Ein KFZ-Techniker in einer Autowerkstatt hält die Abdeckung vor einem vom Abgasskandal betroffenen TDI-Dieselmotor.
interview

Abgasskandal Das bringt die Diesel-Nachrüstung

Stand: 01.10.2018 16:48 Uhr

Um den Schadstoffausstoß von Dieselautos zu senken, ist ihre Nachrüstung eine viel diskutierte Option. Martin Gent erklärt, wie sie funktioniert und was sie bringt.

tagesschau.de: Immer wieder fällt der Begriff "Nachrüstung" für die Abgasanlagen von Dieselautos. Was heißt das?

Martin Gent: Es gibt nicht den einen Filter, den man in den Abgasstrang von Dieselautos einbauen kann, um ihn sauber zu machen, sondern meist werden verschiedene Techniken kombiniert. Da ist zum einen das Software-Update, das für fünf bis sechs Millionen Autos in Deutschland angekündigt war: Zum Beispiel wird Manipulationssoftware, die sie an Bord hatten, dadurch lahmgelegt.

Die Hardware-Nachrüstung läuft auf Systeme zur Abgasreinigung hinaus. Sie arbeiten meist mit AdBlue - einer wässrigen Harnstofflösung, die in das Abgas eingespritzt wird, damit reagiert und in der Folge den Stickoxid-Ausstoß von Dieselfahrzeugen senkt.

tagesschau.de: Was muss bei dieser Art der Abgasreinigung in das Auto eingebaut werden?

Gent: Wenn die Technologie vom Werk aus eingebaut ist, wird AdBlue direkt in den Abgasstrang eingespritzt - möglichst motornah, weil es dort warm ist. Denn die Technologie funktioniert erst ab 150 bis 200 Grad richtig gut. Bei Nachrüstungen kann man das System aus Platzgründen oft nicht motornah einbauen. Nötig ist dann eine elektrische Heizanlage, die AdBlue überhaupt in einen reaktionsfähigen Zustand versetzt - also mit elektrischer Energie zu Gas macht.

Dann muss natürlich ein AdBlue-Tank eingebaut werden, den man nachfüllen kann, zum Beispiel in der Reserverad-Mulde. Und um Abgas und AdBlue zusammenzuführen, braucht man einen SCR-Katalysator - eine Art beschichteter Keramikkörper, in dem die Reaktion stattfindet. Weil der Raum im Fahrzeug oft begrenzt ist, versuchen Firmen beispielsweise den klassischen Diesel-Partikelfilter gegen einen Kombifilter auszutauschen, der sowohl die Diesel-Partikelfilterfunktion als auch die Funktion des SCR-Katalysators erledigt.

tagesschau.de: Sind solche Umbauten am Auto ohne weiteres möglich?

Gent: Das Problem ist, dass alle Autos eine Typgenehmigung haben - eine offizielle Zulassung. Wenn man im Abgasstrang große Veränderungen vornimmt, müsste diese Typgenehmigung unter Umständen erneuert werden. Dann ist das Kraftfahrbundesamt gefordert, ganz schnell die Genehmigung von Fahrzeugen mit entsprechender Technik zu regeln.

Euro5-Diesel meist dreckiger als ihre Vorgänger

tagesschau.de: Lohnt sich eine technische Nachrüstung denn bei allen Diesel-Modellen?

Gent: Die Euro-4-Diesel sind schon so alt, dass fraglich ist, ob in sie noch so viel Geld investiert werden sollte. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass man Nachrüstprogramme für Euro-5-Diesel anbietet - also Autos, die zwischen 2011 und 2015 auf den Markt kamen. Interessanterweise sind sie in puncto Stickoxid-Ausstoß deutlich dreckiger als ihre Vorgänger.

tagesschau.de: Warum?

Das hängt damit zusammen, dass die Hersteller sich bemüht haben, den Spritverbrauch gleichzeitig mit dem CO2-Ausstoß zu senken - wenn man das erreichen will, muss man aber deutlich mehr in die Abgasreinigung investieren. Das haben die Hersteller versäumt.

Fast jedes dritte Dieselauto, das auf der Straße herumfährt, ist ein Euro-6-Diesel, das sind 4,5 Millionen Autos. Davon sind längst nicht alle wirklich sauber. Man hat sie nach Bekanntwerden des Abgasskandals auf den Markt geworfen, obwohl Industrie und Politik es besser wussten. Deshalb muss es auch für sie Nachrüstprogramme geben. Vielleicht kann man hier auch mit Software-Updates noch mehr erreichen als bei den Vorgängern, weil sie schon eine SCR-Katalysator-Technologie eingebaut haben.

tagesschau.de: Gutachter haben Zweifel, dass die Umrüstung von Dieselfahrzeugen funktioniert. Welche Bedenken gibt es?

Gent: Die Abgasreinigung in einem modernen Dieselfahrzeug ist ein Zusammenspiel vieler Komponenten. Wenn man da eingreift - und das sehen auch die Autohersteller als Herausforderung - kann man unter Umständen dieses Zusammenspiel der Komponenten stören. Das Bundesverkehrsministerium hat sich Anfang September in einem sogenannten Faktencheck die Bedenken der Hersteller zu eigen gemacht. Die vier zentralen Argumente gegen eine Nachrüstung lauten: Es dauere zu lange. Es sei zu teuer - die Rede ist von bis zu 5000 Euro pro Auto. Der Spritverbrauch steige dadurch. Und die Technik des Motors werde massiv beeinflusst - das heißt, seine Leistung lasse dadurch nach.

tagesschau.de: Und beim Software-Update?

Gent: Ob das Software-Update Schäden provoziert oder die Gebrauchsdauer eines Autos verringert, ist pauschal nicht zu beantworten. Es gibt vereinzelte Berichte in der Motorpresse darüber, dass Fahrzeuge seit dem Software-Update nicht mehr so gut funktionieren: der Kraftstoffverbrauch sei gestiegen und bei Problemen gebe es Streit mit den Werkstätten, ob nun das Update die Schadensursache ist oder der Fehler unabhängig davon entstanden ist.

Fahrverbots-Schild in der Hamburger Max-Brauer-Allee

Ein Fahrverbotsschild für ältere Dieselmotoren in Hamburg.

"Ein Baustein, ein Schritt auf dem Weg zu sauberer Luft"

tagesschau.de: Wurde die Wirksamkeit der Updates denn schon getestet?

Gent: Der ADAC hat in Langzeittests vier Fahrzeuge mit Systemen verschiedener Hersteller nachgerüstet und über 10.000 Kilometer lang erprobt  - und vor einigen Wochen verkündet: Es funktioniert. Innerorts seien die Abgase um 70 Prozent sauberer, außerhalb um bis zu 90 Prozent.

Zu bedenken ist aber: Der Test soll noch laufen bis zum Frühjahr 2019. Jetzt kommt der Winter mit niedrigen Temperaturen. Das ist für die Abgasreinigungssysteme eine größere Herausforderung, weil sie schlechter laufen, je kälter es ist. Bei manchem Hersteller bedeutet "kalt" schon 17 Grad. Es ist jetzt noch nicht abzusehen, wie gut die nachgerüsteten Reinigungssysteme dann funktionieren.

tagesschau.de: Kann das für die Dieselbesitzer zum Problem werden -  wenn ihr Auto trotz Nachrüstung nicht sauberer geworden ist?

Gent: Für den Autofahrer stellen sich zwei unterschiedliche Fragen. Zum einen: Werde ich von Fahrverboten betroffen sein? Wahrscheinlich wird die Politik eine Regelung finden, mit der alle Fahrzeuge, die nachgerüstet wurden, von Fahrverboten ausgenommen sind. Die andere Frage ist: Wie emissionsarm ist das Fahrzeug wirklich? Es wird sauberer werden, aber oft nicht so sauber wie ein gutes neues Auto.

tagesschau.de: Ist die Diesel-Umrüstung ein Nullsummenspiel mit der Schadstoffbilanz und dem Energieverbrauch, bei dem der Umwelt am Ende nicht geholfen wird?

Gent: So würde ich das nicht sagen. Ungefähr die Hälfte der Diesel-Wagen, nämlich alle Euro-6-Fahrzeuge und viele Euro-5-Fahrzeuge, kommen ja prinzipiell für eine Nachrüstung infrage. Wenn man das macht, werden die Emissionen im Schnitt sauberer und das wird auch an den Messstellen, an denen die Grenzwerte so massiv überschritten werden, ein Stück weit helfen.

Nach Kalkulationen des Umweltbundesamtes hilft es aber voraussichtlich nicht so viel, als dass dann unmittelbar die Grenzwerte eingehalten werden. Die Umrüstung aller betroffenen Diesel wird ja mehrere Jahre dauern. Das ist nur ein Baustein, ein Schritt auf dem Weg zu sauberer Luft.

tagesschau.de: Das Bundesverkehrsministerium favorisiert offenbar eine Umtausch-Lösung: Altwagen werden an die Hersteller zurückgegeben, Autofahrer erhalten eine Prämie beim Kauf eines schadstoffärmeren Neuwagens. Was könnte aus den alten Autos werden?

Gent: Dass man die Fahrzeuge einfach aus den hochbelasteten Städten herauszieht und anderswo fahren lässt, ist aus meiner Sicht keine Lösung. Wenn Schadstoffe anderswo emittiert werden, werden auch Menschen krank. Eigentlich müsste man die umgetauschten, zurückgekauften Fahrzeuge von Herstellerseite ebenfalls nachrüsten, wenn sie weiterverkauft werden sollen.

Die Euro-5-Dieselautos sind zwischen fünf und sieben Jahren alt, die können ja locker noch fünf bis zehn Jahre fahren. Sie jetzt zum alten Eisen zu erklären und zu verschrotten, ist aus energetischer Sicht auch keine gute Idee. Zu bedenken ist ja auch, wie viel Energie in der Produktion eines Neuwagens steckt - das sind bei einem Diesel-PKW 20 Prozent seiner gesamten Energiebilanz.

Das Interview führte Jasper Steinlein, tagesschau.de.

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