Die Berliner Schaubühne im Dunkeln

Kürzungen des Senats Berliner Kultur in Gefahr?

Stand: 15.12.2024 12:29 Uhr

Berlin muss sparen - auch in der Kultur. Nach öffentlichem Aufschrei soll nun nicht mehr überall ein bisschen gespart werden, sondern gezielt an einzelnen Stellen. Für die freie Szene ist das eine Herausforderung.

Schaufenster und Türen im Erdgeschoss des Plattenbaus in der Leipziger Straße 54 in Berlins Mitte sind mit Flatterband beklebt. Ein Hinweis darauf, dass hier Kultur beheimatet ist, die sich bedroht fühlt, die verschwinden könnte, wenn die Kürzungen im Kulturetat des Landes Berlin so kommen wie befürchtet. 

Da ist zum Beispiel das "Werkbundarchiv - Museum der Dinge" im Erdgeschoss. Hier geht es um Geschichte, Herstellung und Gestaltung von Alltagsgegenständen von Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. Das Museum ist gerade erst hier hergezogen mit seinen 20.000 Objekten und 40.000 Archivalien.

Vorher befand es sich in Kreuzberg. Doch dort wurde es aus seinen Räumen herausgeworfen, weil das Haus an einen Immobilienfonds ging, der eine deutlich höhere Miete erzielen wollte. Unmöglich für eine kulturelle Einrichtung, die niedrige Eintrittspreise hat und im Wesentlichen von öffentlichen Geldern lebt.

Arbeitsplätze in Gefahr und noch viel mehr

Nun droht schon wieder eine Katastrophe. 20 Prozent der Förderung durch das Land Berlin sollen wegfallen: 251.000 Euro. Das würde bedeuten, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Zusätzlich wäre kein Geld mehr da für Sonderausstellungen, für Veranstaltungen oder Vermittlungsformate, die sich an Kinder und Jugendliche richten, an Hochschulen und Universitäten.

Florentine Nadolni, die Leiterin des Museums, fasst die Folgen der Kürzungen so zusammen: "Unser Ansatz als öffentliche Einrichtung, ein inklusiver Ort zu sein, ein Ort der Teilhabe, des Austausch und des Diskurses - der wäre damit verloren."

Die Probleme der freien Szene

Im ersten Obergeschoss des Hauses Leipziger 54 probt Renate Graziadei. Schon in knapp drei Wochen ist Premiere der Performance "A Masque for the Multiverse". Graziadei feilt noch an ein paar Bewegungen, allein mit Dramaturg Artur Städli. Für solche Proben sind die Räume in Berlin-Mitte perfekt: hell, warm, verkehrsgünstig und preiswert.

Das Tanz-Kollektiv laborgras nutzt sie temporär seit Mai. Denn auch laborgras hat schon Erfahrungen mit dem immer rauer werdenden Immobilienmarkt in Berlin gemacht. Sie hatten ein Studio in Kreuzberg, erzählt Artur Städli. "Und das haben wir verloren, weil ein Investor das gekauft hat und uns alle rausgeschmissen hat."

Eigene Probenräume haben sie jetzt nicht mehr. Sie müssen schauen, wo es freie Räume gibt. Möglichst solche wie in der Leipziger 54, denn die sind öffentlich gefördert. Renate Graziadei betont: "Wenn nichts frei ist, geht man online gucken, und dann wird man aber oft böse überrascht, weil oft 20 Euro pro Stunde für einen Raum verlangt wird."

Bezahlbare Räume als künstlerischer Nährboden

Hier hilft die gemeinnützige Kulturraum GmbH. Als Institution des Landes Berlin vermittelt sie Proben- und Atelier-Räume an die freie Szene. Sie mietet die Räume zu marktüblichen Konditionen, rüstet sie aus mit Schallschutz oder speziellen Böden und vergibt sie dann preisgünstig weiter. So wie in der Leipziger Straße 54. Doch gerade diese wichtige Unterstützung der freien Szene ist in Gefahr. Der Kulturraum GmbH sollen mehrere Millionen Euro gestrichen werden.

Dort reagiert man mit Entsetzen. Dirk Förster, der Geschäftsführer warnt vor den Folgen: "Wenn das Arbeitsraumprogramm zusammenbrechen soll, dann bricht der künstlerische Nährboden für Berlin zusammen. Räume, die einmal verloren sind, die bekommt man so schnell nicht wieder. Der Immobilienmarkt in Berlin ist sehr, sehr angespannt." 

Die größte Sorge des Kulturraumteams ist, dass sie ganz abgeschafft werden sollen. Auch das wird in den kursierenden Plänen des Senats angedeutet. Allerdings sei das unsinnig, rechnet Förster vor. Schließlich sei man in langfristigen Mietverträgen gebunden. Das Land Berlin könnte am Ende in die Haftung genommen werden - mit Regressforderungen in Höhe von bis zu 130 Millionen Euro, so Förster.

Die Haltung der Politik

130 Millionen Euro sind exakt die Summe, die der Bereich Kultur in den insgesamt drei Milliarden Euro Einsparungen im Gesamtetat des Landes Berlin leisten soll. Das entspricht etwa zwölf Prozent des Kulturhaushalts.

In ersten Entwürfen der Sparpläne war noch vorgesehen, bei fast allen Fördergeld- und Subventionsempfängern zu kürzen, also überall ein paar Prozent wegzunehmen. Nach massiven Protesten auf offener Straße und sicher auch hinter den Kulissen wurde das geändert. Die Kinder- und Jugendtheater sowie die Berliner Philharmoniker werden nun weiter unterstützt.

Auch die meisten der großen Sprechbühnen wie Deutsches Theater, Schaubühne oder Berliner Ensemble müssen weniger Einbußen hinnehmen. Erhöht wird die Sparvorgabe dagegen für den Friedrichstadtpalast - und beim Etatposten "Ausbau von Arbeitsräumen für Künstlerinnen und Künstler" werden gut 18 Millionen Euro gekürzt.

Kultursenator Joe Chialo von der CDU sagt, so sei das Schlimmste verhindert worden. Man überlege nun: "Wer kann möglicherweise mehr tragen? Wen muss man stützen?" Abgesehen davon seien die Einsparungen aber nötig. Berlin habe nun mal zu wenig Geld. Zudem seien in den vergangenen Jahren krisenbedingt viele Extrazahlungen geleistet worden. Diese Töpfe existierten so nicht mehr, so Chialo. Nun müsse man sich auf das besinnen, was für die Kultur mit geringen Mitteln möglich ist.

Mehr Eigeninitiative gefordert

Der schwarz-rote Berliner Senat fordert von der Kunstszene auch mehr eigenes Engagement bei der Finanzierung ihrer Angebote. "Ich frage mich schon, ob Karten bei bestimmten Bühnen so preiswert angeboten werden müssen", sagt etwa der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Er fordert von der Kulturbranche mehr Wirtschaftlichkeit.

Auch Theater und Opern sollten mehr mit eigenen Mitteln arbeiten, etwa Sponsoren finden oder private Vereine zur Unterstützung heranziehen, so Wegner. In Berlin und anderen Metropolen gebe es bereits erfolgreiche privat geführte Bühnen, die keine oder weniger staatliche Subventionen bräuchten.

Ruf als "Kulturhauptstadt Europas" in Gefahr

Für die freie Szene klingen solche Empfehlungen wie Hohn. Sie arbeitet sowieso mit geringen Mitteln. Sponsoren oder private Geldgeber sind rar gesät. Durch die Krisen der vergangenen Jahre hat sich die Anzahl und Spendenbereitschaft noch einmal verringert.

Dabei sei es gerade die freie Szene, die Berlins internationalen Ruf als Kulturhauptstadt Europas ausmache, sagt Mark Pringle. Der britische Jazzpianist ist genau deshalb nach Berlin gekommen und mit ihm viele Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt. Sie schätzen den Austausch untereinander in Berlin und die Chance, viele Dinge ausprobieren zu können, die vielleicht nicht sofort Geld abwerfen. Nur so entstünden spannende neue Werke, neue Strömungen, neue Möglichkeiten, sagt Pringle.

Er befürchtet, dass die Kürzungen nun viele internationale Künstler vertreiben könnten. Zum Beispiel, wenn preisgünstige Ateliers und Probenräume wegfallen. Er selbst nutzt einen Probenraum, vermittelt von der gemeinnützigen Kulturraum GmbH.

Mehr Schaden als Nutzen?

Aber die Kürzungen treffen Künstler wie Pringle auch auf andere Weise: Er hat bereits einen Auftritt verloren, weil das Konzerthaus am Gendarmenmarkt ein Festival für neue Musik abgesagt hat. Das Konzerthaus muss auch sparen - und kürzt zuerst bei den Zusatzangeboten, um den regulären Spielbetrieb abzusichern.

"Dass die Kürzungen daher vor allem die innovativen und experimentellen Formate treffen - jene Bereiche, in denen das klassische Konzertangebot sich weiterentwickelt und neuen Publikumsschichten öffnet - ist besonders schmerzhaft", sagt Sebastian Nordmann, Intendant des Konzerthaus Berlin.

Die Kürzungen könnten für Berlin auch Probleme anderer Art mit sich bringen, befürchten viele Beobachter. Die Kultur ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor, denn sie lockt jedes Jahr Millionen von Touristen an. Wenn die Berlin nicht mehr so attraktiv fänden und andere Ziele bevorzugten, verliere die Stadt Einnahmen, wird argumentiert. Dann würde das Haushaltsloch noch weiter wachsen. Das Ziel der Einsparungen wäre verfehlt.