Hintergrund

Hauptausschuss soll Parlamentsarbeit gewährleisten "Ein Stück aus dem Tollhaus"

Stand: 25.11.2013 03:37 Uhr

Der schwarz-rote Koalitionspoker zieht sich in die Länge, die parlamentarische Arbeit liegt lahm. Ein neues Supergremium soll den Betrieb im Bundestag wieder zum Laufen bringen. Die Opposition reagiert empört, Verfassungsrechtler haben Bedenken.

Von Simone von Stosch, tagesschau.de

Bleierne Zeit im politischen Berlin. Acht Wochen sind seit den Wahlen vergangen, fünf Wochen haben Union und SPD verhandelt: in Arbeits- und Steuerungsgruppen, in kleinen und großen Runden, in Sechs-Augen-Gesprächen. Die Verhandlungen waren zäh. Nun steht der Koalitionsvertrag zwar, doch der Mitgliederentscheid der SPD steht noch aus.

Und das Parlament? Seit der konstituierenden Sitzung des Bundestags am 22. Oktober sind die frisch gewählten Volksvertreter weitgehend arbeitslos. 631 Abgeordnete sitzen in der Warteschleife, drehen Däumchen. Auf Kosten der Steuerzahler. "Wir werden bezahlt, aber dürfen nicht arbeiten", grummelt Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei.

SPD und Union wollen dem Warten ein Ende machen. Ein neu einberufener Hauptausschuss soll bis zur Regierungsbildung über Gesetze, Anträge und Initiativen beraten - und die Lähmung des Parlaments beenden. Das Supergremium auf Abruf besteht aus über 40 Abgeordneten aus allen Fraktionen - ein Novum in der Geschichte des Bundestags. In der parlamentarischen Ordnung ist solch ein Gremium nicht vorgesehen. Wie kam es also zu diesem Superausschuss?

Auffangbecken für unliebsame Anträge?

Vergangene Woche im Bundestag: Sondersitzung zur NSA-Spähaffäre. Grüne und Linkspartei brachten Entschließungsanträge ein, welche die SPD in die Bredouille brachten. Sie hatte vor der Wahl die Union in Sachen NSA heftig attackiert, nun aber will sie mit ihr auf die Regierungsbank. Die SPD wollte eine Abstimmung über Anträge, denen sie vor der Wahl zugestimmt hätte, unbedingt vermeiden. Das geht laut parlamentarischer Ordnung nur, wenn die Anträge in die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden. Die aber gibt es noch nicht, weil Union und SPD deren Einsetzung blockierten. Was also tun?

Die künftigen Koalitionäre beschlossen mit ihrer breiten Mehrheit kurzerhand, die NSA-Anträge in einen "Hauptausschuss" zu überweisen. Nur: Auch den gab es noch nicht. Seine Gründung wurde erst zwei Tage später offiziell beschlossen.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, nennt dieses Vorgehen gegenüber tagesschau.de "ein Stück aus dem Tollhaus". Sie glaubt, dass der neue Hauptausschuss "als Auffangbecken für alle unliebsamen Initiativen der Opposition dienen soll, die man im Plenum vorerst nicht haben will". 

Nur zwei Wochen soll es das neue Supergremium geben

Allerdings geht es nicht nur um aktuelle Initiativen. Die Verlängerung der Bundeswehrmandate, Petitionen und das Steuergesetz aus dem Bundesrat müssten dringend vor Jahresende verabschiedet werden. Dazu braucht es laut parlamentarischer Ordnung eine vorbereitende Ausschussarbeit. Bundestagspräsident Norbert Lammert hält deshalb den neuen Hauptausschuss für eine prima Sache. Damit sei die Beratung und Verabschiedung von Gesetzesinitiativen sichergestellt, der Bundestag sei also arbeitsfähig. 

Läuft alles nach Plan von Union und SPD, dann hätte sich das neue Gremium nach zwei Wochen Arbeit schon wieder erledigt - mit der Wahl der Kanzlerin am 17. Dezember und der Bildung der neuen Regierung. Wozu dann aber der Aufwand? Und wie sollen sich Abgeordnete innerhalb von zwei Wochen in hoch komplexe Themen einarbeiten, mit denen sich normalerweise Fachpolitiker samt deren Mitarbeitern über lange Zeit herumschlagen? Kann solch ein Ausschuss qualifizierte Arbeit leisten?

Linkspartei hält Hauptausschuss für grundgesetzwidrig

Es gibt aber auch verfassungsrechtliche Bedenken. Die Einrichtung eines solchen Ausschusses sei an keiner Stelle geregelt, gibt der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, gegenüber tagesschau.de zu bedenken: "Wenn ein Hauptausschuss das berät, wofür das Grundgesetz bestimmte Fachausschüsse vorsieht, ist das grundgesetzwidrig."  

Ähnlich sieht es der Verfassungsrechtler Hans Meyer. Der Hauptausschuss könne und dürfe keine der im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehenen Ausschüsse ersetzen.

Die Linkspartei fordert, statt eines Hauptausschusses endlich die wichtigen Fachausschüsse einzurichten. Diese können erst gebildet werden, wenn der Zuschnitt der neuen Ministerien bekannt ist, meinen SPD und Union. Verfassungsrechtler Meyer allerdings vermutet im Gespräch mit tagesschau.de einen anderen Grund für deren Blockade: "Auch die Auswahl der Ausschussvorsitzenden und Parlamentarischen Staatssekretäre gehört ja mit zur Verhandlungsmasse im Koalitionspoker."

 

Seiner Meinung nach ist der neue provisorische Superausschuss kein geeignetes Mittel, um die Lähmung des Parlaments aufzulösen und den Stillstand zu beenden. Der Verfassungsrechtler bemängelt, die Koalitionsverhandlungen würden "höchst unglücklich in die Länge gezogen".  Sein Votum: den Verhandlungspoker beenden, den Koalitionsvertrag unter Dach und Fach bringen. Und mit der Arbeit beginnen. Dann brauche es keinen rechtlich fragwürdigen Superausschuss.

Und wenn die Koalitionsverhandlungen platzen, es zu Neuwahlen oder neuen Verhandlungen kommt? Das Parlament müsse dann trotzdem arbeitsfähig werden und endlich seine Ausschüsse einberufen, so der Rechtsexperte.

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