Soldaten in der Grundausbildung
interview

Homosexuelle in der Bundeswehr "Pauschale Entschädigungen reichen nicht"

Stand: 20.05.2021 11:32 Uhr

Homosexuelle in der Bundeswehr wurden bis ins Jahr 2000 per Erlass systematisch benachteiligt. Ein Gesetz für Entschädigungen soll heute im Bundestag beschlossen werden. Der Vorsitzende von QueerBw, Bäring, fordert weitere Schritte.

tagesschau.de: Sie sind 2013 zur Bundeswehr gegangen, weil sie dort Medizin studieren wollten. Sie haben sich auch erstmal nicht geoutet. Wie war es damals als homosexueller Rekrut?

Sven Bäring: Ich war 18 Jahre, das erste Mal weg von zu Hause. Da war Zugehörigkeit ein wichtiger Faktor. Ich hatte Angst, in diesem hetero-geprägten Umfeld nicht bestehen zu können. Und aus dem Grund habe ich damals nicht erzählt, dass ich homosexuell bin.

Sven Bäring
Zur Person
Sven Bäring (26) wurde als homosexueller Soldat selbst diskriminiert. Trotzdem fühlt er sich in der Truppe geschätzt. Der Offizier ist Vorsitzender von QueerBw, der Interessenvertretung homo- und bisexueller sowie trans* und inter*geschlechtlicher Angehöriger in der Bundeswehr.

tagesschau.de: Als Vorsitzender von QueerBw sind Sie heute bekennend homosexueller Soldat. Warum hat sich Ihr Umgang mit Ihrer Sexualität geändert?

Bäring: Ich bin mittlerweile Offizier, und für mich ist Authentizität ein sehr wichtiges Thema. Und dazu gehört, dass ich als Führungskraft als Vorbild vorangehe. Ich kann doch nicht sagen, man hat keine Probleme in der Bundeswehr und kann quasi offen leben, wenn ich selber ein Versteckspiel aus meiner eigenen sexuellen Identität mache. Deshalb habe ich mich vor einigen Jahren dazu entschieden, auch offen damit umzugehen.

tagesschau.de: Und wie gehen Ihre Kameradinnen und Kameraden heute mit Ihnen um?

Bäring: Bis auf einige Ausnahmen habe ich sehr viel Unterstützung erfahren. Auch Respekt und Anerkennung für meine Tätigkeit bei QueerBw.

tagesschau.de: Welche Ausnahmen?

Bäring: Ich bin 2016 in eine neue Einheit gekommen und brauchte eine Unterkunft. Der "Spieß", das ist der Kompaniefeldwebel, hatte das organisiert. Er ist eigentlich die erste Ansprechperson für Sorgen und Nöte in der Einheit. Zu meinem zukünftigen Stubennachbarn hat er gesagt, er habe schlechten Nachrichten: Du bekommst einen Stubennachbarn und schwul ist er auch noch. Das war natürlich ein unschönes Gefühl: von einer eigentlichen Vertrauensperson quasi fremd geoutet zu werden. Ein anderer Vorgesetzter, ein Offizier, sagte mal zu mir, er wisse ja, dass ich homosexuell sei. Ich solle aber vor den anderen nicht mehr weiter darüber reden.

Ich glaube, da steckt viel Unsicherheit dahinter. Heterosexuelle Menschen können nicht nachvollziehen, wie es ist, sich ausgeschlossen zu fühlen. Und deshalb fordern wir als QueerBw natürlich eine verpflichtende Ausbildung in der Truppe, dass jeder Soldat, jede Soldatin weiß, wie man mit Vielfalt umgeht. Nicht nur in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, sondern auf alle Vielfaltsfaktoren bezogen.

tagesschau.de: Trotzdem sagen Sie, in der Truppe gibt es heute keine institutionelle sexuelle Diskriminierung von homosexuellen Soldatinnen und Soldaten.

Bäring: In einem ersten Schritt wurde im Jahr 2000 ein Erlass außer Kraft gesetzt, der vor allem homosexuelle Männer benachteiligte. Denn Frauen waren damals in der Truppe noch mehr in der Minderheit. Und spätestens seit 2006 mit dem Soldatinnen- und Soldatengleichbehandlungsgesetz gibt es ganz klare Antidiskriminierungsvorschriften in der Bundeswehr. Die gehen teilweise weiter als die zivilen Vorschriften.

tagesschau.de: Aber ist die Truppe aufgrund ihrer Geschichte und Struktur nicht trotzdem anfälliger als andere Bereiche der Gesellschaft?

Bäring: Mir ist der überwiegende Teil meiner Kameradinnen und Kameraden mit Verständnis und Unterstützung begegnet. Und deshalb kann ich nur jeden ermutigen, dass er sich outet und dass er zu sich selbst steht

tagesschau.de: Heute will der Bundestag ein Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten auf den Weg bringen. Es sieht unter anderem pauschale Entschädigungen in Höhe von 3000 Euro vor für Diskriminierungen vor Abschaffung des Erlasses. Wie beurteilen Sie das Gesetz?

Bäring: Viele Betroffene sagen, dass sie mit dieser Rehabilitierung nicht mehr zu Lebzeiten gerechnet hätten. Der Gesetzentwurf geht auf unsere Initiative zurück und wir haben den Prozess eng begleitet. Es ist schade, dass sich gerade die CDU den Anträgen der Opposition als auch den Vorschlägen ihres Koalitionspartners SPD nicht anschließen konnte. Die sahen vor, die Stichtagsregelung zu überarbeiten. Es ist realitätsfern, dass man jahrzehntelange Diskriminierungspraxis mit dem Abschaffen eines Erlasses ändert. Da ist einfach eine Übergangsvorschrift nötig. Sonst werden später Betroffene erneut diskriminiert.

Geplante Entschädigungen
Der Gesetzgeber geht im Entwurf von etwa 1000 Antragsstellerinnen und Antragstellern und sechs Millionen Euro Entschädigungen aus. Die Anzahl queerer Bundeswehrangehöriger schätzt Bäring auf 17.500. Ergebnisse einer entsprechenden Bundeswehrstudie stehen laut dem Vorsitzenden von QueerBw noch aus.

Und dort, wo es sich nachweisen lässt, braucht es nicht nur pauschale Entschädigungen. Wir kennen meist mehrere konkrete Fälle. Ein Oberleutnant beispielsweise, der nicht befördert wurde. Da kann man konkret entgangene Pensionsansprüche ausrechnen.

Oder eine Frau, die entlassen wurde aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit. Sie war damals Berufssoldatin und hat jetzt erhebliche Nachteile bei der Altersvorsorge. Ihr Anwalt beziffert das auf 500.000 Euro. Ich persönlich verstehe nicht, wieso man sich Sachverständige in eine öffentliche Anhörung im Verteidigungsausschuss einlädt und im Anschluss diese Stimmen ignoriert werden.

Das Interview führte Stephan Lenhardt (SWR), für tagesschau.de

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