Ein beschädigtes Wahlplakat hängt am Platz der Demokratie in Weimar.
analyse

Gewalt gegen Politiker Nicht nur eine Frage des Strafrechts

Stand: 08.05.2024 14:41 Uhr

Körperverletzung, Nachstellung, Nötigung: Nach den jüngsten Angriffen auf Politiker und Wahlkämpfer werden Rufe nach härteren Strafen laut. Braucht es neue gesetzliche Regeln?

Von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Nicht nachts, nicht in einer dunklen Seitenstraße wurde Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey angegriffen, sondern an einem der sonst unaufgeregtesten Orte der Hauptstadt: In einer Stadtteilbibliothek habe ein Mann sie "von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert", so steht es in der Polizeimeldung.

Dieser neueste Fall zeigt: Es hilft nicht allein, dazu aufzurufen, Plakate nur noch bei Tageslicht aufzuhängen, wie es die sächsische SPD nach der Prügelattacke auf ihren Europapolitiker Matthias Ecke getan hat. Es ist leider keine Floskel, dass Angriffe überall drohen können.

Nicht an jedem Ort könne der "Schutz allein durch Polizeien und Sicherheitsbehörden gewährleistet werden", schreiben die Innenminister nun in ihrem Beschluss. Daher sei es wichtig, potenzielle Täter im Voraus abzuschrecken. Es soll geprüft werden, ob Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger gesondert im Strafgesetzbuch aufgeführt und womöglich härter beurteilt werden, da sie "demokratiegefährdend" seien.

Politisches Stalking als neuer Straftatbestand?

Es geht um Delikte wie Körperverletzung, Nachstellung, Nötigung oder Bedrohung - damit zielt der Beschluss genau auf prominente Vorfälle der letzten Jahre. Unangemeldete Proteste vor Privathäusern von Politikern könnten härter bestraft werden. Oder Nötigungen wie zuletzt in Brandenburg, als zwei Männer versuchten, das Auto von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt nach einer Parteiveranstaltung zu blockieren.

In diese Richtung gehen auch die Vorschläge, die Sachsen vorlegt. Ein neuer Straftatbestand solle geschaffen werden: politisches Stalking, das sich gegen Amts- und Mandatsträger richtet. Bislang würden Täter bewusst Graubereiche des Rechts für ihre Einschüchterungen nutzen, sagt Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne). Jetzt wolle man Strafbarkeitslücken schließen.

Neue Regeln im Gesetz könnten klarer machen, dass durch solche Übergriffe auch immer ein Stück weit die Demokratie angegriffen wird. Aber würden sie abschrecken? Braucht es einen eigenen Straftatbestand?

Schon jetzt empfindliche Strafen möglich

Schon jetzt ist es möglich, empfindliche Strafen auszusprechen: So wurde 2023 ein Mann vom Landgericht Hechingen zu einer Geldstrafe von 16.000 Euro verurteilt, weil er vor dem Privathaus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine unangemeldete Demo veranstaltet hatte. Der Prozess machte Schlagzeilen. Die Folgen einer solchen Demo waren also für jeden, der mit ähnlichen Aktionen liebäugelte, nachlesbar.

Ganz anders der Fall der sächsischen SPD-Politikern Petra Köpping: Vor dem Privathaus der Ministerin nahe Grimma wurde schon mehrfach demonstriert. 2021 veranstalteten mutmaßlich rechtsextreme Impfgegner, so beschrieb es die Ministerin selbst, einen Fackelzug. Die bedrohlichen Bilder gingen durchs Netz. Auch die AfD rief wenige Wochen später zu einem Protest vorm Privathaus auf.

Welche juristischen Folgen hatten diese Proteste? Es gab Ermittlungen, aber das Verfahren wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt. Es habe nicht genügend Anlass zur Klageerhebung gegeben. In der Öffentlichkeit bleibt in diesem Fall hängen: Mit solchen Aktionen erregt man viel Aufmerksamkeit, kriegt auch etliche Likes im Netz. Bestraft wird man nicht. Das dürfte Nachahmer geradezu animieren.

Sehr unterschiedlicher Umgang mit ähnlichen Fällen

Die beiden Fälle zeigen: Vor Ort wird sehr unterschiedlich mit eigentlich doch ähnlichen Vorfällen umgegangen. Womöglich könnte also ein klarer gefasster Passus im Strafgesetzbuch dafür sorgen, dass Verfahren nicht so leicht eingestellt werden.

Das alles ist Jahre her - und viel passiert ist danach nicht. Selbst das, was die Innenminister jetzt anregen, geht in weiten Teilen zurück auf eine Bundesratsinitiative zurück, die Bayern im September 2023 angestoßen hat. Auch das zeigt, wie lange solche Vorhaben liegen bleiben. Für die kommenden Wahlkämpfe - und womöglich auch für die Wahlen im Herbst - dürften die Pläne nun zu spät kommen.

Dieses Wahljahr wird anders

Stattdessen ist schon jetzt spürbar, dass es ein anderes Wahljahr wird. Eines, in dem immer das Schutzkonzept einer Veranstaltung mitgedacht werden muss.

Normalerweise mögen Politiker so einen Sommerwahlkampf wie er nun zu den Europa- und Kommunalwahlen ansteht und sich bis zu den Landtagswahlen im September zieht. Gutes Wetter, bessere Stimmung, die Leute bleiben eher stehen - so beschreiben es Wahlkämpfer.

Doch die frei zugängliche Veranstaltung auf dem Marktplatz, zu der man spontan dazu kommen kann, könnte seltener werden. Die Grünen planen etwa eine Tour mit 30 Terminen. Viele davon finden, trotz des Frühsommers, drinnen statt, vom Hafenschuppen Lübeck bis zur Schinkelhalle in Potsdam. Kontrollen sind angekündigt. Es dürfen nur kleine Taschen, keine Glasflaschen oder Stockschirme mitgenommen werden.

Das spontane Gespräch zwischen Bürgern und Politikern dürfte in den kommenden Monaten seltener zustande kommen. Und vielleicht bei manchen Wahlkämpfern mit mulmigerem Gefühl als sonst.

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