Gesundheitsminister Jens Spahn.

Jens Spahn Weiter, immer weiter

Stand: 26.07.2021 19:11 Uhr

Eigentlich wollte Jens Spahn gar nicht Gesundheitsminister werden. Doch er startete durch - mit viel Eifer und mäßigem Erfolg. Und dann kam auch noch Corona - und für den Krisenminister geht es auf und ab.

Von Barbara Kostolnik, ARD Berlin

Es gibt Sätze, die hört man nicht so besonders häufig im Politikbetrieb: "Ich traue mir das schlicht und ergreifend nicht zu" - das ist so ein Satz. Gesagt hat ihn ausgerechnet Jens Spahn, dem vieles nachgesagt wird, aber sicher nicht ausgeprägte Selbstzweifel. Es ging auch nicht um politische Ämter, sondern um die Altenpflege, die Pflege von Angehörigen zu Hause rund um die Uhr. Der CDU-Politiker war zu Gast bei "Hart aber fair", es war Juni 2018, damals war Pflege das Leib- und Magenthema des Ministers. Bis Corona kam.

Das Gesundheitsministerium ist kein einfaches Ministerium, keine Wohlfühloase. Dafür geht es um zu viel Geld, um das sich zu viele Protagonisten streiten. Und es geht um Ängste, Emotionen und Aufreger-Themen, wie etwa die Terminvergabe bei Ärzten.

Spahns Spuren

Das weiß auch Spahn, er war schließlich viele Jahre gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. An die Spitze des Gesundheitsministeriums wollte er eigentlich nicht, er hatte andere Pläne. Doch als Kanzlerin Angela Merkel ihm den Posten anbot, sagte er nicht Nein. Bei der Amtsübergabe von Hermann Gröhe an Spahn am 15. März 2018 erklärte der junge und dynamische neue Minister sogleich, er wolle Aufreger-Themen angehen. Das war strategisch klug, denn es hinterlässt Spuren. Und Spahn will weiter Spuren hinterlassen.

Gesundheitsminister Spahn

"Bekannt bin ich jetzt. Beliebt muss ich noch werden": Gesundheitsminister Spahn

In Berlin hält man ihn schon länger für den kommenden starken Mann der Union. Es erscheint eine Biografie - Spahn ist gerade mal 38 Jahre alt und noch keine sechs Monate im Amt. Das Buch lässt er vom Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, vorstellen. "Ich weiß ja, dass der eine oder andere denkt, eine Biografie mit 38 - was ist das denn?", sagt Spahn und versichert zugleich auch ein wenig scherzhaft: Was im Buch stehe, das stimme schon auch. Meistens. Also auch dieser Satz, den er laut Biografie im Frühjahr zu einem Freund gesagt haben soll: "Bekannt bin ich jetzt. Beliebt muss ich noch werden."

Und wird man nicht beliebt, wenn man das Leben der Menschen verbessert?

Wechsel ins Verteidigungsressort?

Im Juli 2019 wird Spahns Standhaftigkeit als Gesundheitsminister auf eine harte Probe gestellt. Seine Kabinettskollegin Ursula von der Leyen ist als EU-Kommissionspräsidentin nominiert, damit ist Spahns Traum, Bundesverteidigungsminister zu werden, zum Greifen nah. Doch daraus wird nichts. Merkel beruft Annegret Kramp-Karrenbauer. Spahn wirbelt also weiter in seinem Ministerium.

Er legt ein irrwitziges Reformtempo vor, ein Turbo-Minister - ein Gesetzesvorhaben jagt das nächste. In der Haushaltsdebatte für den Haushalt 2020 korrigiert er eine Kollegin, die seiner Meinung nach nicht richtig gezählt hat: "Es sind übrigens 20 Gesetze in 20 Monaten."

Notfallversorgung, Vor-Ort-Apotheken, Digitalisierung im Gesundheitswesen und vor allem: Kampf dem Pflege-Notstand: Spahn reist nach Mexiko und auf den Balkan, um Pflegepersonal zu rekrutieren, mit mäßigem Erfolg, aber seinem Eifer tut das keinen Abbruch. Motto: Viel hilft viel. Und es ist ja nicht so, als hätte er sonst nichts zu tun.

In der CDU tobt erneut der Kampf um den Parteivorsitz, der diesmal gleichzeitig eine Vorentscheidung um die Kanzlerkandidatur ist. Spahn, die heimliche Hoffnung der Jüngeren in der Union, der Konservativen, denen Norbert Röttgen zu kühl, Armin Laschet zu lau und Friedrich Merz zu harsch ist, hätte Chancen. Aber er springt nicht. Er überlässt Laschet den Vorsitz. "Es kann nur einen Parteichef geben, das bedeutet auch, dass jemand zurückstecken muss", erklärt er staatstragend, wohlwissend, dass seine Zeit noch kommt. Dann aber kommt erst einmal Corona.

"Wir müssen wachsam sein, wir müssen vorbereitet sein", sagt er, nachdem Anfang 2020 die ersten Fälle in Bayern auftreten. Nur: Vorbereitet auf das Virus, auf seine Auswirkungen, ist niemand. Die Pandemie historischen Ausmaßes erwischt Deutschland eiskalt. Und auch den Minister, der sich zunächst in vorsichtige Floskel-Rhetorik flüchtet und unentwegt von der "Dynamik der Lage" spricht.

Auch im Frühjahr 2020 weiß niemand etwas Genaues über dieses neuartige Coronavirus. Weder die Wissenschaft noch die Politik. Spahn geht offensiv mit der Unwissenheit um. Das bringt ihm die besten Umfragewerte, die ein Bundesgesundheitsminister je hatte. Beliebt ist er jetzt, aber die Pandemie ist noch längst nicht vorbei. Und Spahn ahnt wohl, dass es eng werden könnte. Er spricht einen Satz, der ihn danach ständig begleitet, es könnte der Satz der Pandemie sein, symptomatisch für das Verhalten von Politik in der Krise.

Ich glaube, wir werden in der politischen Debatte und auch in der medialen Debatte nach dieser Corona-Lage alle miteinander viel verzeihen müssen.

Er leistet quasi präventive Abbitte für Fehler, die noch kommen. Das war ein geschickter Schachzug. Denn natürlich passieren Fehler.

Das Ministerium ist zunächst komplett überfordert mit Maskenbeschaffung, Testzentren-Infrastruktur, Impfstoffbeschaffung - und der Verteilung an die Bundesländer. Dazu kommt das föderale Kompetenz-Chaos. Bei den Menschen wächst die Unzufriedenheit zwischen Lockdown, Lockdown-Light und Lockerungen. Spahns Umfragewerte rauschen in den Keller. Er bleibt nach außen stoisch: "Diese Pandemie ist auch ein Charaktertest für uns als Gesellschaft."

Sie ist zudem ein Test für die Große Koalition. Denn die SPD nimmt Spahn ins Visier, da nützt es wenig, wenn ihm die Kanzlerin ihr Vertrauen ausspricht und erklärt, er mache einen prima Job.

Spahn gehört nicht zu den Menschen, die klein beigeben. Sein stabiles Selbstbewusstsein hilft ihm dabei. Relativ unbeirrt steuert der Gesundheitsminister durch die Pandemie - Kritik lässt er abperlen.

Spahn gibt den beständigen Mahner - jede Woche mindestens einmal, fast immer sekundiert von RKI-Chef Lothar Wieler. Als die dritte Welle abflaut, sagt er: "Jetzt darf aus der Zuversicht kein Übermut werden." Übermut, das hat Spahn in dieser Legislatur lernen dürfen, tut selten gut.

Spahn wird wohl kaum Gesundheitsminister bleiben. Nicht, weil er sich die Post-Pandemie-Phase nicht zutrauen würde. Aber er fühlt sich schlicht zu Höherem berufen.