene Heizungsgesetz, das die Ampel gerade in Berlin ausarbeitet, existiert in wesentlichen Teilen bereits als Gesetz der alten schwarz-roten Koalition.

Ampel lässt Probleme köcheln

Die Ampel hat Fehler gemacht, das zeigen die aktuell bundesweit hohen Zustimmungswerte für die AfD. Es herrscht eine Vielstimmigkeit von Krisen. Auf Corona folgten Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation. Nicht zu vergessen die Klimakrise. In dieser Zeit ist es den Ampel-Parteien in Berlin offenkundig nicht gelungen, entschlossen und ausgleichend zu agierend und dabei Menschen mitzunehmen. Sie lässt viele Themen zu lange "am Köcheln". So bestimmten drohende Mehrbelastungen nicht nur die Heizungsdebatte.

Seit September rufen die Kommunen etwa nach mehr Unterstützung bei der Unterbringung von Geflüchteten. Die Länder verstärken diese Forderung. Mehrere Gipfel hat es mit dem Bund gegeben. Eine neue Finanzierung soll aber erst im November dieses Jahres stehen, über ein Jahr später also. Das Thema köchelt als Problem weiter, nun mehr als Asyldebatte.

Die geplante Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach hätte in ihren ersten Grundzügen für viele Häuser im ländlichen Raum - und damit eben im Osten - das Aus in heutiger Form bedeutet. Das Thema ist als Abwicklung von Infrastruktur hoch emotional besetzt.

AfD-Wähler: überzeugt oder gleichgültig

Die Debatte um Regionen wie Sonneberg verschärft sich, weil viele Menschen dort nicht nur eine andere Politik wollen, sondern bereit sind, dafür eine Partei zu wählen, die der Verfassungsschutz in Thüringen nicht ohne Grund als "gesichert rechtsextremistisch" einstuft.

Zu einem großen Teil geht das auf extrem rechte und chauvinistische Einstellungen zurück, die über Jahre und Jahrzehnte entstanden sind. Der andere Teil ist Gleichgültigkeit. Überzeugte sichern der AfD den Einzug in Parlamente. Es sind die ihr gegenüber Gleichgültigen, die ihr zum Erfolg verhelfen. Mit den überzeugten Anhängern eint sie die Unzufriedenheit. Schon vor der Debatte um das Heizungsgesetz waren nur rund die Hälfte der Thüringerinnen und Thüringer zufrieden mit der Demokratie. Im ländlichen Raum, zu dem Sonneberg zählt, waren es noch weniger.

Sowohl die gute Ausgangslage der AfD nach dem ersten Wahlgang, bei dem Robert Sesselmann schon knapp unter 50 Prozent der Stimmen landete, als auch das folgende überregional große Interesse von Medien und Politik in den Wochen, haben die Wirkmacht einer Stimme für die AfD noch gestärkt. Gleichgültige wie Überzeugte konnten bei der Stichwahl am Sonntag ein Zeichen setzen.

Einfache, schnelle Lösungen hat keine Partei dazu im Angebot. Zu komplex ist die Gemengelage. Bei CDU, SPD, Linken, Grünen und FDP muss man sich darauf einstellen, dass die AfD zumindest kurzfristig einzelne kommunale Wahlen gewinnen kann. In der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt geht am kommenden Sonntag ein aussichtsreicher AfD-Kandidat in die Stichwahl gegen einen Kandidaten einer Wählergruppe. Weitere werden folgen. Entscheidend werden die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen 2024 sein.

AfD agiert in Thüringen strategisch

Einige setzen nun darauf, dass Sesselmann sich als Landrat selbst entzaubert. Das ist möglich, unterschlägt aber seinen Hintergrund: Sesselmann entstammt einem Landesverband, der seit Jahren taktisch und strategisch agiert. Das hat die Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Kurzzeitministerpräsidenten mit CDU- und AfD-Stimmen 2019 gezeigt. Oder zuletzt im November, als man im Erfurter Landtag einem Anti-Gendern-Antrag der CDU zur Mehrheit verhalf.

Landeschef Höcke inszeniert zwischen den üblichen Tiraden gegen politische Gegner gerne mal staatspolitische Verantwortung. Etwa wenn er eine AfD-Tolerierung einer Minderheitsregierung in den Raum stellt oder andeutet, für eine Kooperation mit der CDU auf eigene Ansprüche verzichten zu wollen.

Sesselmann dürfte ähnlich agieren. Erstmal auf Sacharbeit setzen, sich bei Themen wie den Kommunalhaushalt oder Straßenbau pragmatisch zeigen. Aus der Thüringer CDU gab es schon vor seiner Wahl Stimmen, die sagten, man könne und müsse mit der AfD auf Kommunalebene zusammenarbeiten. Gleichzeitig hat Sesselmann vor seiner Wahl angekündigt, auch bundespolitische Anträge in den Kreistag einbringen zu wollen. Er hoffe, dort damit "Gehör zu finden", sagte er dem Deutschlandfunk. Es wäre Symbolpolitik, die seiner Partei in die Hände spielt.

Und auch wenn das Verwaltungsrecht den Handlungsspielraums eines Landrats eng abgesteckt: Sesselmann kann hier gezielt die Konfrontation suchen, Grenzen austesten. Im Zweifel ist es dann "Erfurt" oder "Berlin", dass die Durchsetzung des Wählerwillens versagt.