Ein Mann wirft in einem Gartencenter in Köln seinen Stimmzettel in die Wahlurne.
Analyse

Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen An den Grünen kommt wohl keiner vorbei

Stand: 15.05.2022 13:30 Uhr

Wer künftig in NRW regieren wird, ist völlig offen. CDU und SPD liegen in Umfragen nahezu gleichauf, die amtierende schwarz-gelbe Koalition hat keine Mehrheit mehr. Die Grünen stehen weit oben in der Bewertung der Wählerschaft.

Eine Analyse von Jörg Schönenborn, WDR

Es ist einer der Wahlsonntage, an denen es keinen klaren Favoriten gibt. Wer künftig in der Staatskanzlei am Rhein die Regierung führt, hängt heute wesentlich davon ab, wer besser mobilisiert, wer in seinen Hochburgen für eine stärkere Wahlbeteiligung sorgt.

2017 lagen zwischen den SPD-Hochburgen im Ruhrgebiet und den starken CDU-Wahlkreisen im Münster- oder Sauerland mehr als zehn Prozentpunkte, in einem Fall sogar 20 Prozentpunkte Unterschied in der Wahlbeteiligung. Wenn SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty diesen Trend nicht umdrehen kann, wird er den knappen Rückstand in den Umfragen auf CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst nicht aufholen können.

Thomas Kutschaty, Spitzenkandidat der NRW-SPD

SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty und seine Frau Christina.

Relativ unbekannte Kandidaten

Beide hatten in den vergangenen Wochen erstmal gegen ihre eigene Unbekanntheit anzukämpfen. Kutschaty wurde erst gut ein Jahr vor der Wahl Landesvorsitzender seiner Partei, Wüst im Oktober Nachfolger des bei der Bundestagswahl gescheiterten Armin Laschet. Für einen Amtsbonus reichten diese gut sechs Monate nicht. In der Direktwahlfrage führt er knapp mit 40 zu 34 Prozent - "nur" sechs Punkte Vorsprung wären unter normalen Umständen für einen Amtsinhaber ein Alarmsignal.

Aber die Umstände sind eben nicht normal in NRW, Wüst ist erst kurz im Amt. Die Unzufriedenheit mit der Landesregierung dürfte viel mit der Corona-Politik von Vorgänger Armin Laschet zu tun haben. Seine FDP-Schulministerin hat nach Ansicht von zwei Dritteln der Befragten in der Pandemie sogar "versagt". Laschet selbst ist mit seinem unangemessenen Lachen während der Sommerflut in Erinnerung geblieben.

Steht Wüst für einen Neuanfang?

Mit der Leistung der scheidenden Landesregierung sind nur 48 Prozent der Befragten zufrieden. Zum Vergleich: In Schleswig-Holstein waren es starke 75 Prozent. Und 2017 wurde in Düsseldorf die Regierung von Hannelore Kraft mit einem Zufriedenheitswert von 45 abgewählt. Die Kernfrage aus CDU-Sicht lautet deshalb: Wird Hendrik Wüst eher als Teil der alten Laschet-Regierung gesehen, der er immerhin als Verkehrsminister angehörte?

Oder steht er für einen Neuanfang und wird deshalb wenig für die Versäumnisse verantwortlich gemacht? Immerhin 61 Prozent der Befragten attestieren ihm, er habe "gut in das neue Amt hineingefunden". Selbst SPD-Anhängerinnen und -Anhänger sehen das mehrheitlich so.

Parteien kommen nicht gut weg

Das Urteil über die Spitzenkandidaten von CDU und SPD ist deutlich milder als das über die politische Arbeit der beiden Parteien. Pandemie und Krieg haben schwere politische Versäumnisse offengelegt. Dazu zählen eine unzureichende öffentliche Infrastruktur und die hohe Abhängigkeit von russischen Energieimporten.

Für beides machen die Befragten mit großer Mehrheit vor allem CDU und SPD verantwortlich - die CDU, die in den vergangenen Jahren in Berlin und Düsseldorf die Regierung geführt hat, noch etwas stärker. Das erklärt die durchgehenden Kompetenzverluste für beide Parteien, vor allem auf ihren Kernfeldern Wirtschaft und Arbeit. Hier setzt sich fort, was wir schon bei vorangegangenen Wahlen beobachtet haben, unabhängig davon, ob die Parteien zulegen oder verlieren.

Mona Neubaur, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, gibt ihre Stimme ab

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Die Grünen rechnen mit Rekordergebnis

Dieses Kompetenzvakuum öffnet einen Raum, den vor allem die Grünen gefüllt haben. Ihnen wird am ehesten zugetraut, die Energieversorgung zu sichern, überhaupt das Land in eine gute Zukunft zu führen. Ihre beiden ehemaligen Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck, jetzt Außenministerin und Wirtschaftsminister, stehen nicht nur bundesweit, sondern auch in NRW ganz oben in der Bewertung der Wählerschaft.

Nach ihrem Absturz 2017 rechnen sie nun, wie schon vergangene Woche in Schleswig-Holstein, auch hier mit einem Rekordergebnis und wollen als Koalitionspartner unentbehrlich sein - für die CDU wie für die SPD.

Das könnte aufgehen, weil die FDP deutlichen Gegenwind spürt. Gute Kompetenzwerte für Wirtschaft und Arbeit machen die heftige Kritik an der Organisation des Alltags in Schulen und Kitas während der Pandemie nicht wett. Vor allem aber hat sie ihren 2017 erfolgreichen und in NRW immer noch sehr populären Spitzenkandidaten Christian Lindner nach Berlin verloren.

So ist an diesem Wahltag tatsächlich völlig offen, wer die nächste Regierung in Düsseldorf anführen wird - und ob außer den Grünen noch ein weiterer Koalitionspartner gebraucht wird.

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