In einem Seniorenheim betreut ein junger Mann im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienstes (BFD) einen Pflegebedürftigen
Interview

Corona und Ältere "Monatelange Isolierung ist unzumutbar"

Stand: 16.04.2020 13:37 Uhr

Gerade ältere Menschen in Pflegeheimen treffen die Corona-Maßnahmen besonders hart. Für sie brauche es Wege, wie Besuche wieder stattfinden könnten, sagt VdK-Präsidentin Bentele im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Seit gestern ist klar, die Kontaktbeschränkungen bestehen vorerst weiter. Was bedeutet das für ältere Menschen und solche, die auf Hilfe angewiesen sind?

Verena Bentele: Der VdK begrüßt zwar, dass der Schutz von Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Behinderungen und von älteren Menschen von der Politik ernst genommen wird. Aber gerade in Bundesländern wie Bayern, wo man nur mit Menschen des gleichen Hausstands rausgehen darf, ist so eine Sperre sehr schwer hinzunehmen. Für Ältere, aber auch für Jüngere unter den mehr als 16 Millionen Alleinlebenden in Deutschland.

Ein großes Problem sind auch die Aufnahmestopps in Pflegeeinrichtungen. Auch jetzt gibt es natürlich ganz viele Gründe, warum Menschen pflegebedürftig werden, wie Schlaganfälle oder Oberschenkelhalsbrüche. Und viele können nicht zu Hause gepflegt werden. Deshalb braucht es weiter die Möglichkeit, dass Pflegeeinrichtungen sie aufnehmen.

Zur Person
Verena Bentele ist seit Mai 2018 Präsidentin des Sozialverbands VdK. Zuvor war sie vier Jahre lang Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Bentele ist von Geburt an blind. Die ehemalige Leistungssportlerin hat zwölf Mal paralympisches Gold im Biathlon gewonnen.

tagesschau.de: Menschen in Alten- und Pflegeheimen sind doppelt betroffen. Einerseits durch das Besuchsverbot, andererseits, weil die Ansteckungsgefahr dort besonders hoch ist, wenn jemand infiziert ist. Wie geht es den Menschen damit?

Bentele: Für viele dieser Menschen ist die Einsamkeit in der jetzigen Situation ein sehr großes Problem. Das beeinträchtigt nicht nur die Psyche unverhältnismäßig, es kann auch Auswirkungen auf die Gesundheit haben.

Gerade Demente können die Situation gar nicht verstehen oder einordnen. Wir haben beispielsweise die Zuschrift eines Ehepaars bekommen, da ist die Frau dement und nimmt nur Essen zu sich, wenn ihr Mann bei ihr ist. In solchen Fällen, müsste der Kontakt ermöglicht werden.

"Besuche mit Schutzausrüstung ermöglichen"

tagesschau.de: Gerade für Risikogruppen besteht die Gefahr ja vermutlich, bis es einen Impfstoff oder vielleicht ein wirksames Medikament gibt. Wie lange halten diese Menschen das durch?

Bentele: Ich bin der Überzeugung, dass wir die Menschen nicht so lange isolieren können, bis es einen Impfstoff gibt. Wir müssen jetzt schnellstmöglich andere Regelungen finden, um ihnen Kontakte zu ermöglichen. Beispielsweise, indem Besuche mit mehr Abstand stattfinden, in größeren Räumlichkeiten oder in Schutzkleidung.

Die Menschen jetzt viele Monate zu isolieren, kann definitiv nicht der Weg sein. Das wäre unzumutbar für Ältere, für Menschen, die dement oder krank sind und vielleicht nicht wissen, wie lange sie noch leben können.

Eine wirklich schlimme Vorstellung ist zudem, dass man jemanden, der im Sterben liegt, nicht mehr sehen kann, um sich zu verabschieden. Bei allem Verständnis für strenge Regeln muss man hier Menschlichkeit und Augenmaß walten lassen.

"Eine Gruppe abschotten, ist keine Option"

tagesschau.de: Es wird der Vorschlag diskutiert, dass Risikogruppen weiter in Quarantäne bleiben, damit die anderen in der Gesellschaft sich wieder freier bewegen können. Was halten Sie davon?

Bentele: Von dieser Idee halte ich gar nichts. Es kann nicht sein, dass wir älteren oder beeinträchtigten Menschen vollkommen die Teilhabe verwehren. Es muss jetzt darum gehen, dass alle Generationen zusammenarbeiten und zusammen anpacken.

Natürlich müssen wir im Blick behalten, dass beispielsweise auch Kinder und Jugendliche wieder in Kitas und Schulen können. Auch da sehen wir bereits gravierende Unterschiede. Kinder, die zu Hause keine gute Unterstützung bekommen durch die Eltern oder weil es an technischen Geräten fehlt, bleiben auf der Strecke.

Wir müssen also Konzepte entwickeln, wie ein Leben mit Corona aussehen kann. Dabei werden alle sich an bestimmte Regeln wie Abstandhalten, Händehygiene und so weiter halten müssen. Aber eine bestimmte Gruppe einfach abzuschotten, ist keine Option.

"Smartphones und Tablets für Pflegeheime"

tagesschau.de: Was braucht es für Menschen in Alten- und Pflegeheimen jetzt am dringendsten?

Bentele: Zunächst mal braucht es genügend Schutzkleidung für das Personal, damit alle bestmöglich vor Ansteckung geschützt sind. Aber auch, um in Zukunft Besuche mit Schutzkleidung und Atemschutzmasken zu ermöglichen. So lange das noch nicht geht, braucht es technische Geräte wie Tablets oder Smartphones, damit die Bewohner zumindest über Anrufe und Videos den Kontakt zu ihren Kindern und Enkeln aufrechterhalten können.

Die Einrichtungen sollten aber auch organisieren, wie sich die Menschen untereinander treffen können, wenn sie gesund sind. Denn auch diese Gespräche und der Kontakt untereinander sind sehr wichtig.

Und auch für ältere Menschen, die zu Hause leben und niemanden haben, der für sie einkaufen geht, braucht es Zuwendungen. Manche lassen sich beispielsweise die Einkäufe jetzt liefern. Dadurch haben sie deutlich höhere Kosten und auch dafür braucht es Unterstützung.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.

Das Interview führte Sandra Stalinski, ARD-aktuell