Friedrich Merz
analyse

Union nach Ampel-Aus Grund zum Feiern - und Zeit zum Denken

Stand: 09.11.2024 05:45 Uhr

Das Ende der Ampelkoalition war für viele in der Union ein Grund zum Feiern. Doch nach dem Ende der Regierung gibt es auch bei CDU und CSU einige offene Fragen - besonders für Kanzlerkandidat Merz.

Eine Analyse von Sarah Frühauf, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist Mittwochabend, kurz nach halb elf. Eine Servicekraft rollt einen Servierwagen mit benutzten Gläsern und einer leeren Sektflasche durch einen Gang in der fünften Etage des Jakob-Kaiser-Hauses. Hier, in einem Büro gleich nebenan, hat bis vor wenigen Minuten eine Männerrunde darüber geredet, wie es für sie nun nach dem Ampel-Aus weitergeht. Es ist das Büro von Friedrich Merz.

Kurz nach 20 Uhr, nachdem die Meldung die Runde gemacht hat, dass der Finanzminister entlassen ist, hatte der CDU-Chef die Unionsspitzen zu sich gerufen. Seinen Generalsekretär Carsten Linnemann, den parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei, dessen Amtskollegen von der CSU, Alexander Hoffmann, und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Markus Söder, der CSU-Vorsitzende, ist zugeschaltet.

Es könnte noch holprig werden

Ob der Schampus von ihnen an diesem Abend getrunken wurde, ist nicht klar. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass viele in der Union in dem Abend, der so bitter für SPD, Grüne und FDP ist, einen freudigen Anlass sehen.

Opposition ist Mist - es ist ein Satz, den man von Unions-Abgeordneten in dieser Legislatur immer wieder hörte. Nun hoffen sie, dass es nach den Neuwahlen für sie wieder Richtung Regierung geht.

Während also Luftlinie nur wenige hundert Meter entfernt im Bundestag auf der Fraktionsebene die Ampel-Parteien zu Krisensitzungen zusammenkommen, plant Merz mit seinen Getreuen die nächsten Schritte. Denn so vorgezeichnet, wie nun der Weg für den CDU-Spitzenkandidaten Merz ins Kanzleramt scheint, ist er nicht. Es könnte noch holprig werden.

Durchschaubares Manöver des Kanzlers

Bundeskanzler Olaf Scholz wird seinen Stuhl nicht kampflos räumen, das macht er bereits bei seiner Pressekonferenz kurz nach dem gescheiterten Koalitionsausschuss klar. Der Kanzler macht der Union ein Angebot, fordert sie zur Zusammenarbeit auf, bei der Ukrainehilfe zum Beispiel und der schwächelnden Wirtschaft.

So spielt er in einer der schwerwiegendsten Regierungskrisen der Bundesrepublik den Ball Richtung Opposition. Nach dem Motto: Soll die Union doch zeigen, inwieweit sie bereit ist, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen.

Es ist ein durchschaubares Manöver des Kanzlers, das allerdings das Dilemma aufzeigt, in dem CDU und CSU stecken. Wie konstruktiv sollte sich die Union geben, in einer Zeit, die so krisenbelastet ist wie diese? Wie viel Gestaltungsspielraum würde sie dann allerdings SPD und Grünen noch einräumen?

Merz gibt am Donnerstagmorgen, am Tag nach dem großen Knall, in der Sondersitzung seiner Fraktion eine Antwort. Eine, die sicherlich beim abendlichen Treffen in seinem Büro erdacht wurde: Der Kanzler soll die Vertrauensfrage so schnell wie möglich stellen, nicht erst Mitte Januar. Dann könne man zumindest reden. Nun hat Scholz den Ball wieder vor den Füßen.

Die Macht der Bilder einkalkuliert

In welche Richtung der schießt, soll sich am Donnerstagmittag zeigen. Merz hatte am Morgen eine SMS vom Kanzler mit einer Gesprächseinladung bekommen. Der Oppositionsführer nimmt sie an und kommt zu Fuß. Die Macht dieser Bilder dürften einkalkuliert sein: Der CDU-Chef auf dem Weg ins Kanzleramt. Die Fotografen überschlagen sich, zwei stürzen sogar.

Das Gespräch dauert knappe 25 Minuten, bis jeder allein vom Platz geht. Scholz will an seinem Zeitplan festhalten und Merz von seiner Forderung nicht zurückweichen. Man gehe nun im tiefen Dissens auseinander, verabschiedet sich der CDU-Chef - und fährt mit dem Auto davon.

Es bleibt also zunächst bei der Pattsituation, die auch in der Union einiges Kopfzerbrechen bereitet. Denn was ist mit den eigenen Gesetzesvorhaben und Anträgen, die CDU und CSU geplant oder bereits in den Bundestag eingebracht haben? Wenn sie einen Austausch mit SPD und Grünen verweigern, warum sollten die dann Vorhaben der Union mittragen?

Die Union zieht ihre Anträge zurück

Hier kommt nun die AfD ins Spiel. Mit ihr, FDP und BSW hätte die Union eine Mehrheit im Parlament. Doch wenn Merz eines vor Neuwahlen nicht gebrauchen kann, ist es, dass die Brandmauer-Diskussion wieder aufflammt.

Wohl auch um jegliche Gefahr dahingehend zu bannen, haben die Unionsspitzen beschlossen, für die verbleibende Sitzungswoche die Tagesordnung zu räumen, also alle Anträge zurückzuziehen. Einer davon war besonders heikel: Das "Zustrombegrenzungsgesetz", mit dem die Union unter anderem Zurückweisungen an der deutschen Grenze durchsetzen wollte. Die AfD hätte diese Gelegenheit wohl kaum liegen lassen, um die Union vor sich herzutreiben. Schlagzeilen wie "Union bringt Gesetz mit AfD-Stimmen auf den Weg" würde man bei der AfD wohl nur zu gern lesen.

Weiter Druck auf Scholz machen

Ob es dieses Gesetz in dieser Wahlperiode noch in den Bundestag schaffen wird, ist also offen. Die Union hat, wie sie sagt, der "Restregierung" eine Karenzzeit gewährt. Bei der Frage, wie lange die dauern soll, also wann CDU und CSU wieder Anträge und Gesetzesvorhaben einbringen und den Parlamentsbetrieb, der gerade so gut wie stillsteht, wieder anheizen werden, bleibt man vage.

Möglicherweise gönnen CDU und CSU sich damit aber vor allem selbst eine Denkpause. Denn es gibt auch Stimmen, die fordern, in den verbleibenden Sitzungswochen gar keine eigenen Vorhaben mit einzubringen. Ein Tagesordnungspunkt steht für die kommende Woche allerdings schon fest: Der Kanzler wird am Mittwoch eine Regierungserklärung abgeben.

Merz und Söder, der extra aus Bayern nach Berlin kommen wird, werden auch im Plenum reden und weiter Druck auf Scholz machen, die Vertrauensfrage zu stellen - und der Situation, die nicht nur für die "Restregierung" heikel ist, ein Ende zu machen.

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