Interview

Interview zu den Landtagswahlen Abgestraft, aber nicht beschädigt

Stand: 28.03.2011 14:19 Uhr

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben in der politischen Landschaft einiges verändert. Was bedeutet das jetzt für die Arbeit der Regierung? Und werden die Grünen die neue Volkspartei? Antworten gibt der Politologe Frank Decker von der Universität Bonn.

tagesschau.de: Die meisten Parteien sind bei den Landtagswahlen abgestraft worden - auch Union und FDP. Wie sehr ist die Kanzlerin beschädigt?

Decker: Das ist natürlich ein schwerer Schlag ins Kontor, denn es ist auch ein Misstrauensvotum gegen die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Unmittelbare Konsequenzen für die Kanzlerin sehe ich aber nicht. Es wird in der CDU keinen Aufstand geben, der für sie gefährlich werden könnte.

tagesschau.de: Aber wird das Regieren aufgrund der neuen Sitzverteilung im Bundesrat nicht schwieriger?

Decker: Natürlich. Man wird jetzt noch stärker bei zustimmungspflichtigen Gesetzen auf die Opposition zugehen müssen. Aber auch die hat im Bundesrat keine Mehrheit. Hinzu kommt, dass das Regieren mit dem Bundesrat heute leichter ist als früher, weil weniger Gesetze zustimmungspflichtig sind. Die Bundesratskonstellation führt nicht zur Regierungsunfähigkeit.

"Merkel hat Schwarz-Gelb insgeheim bereut"

tagesschau.de: Also sind Neuwahlen kein Thema?

Decker: Neuwahlen würden vermutlich nur das Szenario von 2013 vorwegnehmen und zu einer Wiederauflage der schwarz-roten Koalition führen. Außerdem ist die Situation nicht vergleichbar mit der von Schröder im Jahr 2005. Er hatte nicht nur im Bundesrat die Mehrheit verloren, sondern auch im Vermittlungsausschuss, und konnte deshalb von der Opposition regelrecht vorgeführt werden. Soweit ist es mit Merkel noch nicht. Aber ich denke schon, dass sie insgeheim bereut hat, dass es zu dieser schwarz-gelben Koalition gekommen ist. Denn mit einer FDP in diesem Zustand wird die Regierung die Bundestagswahl 2013 kaum gewinnen können.

Zur Person
Frank Decker ist Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Parteien und Föderalismus.

tagesschau.de: Was sollte denn die Regierung ihrer Ansicht nach machen, um in dieser Legislaturperiode noch etwas zu retten?

Decker: Sie könnte die Landtagswahlen als Hinweis nehmen, dass es beim Thema Energiewende kein Zurückrudern gibt. Es muss natürlich vereinbart werden, wie schnell man den Ausstieg aus der Atomenergie schafft, aber das jetzt noch mal zu revidieren, das wird nach diesen Landtagswahlergebnissen nicht mehr möglich sein.

tagesschau.de: Sie haben die FDP als eigentlich schwachen Punkt in dieser Regierung beschrieben. Stünde die Partei ohne einen Westerwelle an der Spitze besser da?

Decker: Westerwelle trägt die Hauptschuld daran, dass die FDP programmatisch verarmt ist und in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend auf das Thema Steuersenkungen reduziert wurde. Wenn es eine personelle Neuaufstellung gibt, müsste sie folglich mit einer programmatischen Neuaufstellung und Verbreiterung einhergehen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der mehrere Jahre dauert und vermutlich nur in der Opposition funktionieren würde. Von daher gibt es gute Gründe, von einem personellen Wechsel in der derzeitigen Situation abzusehen - zumal sich auch keine wirkliche Alternative zu Westerwelle anbietet.

tagesschau.de: Den größten Schlag hat aber eigentlich die SPD abbekommen. Sie konnte noch nicht einmal davon profitieren, dass sie gegen die Laufzeitzeitverlängerung ist und die Regierungsparteien abgestraft wurden. Woran liegt das?

Decker: Das liegt an der besonderen Situation dieser Wahl, bei der sich kurzfristig das Atomthema nach vorne geschoben hat. Die Wähler bevorzugen in einer solchen Konstellation das Original - und das sind natürlich die Grünen gewesen.

"Die Grünen werden an ihren Versprechen gemessen"

tagesschau.de: Werden die Grünen zur neuen Volkspartei?

Decker: Nein. Dass die Partei jetzt so viele neue Wähler hinzugewonnen hat - viele aus dem bürgerlichen Lager - verdankt sie dem alles überragenden Atomthema. Diese Wähler dauerhaft an sich binden, wird bei einer anderen Themenkonstellation schwierig. Hinzu kommt, dass die Grünen als Regierungspartei an ihren Versprechen gemessen werden. Sie haben zum Beispiel gesagt, dass sie "Stuttgart 21" nicht machen wollen. Aber ob das am Ende auch so realisiert werden kann, ist die Frage. Genauso wenig ist ausgemacht, wie schnell man den Ausstieg aus der Atomenergie tatsächlich hinbekommen kann. Wenn die Grünen hier Kompromisse machen und von ihrem ehrgeizigen Ziel 2017 abrücken müssen, werden sich manche ihrer heutigen Wähler wieder von ihnen abwenden.

Das Interview führte Sonja Stamm, tagesschau.de