Delegierte der AfD in der Messehalle in Magdeburg
analyse

AfD-Parteitag Radikal im Wort - weicher in der Schrift 

Stand: 06.08.2023 16:48 Uhr

Es waren quälend lange Tage in Magdeburg. Oft bis in den Abend hat die AfD ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl gewählt. Der Ton am Rednerpult war radikal. Das Wahlprogramm, das am Ende noch schnell verabschiedet wurde, klingt gemäßigter. 

Von Martin Schmidt, ARD Berlin und Gabor Halasz, ARD-Hauptstadtstudio

Alice Weidel hat gute Laune. Sie, die sich sonst eher rar macht gegenüber ihren Parteifreunden, nimmt sich Sonntagmorgen viel Zeit. Weidel begrüßt persönlich Mitglieder ihres Landesverbandes, macht viele Fotos, erklärt geduldig letzte Kompromisse am Wahlprogramm. Fünf Tage Parteitreffen an zwei Wochenenden liegen hinter ihnen. Es ist das erste Mal, dass die Delegierten die Co-Parteichefin auch hautnah erleben können und nicht nur gelegentlich auf ihrem Bundesvorstandsplatz auf der Bühne sitzend.  

Ihre gute Laune hat einen Grund: Lange sah es so aus, als würden in der Debatte um das Wahlprogramm unterschiedliche Machtzentren der AfD wie zwei Züge aufeinanderprallen. Ganz vorne mit dabei wie so oft: der rechtsextreme Thüringer Landeschef Björn Höcke. Eine neue Präambel wollte auch er dem Programm aufdrücken, ganz in seinem radikalen Ton. 

 

In Höckes Entwurf geht es um "globalistisch eingestellte Eliten", die die EU tragen. Der Parteitag streicht das Wort "globalistisch". "Globalisten" - das umschreibt eine mysteriöse internationale Elite, die angeblich im Hintergrund die Fäden zieht. Auch das Wort Regenbogen-Agenda fehlt am Ende. Im Entwurf des Höcke-Lagers steht ebenso, die Staaten Europas müssten die Verantwortung für ihre Sicherheit selbst übernehmen, "statt unter den vermeintlichen Schutzschirm eines fernen und eigennützigen Hegemons zu flüchten." Ein NATO-Austritt? Der wird heute von den Parteispitzen vehement bestritten. Der stehe überhaupt nicht zur Debatte, sagt Alice Weidel. 

35 Kandidaten in vier Tagen

Bis sich die Delegierten mit dem Wahlprogramm beschäftigen konnten, war es ein langer Weg. Zuerst sollte die Kandidatenliste für die Europawahl stehen und Bewerber gab es viele. Die guten Umfragewerte sorgen für Begehrlichkeiten. Auch weiter hinten auf der Liste rechnen sich einige Chancen aus, nach Brüssel ins Parlament einzuziehen - alleine auf die Plätze 21 bis 25 wollten am Samstag 34 AfD-Mitglieder. Jede Bewerberin, jeder Bewerber durfte auf der Versammlung sieben Minuten am Mikrofon auf sich aufmerksam machen. Das dauert.

Am Ende wählen sie 35 Kandidaten in vier Tagen - darunter nur vier Frauen. "Sind Sie bereit für Frauenpower, sind Sie bereit für mehr patriotische Frauen, sind Sie bereit für mehr Frauen, die im Leben ihren Mann gestanden haben?“, fragte Elisabeth Becker in ihrer Vorstellungsrede für die hinteren Listenplätze. Gewählt wurde sie nicht.  

Eines wurde mit jeder Rede deutlicher: Es ist der radikale Höcke-Sound, der des offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügels, der sich in der AfD durchgesetzt hat. So muss der Thüringer Landeschef Höcke selbst während der Wahlgänge gar nicht ans Rednerpult treten, um zu zeigen, wie sehr er die Partei in seine rechte Ecke gelenkt hat. Dass nicht alle seiner Wunschkandidaten oder Wunschformulierungen im Präambel-Streit durchsetzt - für ihn daher zu verkraften. 

Den Spitzenkandidaten aber wollte Höcke haben: Maximilian Krah aus Sachsen. Er hatte seine Partei davor gewarnt, sich zu mäßigen. Nun muss er ein deutlich abgeschwächtes Programm vertreten. Krah sagt zum Abschluss des Parteitages, es komme nicht auf einzelne Worte, sondern auf Inhalte an.

Krah selbst ist einer, der keine Berührungsängste mit Rechtsextremisten hat. Er ist gern gesehener Gast beim Institut für Staatspolitik in Schnellroda - einer rechtsextremen Denkfabrik um Götz Kubitschek. Krah spricht von Gleichgesinnten, die er dort trifft. In einem Internetvideo denkt er darüber nach, in Zukunft Schützenvereine als Hilfspolizei in Terrorlagen einzusetzen.  

Keine Angst vorm Verfassungsschutz

In Magdeburg ist immer wieder zu hören: Es brauche die Festung Europa gegen illegale Migration. In der EU streue "ein bösartiger Tumor". Petr Bystron, der auf Platz Zwei landet, sagt, der Bundestag sei die bessere Bühne, aber aus Brüssel komme "das Gift". Von "den Globalisten" würden still und heimlich Vorgaben gemacht. Nicht wenige auf dem Parteitag wollen den "Dexit", also den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union.

Ein Wort, das auch immer wieder zu hören ist, ist "Remigration", seit Jahren benutzt und geprägt von der rechtsextremen Identitären Bewegung. Der Kandidatin Irmhild Boßdorf aus Nordrhein-Westfalen geht es um millionenfache Remigration und Pushbacks, "egal, was der Europäische Gerichtshof dazu sagt". Sie wurde mit mehr als 75 Prozent auf den aussichtsreichen neunten Platz für die Europawahl gewählt und spricht davon, den "menschengemachten Bevölkerungswandel" zu stoppen. Aussagen wie diese haben schon nach dem ersten Parteitagswochenende den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen. Auch eine Woche später ändert sich die Tonlage nicht. 

Auf Platz 21 wurde Lokführer Lars Haise gewählt. Sein Zug, so sagt er, sei voller Straftaten, ein "rollendes Asylantenheim". Er spricht "von Gestalten mit unklarer sexueller Identität". Jurij Kofner aus Bayern sagt in seiner Bewerbungsrede, Deutschland sei von den USA und der EU besetzt und nicht souverän. Tim Krause aus Brandenburg möchte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Untersuchungshaftzelle besuchen.

Sorge, dass der Verfassungsschutz die Aussagen in Magdeburg genau mitschreibt und gegen die AfD verwendet, gibt es kaum. Gerade in Ostdeutschland, so ist zu hören, würde es kaum jemanden stören, wenn die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft würde. Es wäre längst kein Makel mehr. Das mäßiger formulierte Programm gelte für alle Kandidaten, heißt es heute von der Parteispitze. Es wird spannend zu beobachten, welchen Ton die Kandidaten im Wahlkampf einstimmen werden. 

Limmer: "Auf diese Truppe habe ich keine Lust"

Nur einmal kommt offener Widerspruch: Sylvia Limmer, die noch Europaabgeordnete ist und zwei Jahre lang im Bundesvorstand saß, lässt am Mikro ihrem Ärger freien Lauf, es nicht erneut auf die Liste zu schaffen: "Mich haben auf Befehl die strammen Höcke-Kader kaltgestellt - als Abrechnung dafür, dass ich mitgestimmt habe, Kalbitz aus der Partei zu werfen. Auf diese Truppe habe ich keine Lust", klagt Limmer, die auch als eine Vertraute des hier im Saal verhassten Ex-Parteichefs Jörg Meuthen gilt. Einen Tag später legt sie gegenüber "Welt" und ARD-Hauptstadtstudio nach. Magdeburg habe gezeigt, dass auch die AfD im etablierten Parteiensystem angekommen ist, in dem Wohlverhalten und Konformität der Partei gegenüber die wichtigsten Eigenschaften eines Abgeordneten zu sein scheinen. 

Es sei "irritierend", dass bei vielen Redebeiträgen "Parolen eine inhaltliche und sachliche Auseinandersetzung mit der EU-Politik ersetzt haben", sagte Limmer weiter. "Abgesehen von der offensichtlichen Unkenntnis der EU-Strukturen einiger Bewerber."

Als die AfD sich am Sonntag auf ihr Wahlprogramm einigt und über solche inhaltlichen Fragen diskutiert, ist Limmer längst abgereist. In der Partei wolle sie aber bleiben. "Wer etwas verändern will, darf nicht den Rückzug antreten", sagt sie. Schwer vorstellbar allerdings, dass Limmer dafür noch einmal genug Einfluss bekommt. Für ihre heftige Kritik am Rednerpult wurde sie von den Delegierten lautstark ausgebuht. 

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