Interview

Interview mit dem neuen tagesthemen-Moderator "Ein bisschen Lampenfieber bleibt"

Stand: 01.08.2013 12:19 Uhr

Am Montag wird Thomas Roth erstmals die tagesthemen moderieren. Im Interview mit tagesschau.de spricht er über Lampenfieber, die Bedeutung des Internets für die Berichterstattung und über eine bewegende Begegnung mit Nelson Mandela.

tagesschau.de: Herr Roth, Sie sind nun seit einigen Tagen in der Redaktion der tagesthemen. Wie sind Ihre ersten Eindrücke von Ihrem neuen Arbeitsumfeld?

Thomas Roth: Ich bin sehr beeindruckt, wie hoch professionell das Nachrichtenzentrum funktioniert. Die tagesthemen haben eine unglaublich gut ausgewählte und kompetente Redaktion. Ich kenne Ähnliches nur von großen US-amerikanischen Sendern. Und: Wie freundlich und offen mich die Kolleginnen und Kollegen empfangen haben, ist wunderbar. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben.

Zur Person
Thomas Roth war u.a. ARD-Korrespondent in Russland und Südafrika. Von 2002 bis 2007 leitete er das ARD-Hauptstadtstudio in Berlin. Jetzt wird der 61-Jährige tagesthemen-Moderator.

tagesschau.de: Am Montag werden Sie erstmals die tagesthemen moderieren. Sind Sie trotz Ihrer Berufserfahrung eigentlich noch nervös?

Roth: Ich habe natürlich schon relativ viel Routine und bin selbst gespannt, ob ich nervös oder angespannt sein werde. Ein bisschen Lampenfieber bleibt aber immer.

tagesschau.de: Sie haben angekündigt, dass Sie gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen an der Sendung feilen wollen, um sie vielleicht noch ein bisschen besser zu machen. Wie könnte das aussehen?

Roth: Die Arbeit an solchen Nachrichtenmagazinen ist immer Millimeterarbeit. Niemand hat den Stein der Weisen, sonst würde es ja jeder gleich machen. Die tagesthemen sind außerordentlich erfolgreich, und wir werden schauen, ob man da und dort gemeinsam im Team das eine oder andere noch machen kann.

"Es hat keinen Sinn, den Stil anderer zu kopieren"

tagesschau.de: Wie wollen Sie persönlich die Sendung prägen? Haben Sie da ein Vorbild?

Roth: Was mich geprägt hat, sind Persönlichkeiten wie Hanns-Joachim Friedrichs, die ich miterleben durfte, sowie amerikanische "Anchormen", wie die Nachrichtenmoderatoren dort heißen. Aber es hat keinen Sinn, den Stil anderer zu kopieren. Jeder ist anders. Das ist einfach ein Prozess einer Biografie, sicherlich sind es auch persönliche Vorlieben und Kompetenzen, die da oder dort auch in Moderationen einfließen werden.

tagesschau.de: Sie arbeiten inzwischen seit mehr als 30 Jahren für die ARD. Als Sie anfingen, arbeiteten Sie noch mit 16-Millimeter-Filmen. Wie hat sich die Berichterstattung seitdem verändert?

Roth: Als ich anfing, gab es viel weniger tagesschauen. Das hat sich geändert: Inzwischen haben wir viel mehr Sendungen und leben in einer digitalen Welt, die es damals gar nicht gab. Korrespondenten und Nachrichtenzentrale arbeiten also mit einer sehr viel höheren Geschwindigkeit als früher. Ich finde das gut, weil es einen präsenter und aufmerksamer macht. Das ist auch wichtig, weil die Zuschauer parallel im Internet andere Angebote finden, die schneller verfügbar sind.

Das heißt aber nicht, dass wir um jeden Preis schnell sein müssen. Wichtig ist, dass die Fakten stimmen, dass es eben auch Hintergrundberichterstattung ist, die wir anbieten. Das ist manchmal auch schwieriger geworden, aber es gibt keinen Weg zurück. Es gibt nur den Weg nach vorn.

"Das Netz ist voller Fakten, aber auch voller Gerüchte"

tagesschau.de: Wie zeitgemäß ist angesichts dieser Entwicklungen noch eine abendliche Nachrichtenzusammenfassung?

Roth: Das haben die Zuschauer längst beantwortet: Die tagesschau ist die meist gesehene Nachrichtensendung im Fernsehen überhaupt in Deutschland. Und die tagesthemen sind erfolgreich. Das heißt, das Angebot stimmt. Es ist auch deshalb immer noch zeitgemäß, weil ich glaube, dass wir in diesen Sendungen eine bestimmte Orientierung liefern können und auch sollen.

Das Netz ist riesig. Es ist voller Fakten, aber auch voller Annahmen, Vermutungen und Gerüchte. Ich glaube, dass der Laie das gar nicht mehr kompetent durchschauen kann. Und deshalb gibt es uns, die die Dinge prüfen und erst dann in der tagesschau und den tagesthemen veröffentlichen, so dass der Zuschauer davon ausgehen kann: Das ist richtig.

tagesschau.de: Sie haben nicht nur positive Erfahrungen mit dem Internet gemacht: 2008 veröffentlichten Sie in der tagesschau ein gekürztes Interview mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Internet erhielten Sie für die Auswahl der Fragen und Antworten viel Kritik. Waren Sie überrascht von der Anzahl und der Heftigkeit der Reaktionen?

Roth: Ja, davon war ich in der Tat überrascht. Es war ja nicht das erste Interview, das ich mit Wladimir Putin gemacht habe. Aber ich finde es natürlich richtig, dass sich Zuschauerinnen und Zuschauer dazu im Netz äußern. Das ist ein Prozess, der sich intensiviert hat.

Wichtig ist nur, dass man genauer hinschaut, wer das eigentlich ist, der sich an solchen Diskussionen beteiligt. Mein Eindruck damals war, dass diese Reaktionen durchaus auch organisiert werden können. Das muss man also prüfen. Aber auch da kann man das Rad nicht zurückdrehen, sondern muss einfach so viel Transparenz wie möglich herstellen. Ich freue mich immer, wenn die Menschen, die sich an der Diskussion beteiligen, nicht anonym bleiben. Das sind wir ja auch nicht: Wir sind öffentlich, wir sind identifizierbar, das ist auch gut so.

"Nelson Mandela hat mich sehr geprägt"

tagesschau.de: Sie waren jahrzehntelang Auslandskorrespondent, haben von vier Kontinenten berichtet: Was war im Rückblick der beeindruckendste Moment, den Sie erlebt haben?

Roth: Wer mich sehr beeindruckt hat, war Nelson Mandela, als er 1990 nach 27 Jahren Haft aus dem Gefängnis kam. Ich hatte damals schon zwei Jahre in Südafrika gelebt und wusste sehr genau, was im Apartheidsregime vor sich geht und was die Geheimpolizei und die Killerkommandos für eine Rolle spielen. Die Versöhnungsbereitschaft, die Mandela vom ersten Tag an gezeigt hat, hat mich überrascht und geprägt bis heute. Das war eine sehr bewegende Begegnung.

tagesschau.de: Und die bedrückendste Erfahrung?

Roth: Bedrückend sind alle Kriegs- und Krisenerfahrungen. Man braucht ziemlich lange, um das zu verarbeiten, was man da sieht. Das fand ich immer sehr schwierig, aber es lässt sich nicht immer vermeiden. Als ich beispielsweise in Moskau anfing, brach zwei Monate später die Sowjetunion zusammen. Es standen Panzer vor dem ARD-Studio, aber auch in der Nähe unserer Wohnung.

Damit rechnet man nicht, aber man nimmt dann seine Aufgabe wahr und berichtet, so gut es geht - wobei mir wichtig ist, zu sagen, dass die ARD einen nie zwingt, in diese Konflikte reinzugehen. Man hat die freie Entscheidung. Ich selbst war immer froh, wenn ich wieder ausreisen konnte, ob es aus Afghanistan war oder aus Grosny in Tschetschenien.

tagesschau.de: Ihre letzte Station als Korrespondent war wesentlich ruhiger: New York. Für Sie ein Traumziel, das Sie sich schon als Student gewünscht hatten...

Roth: Ja. Ich habe Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert und dachte immer: Ob du das in deinem Leben jemals schaffst, in New York zu leben? Es hat rund 35 Jahre gedauert, bis es dann gelungen ist. Es war großartig, vor den Häusern zu stehen, in denen Norman Mailer oder Tom Wolfe gewohnt haben, deren Bücher ich natürlich kannte. Da hatte ich sehr viel Glück und bin der ARD dankbar, dass sie mir die Gelegenheit gegeben hat.

tagesschau.de: Was werden Sie denn am meisten vermissen? Ich weiß, dass Sie ein begeisterter Inline-Skater sind und gern im Central Park Ihre Runden gedreht haben...

Roth: Genau. Im Central Park war es großartig, weil es da eine wunderbare geteerte Straße gibt: den Big Loop, also die große Schleife, die man im Park drehen konnte. Das war toll. Nun schaue ich mal, wo es hier in Hamburg vergleichbare Gelegenheiten gibt. Das habe ich bislang noch nicht rausgekriegt.  

Die Fragen stellte Jan Ehlert, tagesschau.de

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