Annalena Baerbock (L), Grünen-Vorsitzende, und Katrin Göring-Eckard, Grünen-Fraktionschefin, jubeln nach der Bekanngabe der ersten Prognose für die Europawahl.

Europawahl in Deutschland Grüne hängen SPD ab

Stand: 26.05.2019 21:59 Uhr

Historische Niederlagen für Union und SPD, Triumph für die Grünen: Bei der Europawahl in Deutschland trifft es die SPD besonders hart - sie stürzt ab. Die Union bleibt trotz Verlusten stärkste Kraft. Klarer Wahlsieger sind die Grünen: Sie gewinnen zweistellig.

Die Parteien der Großen Koalition in Deutschland haben bei der Europawahl historisch schlecht abgeschnitten. Dennoch blieb die Union stärkste Kraft - trotz erheblicher Verluste. Die ARD-Hochrechnung sieht CDU und CSU zusammen bei 28,3 Prozent. Davon entfallen 22,2 Prozent auf die CDU und 6,1 Prozent auf die CSU. Vor fünf Jahren hatte die CDU 30,0 Prozent und die CSU 5,3 Prozent erreicht.

Manfred Weber greift nach dem Top-Job in Brüssel

Die Union war diesmal erstmals mit einem gemeinsamen Programm und dem nationalen Spitzenkandidaten Manfred Weber in den Europawahlkampf gezogen. Weber ist zugleich europäischer Spitzenkandidat der christlich-konservativen Parteienfamilie EVP und damit ein Anwärter auf den Top-Job in Brüssel: Weber möchte Kommissionspräsident werden.

Die Union habe ihr Wahlziel erreicht, stärkste Kraft zu werden, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Und die EVP werde voraussichtlich stärkste Kraft im Europaparlament. Dies untermauere den Anspruch, dass EVP-Spitzenkandidat Weber neuer Präsident der EU-Kommission werde. Ähnlich äußerte sich CDU-Vizechefin Ursula von der Leyen in der ARD. Weber stehe "in der Pole Position".

SPD verliert zweistellig

Für die SPD endet die Europawahl im Fiasko - und mit zweistelligen Verlusten. Kamen die Sozialdemokraten vor fünf Jahren noch auf 27,3 Prozent, stürzen sie jetzt auf 15,6 Prozent ab - Negativrekord. Eine herbe Enttäuschung für Spitzenkandidatin Katarina Barley, aber auch eine Niederlage für Parteichefin Andrea Nahles, die die bisherige Justizministerin Barley zur Spitzenkandidatur gedrängt hatte.

Nahles nannte das Ergebnis "extrem enttäuschend". Ähnlich äußerte sich SPD-Vize Olaf Scholz. In der ARD wandte er sich zudem klar gegen Personaldebatten: "Der Ruf nach personellen Konsequenzen führt nicht weiter", so Scholz. In den vergangenen Tagen war Parteichefin Nahles massiv unter Druck geraten.

Barley selbst erklärte: "Ich habe alles gegeben, was ich konnte. Mehr ging nicht." Ein Grund für das schlechte Abschneiden ihrer Partei seien auch Versäumnisse beim Thema Klimaschutz.

Grün gewinnt zweistellig

Ein großer Gewinner dieser Wahl sind der ARD-Hochrechnung zufolge die Grünen. Sie ziehen an der SPD vorbei und werden mit 20,3 Prozent neue zweitstärkste Kraft. Damit legt die Partei zweistellig zu - 2014 war sie bei 10,7 Prozent gelandet. Spitzenkandidatin Ska Keller sprach von einem "sensationelles Ergebnis" und einer "grandiosen Teamleistung". "Für uns ist es ein Auftrag und eine Verantwortung die Dinge umzusetzen, vor allem im Klimaschutz", fügte sie in der ARD hinzu.

Die Linkspartei kommt auf 5,4 Prozent und verliert damit rund zwei Prozent im Vergleich zu 2014 (7,4 Prozent). Sie war mit den Spitzenkandidaten Özlem Demirel und Martin Schirdewan in den Wahlkampf gezogen und setzte sich für einen Neustart in Europa ein, hin zu mehr Solidarität und weniger Profitstreben.

Linken-Parteichef Bernd Riexinger reagierte enttäuscht auf das Abschneiden seiner Partei. Europawahlen seien für seine Partei noch nie ein einfaches Feld gewesen, sagte Riexinger im ZDF. Trotzdem habe seine Partei ein "besseres Ergebnis erwartet und verdient gehabt". Ähnlich äußerte sich Spitzenkandidat Schirdewan.

AfD und FDP legen zu

Die AfD kann zulegen, jedoch weniger als in Umfragen vorhergesagt. Die Rechtspopulisten erreichen 10,8 Prozent - vor fünf Jahren lag die AfD bei 7,1 Prozent. Spitzenkandidat Jörg Meuthen, seit Ende 2017 im Europaparlament, war bislang der letzte von einst sieben AfD-Abgeordneten. Die AfD trat mit dem Ziel an, das Europaparlament abzuschaffen. "Wir gehen nach Brüssel, um die EU zu reparieren, um sie auf ihre Kernaufgaben zu reduzieren", sagte Meuthen. Die AfD habe in Brüssel jetzt eine "bärenstarke Gruppe". Man werde auch in der EVP Partner suchen, etwa die Fidesz-Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

Die FDP kann ihr Ergebnis von 2014 ebenfalls verbessern. Sie kommt nun auf 5,4 Prozent - nach 3,4 Prozent im Jahr 2014. Angetreten ist sie mit Nicola Beer als Spitzenkandidatin. Die ehemalige FDP-Generalsekretärin ist bislang in Brüssel unerfahren, in den Europawahlkampf ging sie innerparteilich angeschlagen. Parteichef Christian Lindner sah das Ergebnis dennoch positiv: "Wir sind heute Abend kein großer Wahlgewinner, aber wir sind ein kleiner Wahlgewinner."

Sieben kleine Parteien erringen Mandate

41 Parteien und Vereinigungen stellten sich zur Wahl. Eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es für die Europawahl in Deutschland derzeit nicht, daher können erneut auch kleine Parteien Mandate erobern und Abgeordnete nach Brüssel beziehungsweise Straßburg schicken. Laut Hochrechnung können sieben kleine Parteien Mandate erringen: Die Freien Wähler, Piraten, Tierschutzpartei, Volt, ÖDP, Familie und Die Partei.

Rekord-Wahlbeteiligung

Das Interesse an der Europawahl war diesmal so hoch wie lange nicht. Hochrechnungen zufolge lag sie bei über 60 Prozent - das wäre Rekord seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1994 lag sie bei 60 Prozent, danach nahm sie stetig ab.

Ebenfalls im Gegensatz zu vorangegangenen Europawahlen war diese Wahl keine Denkzettelwahl für die Bundesregierung, sondern laut einer Vorwahlerhebung von Infratest dimap eine Wahl für Europa. Der Brexit, die Regierungskrise in Österreich, rechtspopulistische Regierungen wie in Italien oder Ungarn - all das mobilisierte offenbar viele Menschen in Deutschland, für das europäische Projekt Partei zu ergreifen.

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