Am Flughafen von Kuala Lumpur in Malaysia werden Infobroschüren an Reisende aus China verteilt.
Interview

Coronavirus in China "Eine Pandemie ist möglich"

Stand: 21.01.2020 12:03 Uhr

Die Lungenkrankheit in China ist ein neuer Typ des SARS-Virus - das sagt der Charité-Virologe Drosten im Interview mit tagesschau24. Jetzt müsse schnell gehandelt werden, um eine Ausbreitung zu verhindern.

tagesschau24: Das Virus wird offenbar doch von Mensch zu Mensch übertragen. Und es sind bereits Fälle aus anderen Ländern bekannt. Halten Sie eine weltweite Ausbreitung, also eine Pandemie, für möglich?

Christian Drosten: Ja, ich halte das für möglich. Wir wissen natürlich wenig über diese Erkrankung. Wir wissen gar nicht, was das bedeutet, wenn das zu einer Pandemie wird. Und es gibt ja Viren mit unterschiedlich schweren Verlaufsformen und über diesen Virus wissen wir noch nicht allzuviel.

"Ein neuer Typ des SARS-Coronavirus"

tagesschau24: Es ist die Rede von einer neuartigen Krankheit und eben auch einem neuartigen Coronavirus. Was genau ist neu? Und was ist möglicherweise altbekannt?

Drosten: Dieses Virus speziell ist neu. Es ist allerdings, so kann man das jetzt aus virologischer Sicht auch sehen, ein neuer Typ des SARS-Coronavirus. Das muss man sich einfach klarmachen. Es hat eigentlich eher positive Aspekte. Wir können einiges an der bislang abgelaufenen Forschungsarbeit schon quer verwenden.

Wir haben sehr viele Vorbefunde und müssen daher viel Grundlagenarbeit gar nicht mehr leisten in der Wissenschaft. Andererseits müssen wir die Krankheitsgestalt wirklich ganz neu betrachten. Das heißt nicht, nur weil es mit dem SARS-Virus eng verwandt ist, verläuft auch die Krankheit so schwer wie bei SARS.

Virus stammt wahrscheinlich wieder von Wildtieren

tagesschau24: Aber man muss doch feststellen, SARS ist in neuer Variante nach 17 Jahren zurück. Wie konnte das passieren?

Drosten: Es ist sicherlich etwas überraschend. Man hat durchaus gedacht, dass das Thema SARS für immer abgeschlossen ist, dass dieses Virus ausgemerzt ist. Jetzt kommt es in einer anderen Variante zurück.

Wir können uns schon vorstellen, dass es wahrscheinlich aus einer ähnlichen Quelle kommt, also wieder mal aus Wildtieren, die gehandelt wurden, von Menschen gebraucht wurden für industrielle Zwecke. Das wird sich sicherlich in den nächsten Wochen herausstellen. Die chinesischen Kollegen sind da schon auf der Spur.

"Kompliziert wird es bei den Impfstoffen"

tagesschau24: Bislang ist nur wenig über die Krankheit bekannt. Demzufolge gibt es also auch noch keine Medikamente. Wie lange dürfte es dauern, bis welche entwickelt sind?

Drosten: Bei den Medikamenten glaube ich, dass man die viele Vorarbeit zum SARS-Coronavirus nutzen kann. Es gäbe sogar Medikamente, die gegen das SARS-Virus schon mal ausprobiert worden sind, die sehr vielversprechend aussehen. Komplizierter wird es bei den Impfstoffen werden, wenn man so weit gehen wird.

Wenn man wirklich eine Krankheit hat, gegen die man dann impfen will, weil es eben zu einer Verbreitung gekommen ist, dann muss man sicherlich wieder sehr weit an den Anfang zurückgehen.

tagesschau24: Wie gelang es denn damals, vor 17 Jahren, SARS einzudämmen und würde das heute wieder gelingen?

Drosten: Beim SARS-Coronavirus war die Ausbreitungseffizienz eigentlich relativ gering. Und wir glauben, dass eine Kombination aus Interventionsmaßnahmen gerade in den asiatischen Großstädten, wo sehr rigoros isoliert wurde, aber auch in Kombination mit Virus-Eigenschaften, die günstig waren, dazu geführt haben, dass sich das fast von selbst wieder limitiert hat.

Menschen in Wuhan tragen Atemschutzmasken.

Menschen in Wuhan tragen Atemschutzmasken. Dort ist der neue Virustyp zum ersten Mal nachgewiesen worden.

Nötig war ein großes Bewusstsein in der Bevölkerung der asiatischen Großstädte, beispielsweise in Hongkong, welches dann dazu geführt hat, dass Patienten vor allem bei Beginn der Symptomatik schon früh zum Arzt gegangen sind und dadurch auch früh isoliert werden konnten.

Schwer zu sagen, wie gefährlich der Erreger ist

tagesschau24: Wie gefährlich wird es denn tatsächlich, wenn man mit dem Erreger infiziert ist?

Drosten: Es ist im Moment ganz schwer zu sagen. Man kann sich natürlich jetzt die Statistiken angucken, es gibt vier Gestorbene bei Hunderten Infizierten. Das sagt aber jetzt eigentlich im Moment noch nicht all zu viel aus. Das wäre, wenn das in die Breite ginge, wenn man jetzt sagen würde, in ein paar Wochen haben wir festgestellt, dass verbreitet sich und diese Mortalität ist gleich hoch geblieben, dann wäre das eine sehr schlimme Situation.

Das glaube ich aber nicht. Am Anfang von Infektionsepidemien wird die Gefährlichkeit im Prinzip immer überschätzt. Das liegt einfach daran, dass die auffälligen, besonders kranken Patienten eben erfasst werden und diejenigen, die mild infiziert sind - und die gibt es immer -, die werden erst mal nicht mit erfasst.

tagesschau24: Es gibt ja immerhin schon einen Test zur Erkennung des Virus. Diesen Test haben Sie mitentwickelt. Inwieweit kann der bei der Ausbreitung helfen?

Drosten: Die medizinische Diagnostik, die vom Anschauen des Patienten lebt, die führt uns hier nicht allzu weit. Denn wir sind mitten in der Influenza-Saison auf der Nordhalbkugel, also nicht nur in China. Auch bei uns ist Influenza-Saison, und diese Erkrankung sieht sehr ähnlich aus, bei vielen Patienten wie eine Virusgrippe.

Und wir müssen deswegen eine Probe im Labor untersuchen, um Ja oder Nein sagen zu können, ob es dieses neue Virus jetzt ist oder nicht.

"Mit vereinten Kräften noch versuchen, das Ganze aufzuhalten"

tagesschau24: Die Weltgesundheitsorganisation will morgen auf einem Krisentreffen entscheiden, ob ein internationaler Gesundheitsnotfall ausgerufen werden soll. Was würde das bedeuten? Und ist das aus Ihrer Sicht auch sinnvoll?

Drosten: Ja, aus meiner Sicht ist es sinnvoll, jetzt vielleicht etwas überempfindlich zu reagieren. Denn wir wissen zu wenig und wir sehen gleichzeitig, dass sich das Ganze offenbar eben wirklich verbreitet, und überraschend schnell.

Und wir müssen da jetzt wirklich dieses kleine verbleibende Fenster der Gelegenheit nutzen, um mit vereinten Kräften noch zu versuchen, das Ganze aufzuhalten. Egal, ob wir jetzt schon wissen, dass es gefährlich oder eher mild verläuft.

Das Interview führte Gerrit Derkowski, tagesschau24.