Wählerinnen und Wähler geben im Türkischen Generalkonsulat ihre Stimme für die Parlaments- und Präsidentenwwhl in der Türkei ab

Wahlen in der Türkei Auf Stimmenfang bei den Deutsch-Türken

Stand: 27.04.2023 15:33 Uhr

In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen türkischer Herkunft. Etwa die Hälfte davon ist in der Türkei wahlberechtigt. Ihre Stimmen könnten entscheidend sein.

Von Susanna Zdrzalek, WDR

Wenn Mirze Edis über die Wanheimer Straße im Duisburger Stadtteil Hochfeld läuft, grüßt er häufig. In Hochfeld leben viele Menschen türkischer Herkunft, es ist sein Wahlbezirk. Der Kommunalpolitiker, der für die Linkspartei im Duisburger Stadtrat sitzt, ist hier aufgewachsen. Er kennt hier jeden und jeder kennt ihn. Und so haben die Menschen keine Scheu, mit ihm über die Wahl in der Türkei am 14. Mai zu sprechen und darüber, wen sie wählen werden.

Viele hier haben den türkischen Pass, so wie Geschäftsmann Zeki Görkem. Er will die AKP wählen, die Partei Erdogans, und erklärt warum: "Erdogan hat für die Türkei sehr viel getan, er hat ein Auto rausgebracht, er hat Brücken gebaut." Die Türkei werde durch Erdogan stärker, mächtiger und stabiler. "Wenn man seine eigenen Autos baut, braucht man das Ausland nicht", sagt Görkem.

Zeki Goerkem

Zeki Goerkem ist AKP-Anhänger. "Erdogan hat für die Türkei sehr viel getan", sagt er.

Erdogan unter Türken in Deutschland sehr beliebt

Görkem ist einer von vielen AKP-Sympathisanten in Deutschland. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 holte Erdogan unter den Wählern hierzulande 64,8 Prozent der Stimmen, mehr als in der Türkei. Ob er seinen Erfolg bei dieser Wahl wiederholen kann? "Wenn ich mit den Menschen auf der Straße spreche, habe ich zurzeit den Eindruck, dass die Wahl knapp ausgehen wird. Früher war das Motto: Egal, was passiert, Erdogan gewinnt. Das ist jetzt anders", sagt Ratsherr Mirze Edis.

Er trifft Männer und Frauen, die die mehrheitlich kurdische HDP wählen wollen oder die sozialdemokratische CHP. So wie der pensionierte Taxifahrer Serafettin Kinici, der seit 50 Jahren in Deutschland lebt. Er wirft Erdogan vor, nichts gegen die extrem hohe Inflation in der Türkei zu tun. Und er will, dass Schluss ist mit Menschenrechtsverletzungen. "Viele Journalisten, viele Politiker sind im Gefängnis. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Man hat keine Freiheiten in der Türkei, man darf seine Meinung nicht laut sagen. Das ist keine Demokratie."

Hinterhof-Wahlkampf

Um die Stimmen derer, die noch nicht entschieden sind, wird in Duisburg offenbar intensiv geworben. Mirze Edis berichtet von kleinen Parteibüros, die eröffnet wurden, er beobachtet, dass Sympathisanten der verschiedenen großen Parteien Flyer verteilen. "Die Wähler in Deutschland sind sehr wichtig. Ihre Stimmen machen sechs, sieben Abgeordnete aus, das will man nicht verschenken."

Mizre Edis

Mizre Edis beobachtet den Wahlkampf. "Die Wähler in Deutschland sind sehr wichtig", sagt er.

Große Wahlkampfveranstaltungen ausländischer Politiker in Deutschland sind inzwischen verboten. Es ist eine Lehre aus Erdogans aggressivem Wahlkampf hierzulande vor dem türkischen Verfassungsreferendum 2017. Und doch, sagt Eren Güvercin, Autor und Gründungsmitglied der Alhambra-Gesellschaft, einem Zusammenschluss europäischer Musliminnen und Muslimen, waren seit September 2022 über 120 AKP-Abgeordnete, Minister und Bürgermeister in Deutschland unterwegs, um Wahlkampf zu machen.

"Trotz der gesetzlichen Regelung, dass Amts- und Mandatsträger drei Monate vor der Wahl keine Wahlkampfveranstaltungen abhalten dürfen, sind in den vergangenen Wochen AKP-Abgeordnete auf Veranstaltungen der AKP-Lobbyorganisationen aufgetreten", sagt Güvercin. Neu sei, dass sich in vielen Regionen Deutschlands AKP-Wahlkampfteams gebildet hätten, die einen intensiven Haustürwahlkampf führen. "Das ist eine neue Qualität und zeigt, wie wichtig die Mobilisierung der AKP-Wähler in Deutschland für Erdogan ist", sagt Güvercin.

"Es ist eine Schicksalswahl"

In Duisburg versuchen die anderen Parteien dem etwas entgegenzusetzen. Sympathisanten der mehrheitlich kurdischen HDP haben hier ein Ladenlokal angemietet und organisieren Transfers zu den Konsulaten in Essen oder Düsseldorf, wo registrierte Wähler ihre Stimme abgeben können. Auch Anhänger der sozialdemokratischen CHP, deren Kandidat Kilicdaroglu in Umfragen mit Erdogan gleich auf liegt, organisieren Bustransfers. "Es ist eine Schicksalswahl, jede Stimme ist wichtig", sagt eine ehrenamtliche Helferin mit kurdischen Wurzeln, die selbst keinen türkischen Pass hat.

Fragt man die Menschen, die oft seit Generationen in Deutschland leben, warum ihnen die Wahl in der Türkei so wichtig ist, kommt häufig diese Antwort: Es sei nun mal die Heimat. Zeki Görkem, der sein gesamtes Leben in Duisburg verbracht hat, verbringt seine Urlaube in der Türkei und möchte irgendwann vielleicht dorthin ziehen. "Und dann möchte man, dass das Land stabil ist."