Interview

Klage gegen Laufzeitverlängerung "Die Chancen der Länder sind fifty-fifty"

Stand: 28.02.2011 16:43 Uhr

Warum gehen Länder wie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wegen der AKW-Laufzeiten vor Gericht? Welche Erfolgsaussichten hat die Klage? Und wie lange wird das Urteil auf sich warten lassen? Bernd Wolf aus der SWR-Rechtsredaktion beantwortet diese Fragen für tagesschau.de.

tagesschau.de: Die fünf Bundesländer, die von SPD, Grünen und Linkspartei regiert werden, haben Verfassungsklage gegen die Laufzeitverlängerung eingereicht. Wie begründen die Länder ihre Klage?

Bernd Wolf: Die Länder begründen die Klage damit, dass sie nicht gefragt worden sind. Sie sagen: Wir werden durch Aufgaben des Bundes belastet, sind aber nicht gefragt worden, ob wir als Verfassungsorgane diesen Aufgaben auch tatsächlich zustimmen. Wir hätten im Bundesrat als der Vertretung der Länder gefragt werden müssen. Die Länder sehen also ihre grundgesetzlich garantierten Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte verletzt.

Zur Person
Bernd Wolf, Jahrgang 1958, studierte Jura an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Seit 1991 arbeitet er für SWF und SWR, seit 2005 in der SWR-Rechtsredaktion. Wolfs Schwerpunktthemen sind Grundrechte, Sicherungsverwahrung und Datenschutz.

tagesschau.de: Wodurch unterscheidet sich die Klage der Länder von einer Klage der Bundestagsfraktionen von SPD und Grüne, die ebenfalls angekündigt wurde?

Wolf: Beide Klagen sind abstrakte Normenkontrollen. Diese Klageart hat den Vorteil, dass ein ganzes Gesetz auf den Prüfstand gestellt werden kann, vom ersten bis zum letzten Paragrafen. Das Verfassungsgericht überprüft also das ganze Gesetz, mit dem Schwarz-Gelb der Atomindustrie erlaubt, die AKW länger laufen zu lassen.

Bei den Verfassungsklagen unterscheidet man die Normenkontrollen von den individuellen Verfassungsbeschwerden. Eine solche Beschwerde haben Greenpeace und einige Anwohner eingelegt. Diese Verfassungsbeschwerde ist wesentlich kleinteiliger. Die Beschwerdeführer müssen die Verletzung von Grundrechten geltend machen. Bisher reagiert das Bundesverfassungsgericht eher defensiv, was die Anerkennung dieser Grundrechtsverletzungen angeht.

tagesschau.de: Welche Erfolgsaussichten haben die Klagen der Länder und Fraktionen?

Wolf: Die Erfolgschancen hängen von der juristischen Frage ab, ob die Länder im Bundesrat mitentscheiden mussten oder nicht. Dahinter wiederum steht die Frage, ob durch die Laufzeitverlängerung der Aufgabenbereich und auch die wirtschaftliche Belastung der Länder gravierend verändert wurden. Darüber streiten sich, wie so häufig, bereits die Gutachter. Die einen meinen, die Laufzeitverlängerung sei nicht zustimmungspflichtig, weil sich die Aufgaben grundsätzlich nicht verändert hätten. Die anderen meinen, die Aufgaben der Länder hätten sich sehr wohl gravierend verändert.

Die Länder argumentieren, dass sie sich nach dem Atomausstieg schon darauf eingerichtet hätten, bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen zu müssen. So sind die Länder für die Sicherheit der AKW zuständig. Da muss beispielsweise Geld für Personal im Haushalt eingeplant werden. Die Länder müssen auch Haftungssummen in Höhe von 500 Millionen Euro zurücklegen, falls etwas passiert. Die Laufzeitverlängerung ist also für die Länder mit erheblichen Kosten verbunden.

Ich persönlich gehe davon aus, dass Länder und Fraktionen mit ihren Klagen zumindest eine Fifty-fifty-Chance haben. Dabei macht es wohl keinen Unterschied, ob ein Land oder eine Fraktion klagt. Wenn eine Verfassungsklage zulässig ist, vor Gericht kommt und öffentlich vor internationaler Presse verhandelt wird, dann spielt es keine Rolle mehr, wer die Klage eingereicht hat. Es geht um die Sache. Die muss auf Herz und Nieren geprüft werden. Das macht das Verfassungsgericht auch intensiv mit einer Heerschar von wissenschaftlichen Mitarbeitern. Die Erfolgschancen hängen also nicht vom Kläger ab.

tagesschau.de: Was setzt die Bundesregierung der Argumentation der Kläger entgegen?

Wolf: Die Bundesregierung wendet ein, dass beim Atomausstieg die Länder auch nicht gefragt worden seien. Jetzt, bei der Laufzeitverlängerung, ginge es doch quasi um die gleiche Fragestellung. Dem halten die Länder entgegen, damals seien sie entlastet worden. Jetzt würden sie belastet. Das sei ein Riesenunterschied. Einer Wohltat müsse man nicht unbedingt zustimmen.

tagesschau.de: Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Wolf: Das wird kein Schnellschuß, so viel ist klar. Sobald das Bundesverfassungsgericht den politischen Bereich berührt, dauert es immer ein wenig länger. Ich rechne mit mindestens eineinhalb Jahren. Realistischer sind vielleicht zweieinhalb Jahre.

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de.