Landwirte fahren mit ihren Traktoren in einem Protestzug.
interview

Proteste der Landwirte "Das ist ein grundsätzlicher Unmut"

Stand: 14.01.2024 11:12 Uhr

Die Proteste der Landwirte sind nach Ansicht von Agrarökonom Henning nicht nur durch den Wegfall von Subventionen zu erklären. Welche Rolle nachhaltige Landnutzung spielt und wie eine Win-win-Situation möglich ist, erklärt er im Interview.

tagesschau.de: Aufhänger für die Proteste sind der Wegfall des Zuschusses für Agrardiesel und von Erleichterungen bei der Kfz-Steuer. Wie viel Geld verlieren die Landwirte denn dabei?

Christian Henning: Wenn man das umrechnet, ist es wahrscheinlich am besten, wenn man das pro Hektar macht. Das sind ungefähr 25 Euro pro Hektar. Das sagt vielleicht jetzt noch nicht so viel. Wenn man das in Relation setzt, zum Beispiel im Ackerbau, dann haben wir ungefähr Kosten von 1.000 Euro pro Hektar. Wenn man das wiederum in Relation setzt, dann sind das 2,5 Prozent.

Ich denke, man kann konstatieren, dass rein ökonomisch diese hoch emotionalen Proteste nur durch diesen Wegfall nicht zu erklären sind. Ich glaube, das ist eher so ein grundsätzlicher Unmut mit den falschen Signalen seit Jahren aus der Agrarpolitik.

tagesschau.de: Sind Unternehmen durch den Wegfall der Zuschüsse existenziell gefährdet?

Henning: Im Durchschnitt definitiv nein. Natürlich findet man immer Unternehmen, die schon jetzt in schwierigen Situationen sind. Ungefähr zehn Prozent der Betriebe machen Verlust, schon vor Wegfall dieser Subvention. Wenn dann die Subventionen noch wegfallen, dann ist es sicherlich für sie eine brenzlige Situation. Aber man kann solche Maßnahmen natürlich nicht an einzelnen Härtefällen ausmachen. Im Durchschnitt definitiv nein: Kein signifikanter Eingriff in Richtung Bedrohung der Existenz.

tagesschau.de: Um wen geht es hier eigentlich? Sind das in erster Linie Familienbetriebe? Das Bild haben wir ja oft im Kopf.

Henning: Ja, das kann man ganz klar sagen. Wir haben in Europa, insbesondere aber auch in Deutschland, eine klar im Familienbetrieb organisierte Landwirtschaft. Es gibt in den neuen Bundesländern auch andere Betriebsformen, die deutlich größer sind, die dann vielleicht auch nicht mehr in der Form des Familienbetriebes geführt werden. Aber um es mal so zu sagen: 90 Prozent der Betriebe sind Familienbetriebe, eher sogar mehr.

Zur Person
Christian Henning ist Agrarökonom. Seit 2001 ist er Professor für Agrarpolitik an der Universität Kiel.

Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören ländliche Entwicklungspolitik, Politiknetzwerkanalyse der Europäischen Agrarpolitik sowie polit-ökonomische Modellierung agrarpolitischer Entscheidungsprozesse in Industrie- und Entwicklungsländern.

"Paradigmenwechsel in Richtung nachhaltige Landnutzung"

tagesschau.de: Die Kürzung der Subventionen scheint das Fass zum Überlaufen gebracht zu haben. Wo sehen Sie denn Probleme, die vorher schon da waren und nicht gelöst worden sind?

Henning: Ich denke, zentral geht es darum, dass wir so seit zehn, vielleicht 15 Jahren einen Paradigmenwechsel haben in Richtung nachhaltige Landnutzung. Und dass hier die Landwirte insbesondere in den letzten fünf Jahren - Stichwort Zukunftskommission - klar signalisiert haben, dass sie bereit sind, diese Transformation auch mitzugehen.

Aber hier müssen eben auch vernünftige agrarpolitische Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Landwirte auch als Unternehmer tatsächlich dann diese Ökosystemleistung Klimaschutz, Biodiversität, dann tatsächlich auch liefern können.

Diese Rahmenbedingungen sind bislang überhaupt nicht geschaffen worden, sondern es sind immer so einzelne kleine, symbolträchtige Maßnahmen, im Wesentlichen regulative Maßnahmen, ordnungspolitische Maßnahmen, gerade auch von der Bundesrepublik verabschiedet worden, die am Ende im Gesamtbild überhaupt nicht zielführend sind.

Den Zeitpunkt nutzen

tagesschau.de: Woran lag das? Wie könnte man das besser machen?

Henning: Woran das lag, ist immer schwierig im Detail. Auf der einen Seite sind solche fundamentalen Umstellungen natürlich auch immer Prozesse, die eine gewisse Zeit brauchen und die vielleicht ja auch richtig sind. Und so braucht man vielleicht auch immer so klare Signale, dass da mal Unmut klar signalisiert wird, dass die Politik mal klar adressiert wird, um dann auch entsprechend zu performen, zu reagieren. Man muss diesen Dingen sicherlich Zeit geben, denn das kann man nicht so über Nacht machen.

Und auf der anderen Seite liegt es sicherlich auch daran, dass es auch eine gewisse Historie gibt und die eine gewisse Trägheit in der Politik natürlich dann immer bedingt. Und wenn man dann noch als letztes sieht, dass wir ja die Agrarpolitik zum großen Teil auf europäischer Ebene, also gemeinschaftlich durchführen oder die Rahmenbedingungen setzen, dann ist das ein nochmal schwieriger Prozess, weil jeder Nationalstaat ja auch immer seine speziellen Problematiken und Sichtweisen hat. Und so dauern solche Prozesse eben.

Das ist meiner Ansicht nach sozusagen aus wissenschaftlicher Sicht eher auch ein natürlicher Prozess. Es ist nur wichtig, wenn man es dann mal formuliert, dass dann auch tatsächlich mal eine Umsetzung stattfindet. Und ich glaube, jetzt ist so ein guter Zeitpunkt, der jetzt hoffentlich auch genutzt wird.

Eine Win-win-Situation ist möglich

tagesschau.de: Wie kann man aus dieser überhitzten Situation mit einer alle Seiten zufriedenstellenden Lösung rauskommen?

Henning: Ich denke, dass gerade der Minister Özdemir da schon einen richtigen Satz oder eine richtige Vorlage gemacht hat. Wir sollten das in jedem Fall gemeinschaftlich lösen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Und was so schön ist - das vielleicht als positives Signal der Wissenschaft: Diese Transformation, die wir wollen, ist tatsächlich eine Win-win-Situation für die Verbraucher und für die Landwirte. Man muss sie jetzt nur agrarpolitisch richtig gestalten.

Wichtig ist, dass man jetzt anfängt, genau diese Rahmenbedingung vonseiten der Politik zu schaffen, dass man also letztendlich Möglichkeiten schafft, dass diese Ökosystemleistungen für die Landwirte quasi zu Produkten werden, die sie dann zu garantierten oder voraussichtlich garantierten Preisen zukünftig liefern können und dann auch in entsprechende Technologien investieren, damit wir langfristig immer nachhaltiger werden.

Das Gespräch führte Michail Paweletz für tagesschau24. Für die schriftliche Version wurde es gekürzt und redigiert.

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