Demonstration für die Familienzusammenführung im November 2017 vor dem Innenministerium in Berlin
Analyse

Union und SPD zum Familiennachzug "Integration wird erschwert"

Stand: 13.01.2018 11:15 Uhr

Beim umstrittenen Thema Familiennachzug für subsidiär Geschützte haben sich Union und SPD auf höchstens 1.000 Menschen pro Monat geeinigt. Fachleute sagen: Das ist zu wenig. Die Integration der Flüchtlinge werde dadurch erschwert.

Tausend pro Monat – diese Formel soll es sein. So viele Menschen könnten im Zuge des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte demnächst kommen. Pro Jahr also 12.000. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist mit insgesamt etwa 60.000 Angehörigen von subsidiär Geschützten zu rechnen, die nach Deutschland kommen wollen. Für viele Flüchtlinge in Deutschland heißt das: Sie müssen noch Jahre auf ihre Familie warten.

Kritik von Flüchtlingsverbänden

Doch diese Regelung gilt laut Einigungspapier ohnehin erst, wenn ein entsprechendes Gesetz verabschiedet ist – spätestens Ende Juli soll das geschehen sein. Bis dahin soll der Familiennachzug weiter ausgesetzt bleiben. Das Recht, die Familie nachzuholen, war subsidiär Geschützen zwar zugestanden worden, doch wurde es vor knapp zwei Jahren zunächst bis März 2018 ausgesetzt. Nun will man diese Frist  noch einmal verlängern.

Flüchtlingsverbände kritisieren das scharf. Einen "Schlag ins Gesicht für alle, die seit Jahren auf den Nachzug ihrer Kinder und Ehepartner warten", nennt Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat das Sondierungsergebnis. "Es bleibt, wie es ist: Der Familiennachzug bleibt erstmal ausgesetzt. Das macht mir große Sorgen – und es wird die Integration vieler weiterhin erschweren."

"Ich warte seit zwei Jahren auf meine Kinder"

Viele Flüchtlinge hatten die Sondierungen tagelang genauestens verfolgt - und sind nun enttäuscht. Auf der Facebook-Seite von WDRforyou, eines Onlineportals für Geflüchtete, Helfer und Interessierte, schreibt die Syrerin Rana Yassin: "Mein Mann wurde vom IS getötet. Dann kam ich nach Deutschland. Meine Kinder habe ich bei geflüchteten Verwandten in der Türkei gelassen. Seit mehr als zwei Jahren warte ich schon auf sie. Jetzt gibt es wieder eine Aussetzung für den Familiennachzug".

Mohammed Shaman, der aus Damaskus kommt und jetzt in Berlin lebt, schreibt: "Ich arbeite und zahle hier Steuern, möchte meine Familie auf eigene Kosten zu mir holen. Warum darf ich das nicht? Weil ich subsidiären Schutz bekam. Das ist ungerecht".

Ehe muss bereits im Heimatland geschlossen worden sein

Der Familiennachzug soll nur für diejenigen gelten, die keine schwerwiegenden Straftaten begangen haben und nicht als Gefährder eingestuft werden. Eheleute dürfen nur geholt werden, wenn die Ehe bereits vor der Flucht geschlossen wurde. Der Großteil der Betroffenen erfülle diese Kriterien, sagt Claus-Ulrich Prölß, eine Begrenzung auf 12.000 nachziehende Familienmitglieder pro Jahr sei deshalb viel zu niedrig angesetzt. Außerdem sei völlig unklar, nach welchen Gesichtspunkten zukünftig ausgewählt werden soll.

Forscher: "Sehr deutsche Perspektive"

Nach Ansicht des Osnabrücker Migrationsforschers Prof. Jochen Oltmer zeigt die Einigung deutlich die Linie der Union. Er erkennt eine "sehr deutsche Perspektive": "Der Maßstab war offenbar nicht die Not der Anderen, sondern das Bestreben, keine eigene Überforderung zuzulassen." Nicht die Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht weltweit stehe im Mittelpunkt, sondern allein, wie Zuwanderung nach Deutschland reduziert werden könne.

Und tatsächlich soll die neue Regelung nach dem Willen der Sondierer kein Mehr an Flüchtlingen bedeuten: Für die monatlich 1000 Angehörigen von subsidiär geschützten Flüchtlingen wird anderen in Zukunft die Aufnahme verwehrt: das Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge, die über Griechenland und Italien kommen, soll im Gegenzug auslaufen. Auch hier gab es eine Begrenzung von 1000 pro Monat.

Im Papier heißt es, man wolle Fluchtursachen bekämpfen und einen fairen Verteilmechanismus in Europa. Wie das konkret gehen solle, bleibe jedoch außen vor, so Jochen Oltmer.

Obergrenze ohne Obergrenze

Auch bei einem weiteren migrationspolitischen heißen Eisen, der von der CSU geforderten Obergrenze, konnten die Parteien sich einigen. Zwar vermeiden sie in ihrem Papier den heiklen Begriff "Obergrenze" - legen sich jedoch auf eine "Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000" Zuwanderern fest.

Die zukünftige Opposition - sollte die Große Koalition zustande kommen - kritisiert die Einigung zu Familiennachzug und Begrenzung. Und zwar von links wie rechts. Während die Grünen-Politikerin Claudia Roth den Sondierern  "unmenschliche Beschlüsse" vorwirft und Ulla Jelpke von der Linkspartei "Missachtung von Menschenrechten" beklagt, nennt die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel die Begrenzung auf 220.000 Flüchtlinge eine "Farce": Nach der "unkontrollierten Massenmigration der vergangenen Jahre" brauche das Land eine "konsequente Rückführungspolitik von Ausreisepflichtigen und eine effektive Grenzsicherung."

Einheitliches Migrationsrecht

Der Migrationsforscher Oltmer sieht bei einem anderen Aspekt im Einigungspapier der Sondierer Fortschritte: Dort sei explizit die Rede von einem einheitlichen Migrationsrecht. Als erstes soll ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz erarbeitet werden. Experten fordern seit langem eine verbindliche Regelung der Einwanderung.

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