Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf der Berlinale
analyse

Roths Maßnahmen Kleine Schritte im Kampf gegen Antisemitismus

Stand: 26.02.2024 22:41 Uhr

Antisemitismus im Kulturbetrieb ist kein neues Phänomen. Jetzt sorgen Aussagen zu Israel und dem Gaza-Krieg bei der Berlinale für Empörung. In der Kritik steht auch Kulturstaatsministerin Roth.

Von Lissy Kaufmann, ARD-Hauptstadtstudio

Anderthalb Tage vergehen, bis Claudia Roth reagiert. Die Kulturstaatsministerin teilt am Montagmittag mit: "Die Statements bei der Bärenverleihung der Berlinale am Samstagabend waren erschreckend einseitig und von einem tiefgehenden Israel-Hass geprägt."

Es geht um Aussagen von Kulturschaffenden auf der Bühne, die auch von ihr als israelfeindlich gesehen werden. Von einem Genozid im Gazastreifen etwa sprach einer der Filmschaffenden am Ende seiner Dankesrede. Diese "Vorkommnisse", wie Claudia Roth sie nennt, sollen jetzt aufgearbeitet werden: Man werde auswerten, wie zukünftig sichergestellt werden könne, dass die Berlinale frei von Hass, Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jede Form von Menschenfeindlichkeit ist, teilt sie mit.

Erinnerung an Documenta 2022

Die Aussagen der Kulturschaffenden, der Applaus des Publikums, all das hat heftige Kritik ausgelöst. An der Kulturszene selbst. An den Veranstaltern. Aber auch Claudia Roth. Wie schon nach dem Antisemitismus-Vorfall bei der Documenta in Kassel 2022: Damals zeigte eines der Kunstwerke einen jüdisch-israelischen Soldaten mit Schweinegesicht.

"Schon wieder ducken sich bei der Berlinale viele politisch Verantwortliche weg und haben nicht den Mut, gegen Applaus für Israelhass aufzustehen", kritisiert der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Dorothee Bär, kritisiert, in Roths Amtszeit löse ein Antisemitismus-Skandal den nächsten ab. Kommentatoren stellen Roths Zukunft als Kulturstaatsministerin infrage.

Demokratische Prozesse brauchen Zeit

Dabei ist es nicht so, dass Claudia Roth in Sachen Antisemitismus völlig untätig wäre. Doch die Mühlen der Demokratie mahlen nun einmal langsam. Der Grat zwischen Zensur und Kunstfreiheit ist ein schmaler. Und nicht alles, was nach einer Lösung klingt, ist auch leicht umsetzbar. So scheitertet etwa der Versuch von Berlins Kultursenator Joe Chialo, eine Antidiskriminierungsklausel für die Kulturförderung einzuführen, wegen rechtlicher Bedenken. Roth stand diesem Vorschlag schon zuvor skeptisch gegenüber. Sie will aber an dem Thema aber dranbleiben: "Wir prüfen, was in Förderrichtlinien und bei Zuwendungen klargestellt werden kann oder muss", sagte Roth vergangene Woche im Kulturausschuss des Bundestages.

An einem entsprechenden Papier arbeitet derzeit der Verfassungsrechtler Christoph Möllers. Er hatte bereits nach dem Documenta-Skandal ein Gutachten über den politischen Umgang mit solchen Fällen verfasst. Das neue Papier soll im März vorgestellt werden. Die Forderung vieler Politiker zielt schon jetzt auf die Finanzierung ab: "Wir müssen auch über die Fördermittel des Bundes reden", so die Reaktion von FDP-Fraktionschef Christian Dürr auf den Berlinale-Vorfall.

Israelhass auf offener Bühne kaum zu unterbinden

Wenn es nach Kulturstaatsministerin Roth geht, sollen die einzelnen Kultureinrichtungen jeweils für sich an Verhaltensrichtlinien arbeiten, um Konflikten rund um die Thematik Antisemitismus künftig besser zu begegnen. "Codes of Conduct" nennt Roth das und will dabei unterstützen. Doch was hieße das für den konkreten Fall Berlinale? Was hätte anders laufen müssen? Nichts, findet Meron Mendel, der Antisemitismus-Experte und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. "Wenn Preisträger die Bühne für politische Provokation nutzen, was soll man tun? Sollen Sicherheitsleute auf die Bühne springen? Das Palästinensertuch wegzerren? Oder soll anschließend jemand auf die Bühne kommen und einen Vortrag über die Geschichte des Nahostkonflikts halten? Mir fehlt die Fantasie."

Ja, sagt Mendel, es gebe einen einseitigen Blick der Kulturszene besonders auf den aktuellen Konflikt. Der Versuch, das mit politischen Entscheidungen zu unterbinden, sei aber falsch. Politiker könnten und sollten Argumente nutzen, um darauf zu reagieren. Inhaltlich. Die Berlinale als Ganze zu diskreditieren, nennt Mendel aber ein "Versagen der Politik". Schließlich sei bereits viel getan worden für den Austausch, auf das man stattdessen hinweisen sollte. Er nennt etwa das Tiny House Projekt auf der Berlinale, ein Ort für Berlinale-Besucher, um über den Nahostkonflikt zu sprechen, über Israel und Palästina.

Es sind kleine Schritte auf einem langen Weg im Kampf gegen Antisemitismus. Ähnlich wie die Vorschläge, die Kulturstaatsministerin Roth unterbreitet. Die Kontroversen werden so schnell nicht verschwinden. Meron Mendels Rat: "Wir müssen lernen, solche Debatten auszuhalten."