Annegret Kramp-Karrenbauer
FAQ

Hintergrund Wie sinnvoll ist eine Dienstpflicht?

Stand: 28.11.2019 17:20 Uhr

Es war Kramp-Karrenbauers erster wichtiger Akzent als Generalsekretärin: Die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht für gemeinnützige Arbeit. Wie sinnvoll ist das und wo lauern Probleme?

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

Worum geht es bei der allgemeinen Dienstpflicht?

Gemeint ist ein Pflichtjahr für gemeinnützige Tätigkeiten für junge Frauen und Männer, analog zur früheren Wehrpflicht beziehungsweise dem Zivildienst. Abzuleisten wäre es nach der Schulzeit, etwa der Bundeswehr, im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich. Mögliche Einsatzorte wären beispielsweise Pflegeeinrichtungen, die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk.

Welche Idee steckt hinter dem Vorstoß?

Im August 2018 hat Annegret Kramp-Karrenbauer, damals noch CDU-Generalsekretärin, eine Debatte zu einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen angestoßen. Die Idee hatte sie von ihrer "Zuhör-Tour" an der Parteibasis mitgebracht. Kramp-Karrenbauer geht es dabei um die Bindung des Bürgers an den Staat. Angesichts des Aufstiegs des Populismus müsse man sich die Frage stellen: "Gibt es überhaupt noch einen Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält?"

In etwa die gleiche Idee verfolgt der Bundesfreiwilligendienst, der 2011 eingeführt wurde und aktuell von etwa 40.000 Menschen pro Jahr absolviert wird. Der Dienst trat an die Stelle der im gleichen Jahr ausgesetzten allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes, ist aber, wie der Name schon sagt, ein rein freiwilliges Angebot.

Welche Schwierigkeiten gibt es?

Ohne eine Grundgesetzänderung wäre eine allgemeine Dienstpflicht wohl nicht möglich. Denn nach den Erfahrungen von Zwangsarbeit unter den Nazis wurde im Grundgesetz in Artikel 12 festgeschrieben:

Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Gestritten wird nach einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2018 über die Deutung von "herkömmlich". Eine Grundgesetzänderung, beispielsweise durch Streichen des Wörtchens "herkömmlich" oder die Erweiterung des Artikels, wäre zwar möglich. Allerdings wäre dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Und die ist momentan nicht abzusehen.

Welche politischen Reaktionen gibt es?

In der Union stößt der Vorschlag auf ein gemischtes Echo. Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) nannte eine Dienstpflicht einen "schönen Gedanken". Eine Umsetzung wäre aber "nicht ganz einfach". Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und NRW-Regierungschef Armin Laschet äußerten Bedenken. Zwar begrüßte Laschet grundsätzlich, dass sich Kramp-Karrenbauer für mehr Dienst und soziales Engagement einsetze, sagte aber: "Ich habe generell meine Zweifel, ob es klug ist, 18-Jährige zwangszuverpflichten, etwas Soziales zu tun."

Auch die FDP lehnte eine allgemeine Dienstpflicht entschieden ab. "Statt unverhältnismäßig in die Freiheit junger Menschen einzugreifen, sollte die Union bessere Anreize für den Bundesfreiwilligendienst auf den Weg bringen", forderte beispielsweise Fraktionsvize Stephan Thomae. Nicht der Bürger diene dem Staat, sondern der Staat dem Bürger.

Auch die Linksfraktion wandte sich gegen einen verpflichtenden Dienst. "Zwangsdienste sind nach europäischem Recht verboten", erklärte Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte. Er forderte die Union auf, in der Regierung dafür zu sorgen, "dass die bestehenden freiwilligen Dienste ausgebaut und attraktiver für junge Menschen werden". Die Antwort auf den Mangel an Pflegekräften könne "nicht in der Einführung eines neuen Niedriglohnsektors und der schrittweisen Rückkehr zur Wehrpflicht bestehen".

Welche weiteren Bedenken gibt es?

Hinter dem Vorstoß steckt eine ganz entscheidende Zukunftsfrage, findet Maria Wersig, Professorin für rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Dortmund. "Nämlich die Frage, wie sozialer Zusammenhalt gestärkt, Empathie gefördert und wichtige Arbeit in der Gesellschaft geleistet wird", sagt sie im Gespräch mit tagesschau.de. Dazu Menschen zu zwingen, hält sie für das falsche Instrument.

Gerade auch vor dem Hintergrund bestehender Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sei das problematisch. "Frauen leisten ohnehin schon sehr viel stärker unbezahlte Arbeit in der Gesellschaft als Männer. In den Familien ist es laut aktuellem Gleichstellungsbericht doppelt so viel unbezahlte Arbeit", gibt sie zu bedenken. Der Umkehrschluss könne aber nicht sein, einen solchen Dienst nur für Männer einzuführen. "Dann würden sich Rollenmuster nur weiter manifestieren." Stattdessen müsse es Ziel sein, durch Anreize zu mehr gesellschaftlichem Gleichgewicht und mehr Engagement zu kommen.

Die Kritik der Wohlfahrtsverbände geht in eine ähnliche Richtung. "Wir machen sehr gute Erfahrungen mit Freiwilligendienstleistenden - ihre Motivation und ihre Begeisterung sind Kraftquellen für unsere Arbeit", sagt beispielsweise Caritas-Präsident Peter Neher. Eine Dienstpflicht hält er aber für den falschen Weg. Vielmehr seien Freiheit und Freiwilligkeit die besten Voraussetzungen für eine solche Arbeit.

Was wären mögliche Alternativen?

Freiheit und Freiwilligkeit sind für Caritas-Präsident Neher die besten Voraussetzungen für einen gemeinnützigen Dienst. Er fordert, dass solche Arbeit "auskömmlich finanziert" wird. Priorität müsse haben, dass die Dienstleistenden Anerkennung finden. Beispielsweise sollten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, freiwilliges Engagement bei der Bewerbung um einen Studienplatz oder im Beruf anzuerkennen.

Auch Kramp-Karrenbauer denkt inzwischen in diese Richtung. Die Idee eines Pflichtjahres, die ihr als Generalsekretärin zur Profilierung verhalf, könnte ihr als mögliche Kanzlerkandidatin sogar hinderlich sein, da es absehbar keine gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt. Deswegen lässt sie derzeit offen, ob ein solches Dienstjahr tatsächlich verpflichtend oder freiwillig sein sollte. Wenn freiwillig, müsse man auch darüber nachdenken, mit welchen Anreizen diese Freiwilligkeit gefördert werden könne, und was das kosten würde, sagte die CDU-Parteichefin.

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