Sendungsbild
interview

Hotline für besorgte Bürger "Zuhören wirkt"

Stand: 13.03.2017 14:05 Uhr

Die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" sollen helfen, Vorurteile abzubauen. Was das Gespräch und die Begegnung bewirken können, weiß Ali Can. Er hat eine "Hotline für besorgte Bürger" gegründet. Im Interview mit tagesschau24 sagt er: Zuhören wirkt.

tagesschau24: Sie sind als Kleinkind mit Ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland gekommen und studieren jetzt in Gießen Deutsch und Ethik. Montags bis donnerstags von 18 bis 20 Uhr sprechen Sie mit Menschen, die sich vor Flüchtlingen in Deutschland fürchten. Wie kam es dazu?

Ali Can: Ich war genau vor einem Jahr in mehreren ostdeutschen Bundesländern - in Sachsen, Sachen-Anhalt, Thüringen - unterwegs und wollte verstehen, was hinter all dem Rassismus steckt, den ich den Medien gesehen haben. Dabei wurde mir klar, dass der Umgang mit besorgten Bürgern falsch ist. Es wurde pauschal von "Dunkel-Deutschland" gesprochen, ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger wurden als "das Pack" beschimpft - und wir haben selber pauschalisiert, obwohl wir die Generalisierung von rechtspopulistischen Menschen kritisiert haben. Ich habe gemerkt, dass hinter vielen Parolen eigentlich auch Bedürfnisse stecken, dass nicht jeder, der bei Pegida mitmarschiert oder die AfD wählt, wirklich ein Rassist ist. Das aufzudecken und einen Umgang mit solchen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu finden - um das Feld nicht den Radikalen zu überlassen - ist jetzt meine Aufgabe und dafür setze ich mich ein.

Oft zentrale Frage: das Werteverständnis

tagesschau24: Was sind das denn für Menschen, die bei Ihrer "Hotline für besorgte Bürger" anrufen?

Can: Das sind die unterschiedlichsten Menschen. Menschen, die Sorgen, Ängste, Zweifel oder einfach Fragen haben. Es rufen auch Ehrenamtliche an, die zum Beispiel Flüchtlingskurse geben und sagen: 'Ich bin jetzt konfrontiert mit einer Familie. Ich helfe der gern, aber es gab jetzt eine irritierende Situation. Der Mann wollte mir die Hand nicht geben. Oder sie reden nicht mit mir. Wie gehe ich jetzt damit um? Liegt es an mir? Gibt es kulturelle Unterschiede?' Manche Menschen rufen an und fragen mich nach dem Islam. Also, es ist ein ganz wichtiger Themenkomplex.

Viele Menschen zweifeln oder sorgen sich, dass die Geflüchteten Werte mitbringen oder ein Rechtsverständnis - zum Beispiel aus Saudi-Arabien oder Algerien -, das mit unseren freiheitlich-demokratischen Werten nicht kompatibel ist. Und diese Angst geht weiter. Viele Menschen fragen mich, 'Herr Can, glauben Sie, dass die Integration klappen könnte? Menschen, die Burka tragen, Menschen, die Kopftücher tragen, - die sind doch nicht zu vereinbaren mit unseren deutschen Werten?' Da versuche ich zu sensibilisieren. Es geht dann auch um Themen wie: Was ist denn eigentlich überhaupt deutsch? Was ist denn das christliche Abendland, von dem du sprichst?

In einem Frage-und-Antwort-Gespräch versuchen wir, das gemeinsam zu erörtern. Ein Gespräch sieht ungefähr so: Jemand sagt: 'Ich bin gegen die Islamisierung des Abendlandes.' Und ich frage dann: "Wenn Sie dagegen sind, für was sind Sie auf der anderen Seite?'. Die Antwort könnte dann lauten: 'Ich bin für christliche Werte, für die zehn Gebote.' Und da horche ich auf und sage: 'Ah, Sie sind für die Gebote? Meint das nicht auch so etwas wie Nächstenliebe?' Das wird dann oft bejaht, auch wenn mein Gesprächspartner einen Moment zögert. Wir müssen einfach verstehen, was unsere Werte sind. Wenn wir etwas kritisieren, müssen wir klarmachen, von was für einem Werteverständnis wir ausgehen. Was ist denn die "deutsche Leitkultur"? Viele merken in den Gesprächen, dass es eigentlich ziemlich undeutsch ist, rassistisch zu sein, weil hier in Deutschland das Grundgesetz jedem freiheitlich-demokratische Rechte zusichert und klarstellt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

"Eigenes Ego zurücknehmen"

tagesschau24: Wie emotional kann ich mir denn solche Telefongespräche vorstellen? Gibt es da auch Hasstiraden und Beschimpfungen gegen Flüchtlinge? Das stelle ich mir dann schwierig vor. Ballt man da nicht die Faust in der Tasche?

Can: Es ist ganz wichtig, dass wir unser Ego zurücknehmen. Wenn wir mit Menschen reden, die Ängste, Sorgen und Zweifel haben, müssen wir auch eine bestimmte Haltung einnehmen. Wir müssen uns als eine Gesellschaft verstehen, in der es zunächst auch Gräuel und rassistische Parolen geben kann. Wir dürfen nicht "zumachen", weil sich die Menschen sonst verschließen und die Fronten sich verhärten. Also gilt es, erstmal nur zuzuhören und einen Raum zu bieten - jenseits von richtig und falsch. Ich versuche also, sehr gelassen zu sein und zuzuhören.

Es gibt tatsächlich manche Menschen, die erst einmal Dampf ablassen. Aber das ist zunächst auch in Ordnung, weil sich da etwas aufgestaut hat. Denn es gibt gar nicht viele Plattformen, auf denen man sich einfach nur echauffieren kann, ohne gleich als rechts oder rassistisch abgestempelt zu werden. Das ist die Besonderheit. Viele Menschen erzählen dann nämlich weiter und wenn sie ihre Sorgen konkretisieren zeigt sich, dass sie mit Strukturen Probleme haben, dass es ganz konkrete Fragen gibt. Das kann man aber erst herausfinden, wenn man einen bestimmten Zugang zu Menschen hat. Und das heißt: Erst einmal zuzuhören, statt etwas zu entgegnen.

Diskussionskultur fördern

tagesschau24: Oft ist es ein einmaliges Telefonat. Was, denken Sie, können Sie auch langfristig bei den Menschen bewirken?

Can: Ich möchte zunächst einmal dafür sorgen dass klar wird, dass wir eine wertschätzende Haltung in unserer Kommunikation brauchen. Wir müssen uns als eine deutsche Gesellschaft verstehen und dürfen nicht dabei zusehen, wie das Land sich spaltet aufgrund der Flüchtlingsfrage. Ich möchte erreichen, dass wir eine Diskussionskultur haben, die sich auch auf Fakten stützt, die wertschätzend ist und in der wir gemeinsam Themen erörtern können.

Für mich heißt, auf Augenhöhe zu sprechen, dass man auch zulässt, dass der andere seine Sorgen äußert und dass dafür nicht pauschal abgestempelt wird. Ich möchte gleichzeitig dafür sensibilisieren, dass wir mehr "Migranten und Muslime des Vertrauens" brauchen - Menschen, die ihr Gesicht zeigen. Denn Berührungsängste, Vorurteile, das resultieren ganz oft aus einem diffusen Bauchgefühl. Wenn ich dann bei Pegida bin oder mich mit AfD-Funktionären treffe, dann merke ich, dass diese Begegnungen einiges bewirken. Denn viele merken: 'Ok, das war ein ehemaliger Asylsuchender, der ist aber jetzt super integriert, spricht hochdeutsch. Und vielleicht haben das ja auch andere geschafft.'

Allen Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund sage ich also: Wir müssen öfter raus - und nicht nur am "Tag der offenen Moschee"!

Das Interview führte Ina Böttcher, tagesschau24

Uhr Title">dieses Dieses 11:00 24 13 Im 2017 über Thema Programm: Thema Class="sendungsbezug Um