Ein Passant in London trägt einen Mundschutz
Interview

Virologe zu Coronavirus "Es könnte eine Pandemie auf uns zukommen"

Stand: 28.01.2020 17:21 Uhr

Noch muss man sich hierzulande nicht allzu große Sorgen machen. "Aber das Gesundheitssystem muss jetzt umdenken", meint Virologe Drosten im tagesschau.de-Interview. Denn eine Pandemie könne ganz plötzlich kommen.

tagesschau.de: Müssen sich die Menschen - jetzt nach dem ersten bestätigten Fall in Deutschland - Sorgen machen?

Christian Drosten: Wir haben aktuell einen importierten Fall, bei dem wir die Kontaktgeschichte kennen und bei dem die Behörden jetzt alle möglichen Umgebungskontakte - selbst die weniger wahrscheinlichen - nachvollziehen werden. Für den normalen Bürger, der sich fragt, ob er sich im Alltag infizieren kann, gibt es also im Moment keinen Grund zur Sorge.

Es gibt bei allen Fällen, die im Ausland aufgetreten sind, eine direkte Reisebeziehung nach China, also zur Quelle des Virus. Trotzdem müssen wir uns bereits jetzt Gedanken über ein mögliches Pandemie-Szenario machen.

Christian Drosten
Zur Person
Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin. Er arbeitet an Coronaviren und hat das SARS-Virus 2003 mitentdeckt.

"Schauen, wie sich Fallzahlen entwickeln"

tagesschau.de: Was meinen Sie damit?

Drosten: Wir haben es mit einer Erkrankung zu tun, die sich in China immer weiter ausbreitet. Und in den nächsten Tagen müssen wir uns ganz genau anschauen, wie sich die Fallzahlen in China entwickeln. Eigentlich müssten wir in der kommenden Woche einen Effekt der ergriffenen Schutzmaßnahmen spüren, dass also die Neuansteckungen zurückgehen. Wir wissen vom SARS-Ausbruch 2002, dass soziale Distanzierung durch Krankheitsaufklärung eine sehr gute Interventionsmaßnahme ist, die in Hongkong, Singapur und anderen Städten zum Erfolg geführt hat. Auf diesen Effekt hoffe ich immer noch für Wuhan. 

Außerdem müssen wir außerhalb von China beobachten, ob es Sekundärinfektionen gibt. Das heißt Ansteckung von Personen beispielsweise in den USA und Australien, die keinen Kontakt nach China hatten. Dort wurden schon früh Fälle eingeschleppt.

"Ich bin besorgt"

tagesschau.de: Wie verläuft die Ansteckung?

Drosten: Offizielle Stellen in China sagen, dass es auch in der asymptomatischen Phase bereits zu Ansteckungen kommen kann. Das heißt, jemand hat noch keine Symptome, aber kann bereits andere Patienten infizieren. Die Frage ist, wie häufig das vorkommt und auch, wie wissenschaftlich tragfähig diese Daten sind. Auch im Falle des Patienten in München ist das wohl noch nicht ganz sicher. Ob die Person, auf die die Infektion zurückgeht, wirklich noch keinerlei Symptome hatte, lässt sich im Nachhinein nur schwer klären.

Die Symptome bei dieser Erkrankung beginnen mit Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl. Viele Leute nehmen solche Symptome nicht ernst und gehen trotzdem arbeiten. Das ist ein ganz normales Verhalten. Und das Gefährliche ist, wenn in dieser Situation die Krankheit bereits übertragen wird. Ich bin über diesen neuen Befund, dass wir offenbar so milde Symptome zu Beginn dieser Erkrankung haben, überrascht und besorgt. Denn so lässt die Verbreitung sich nur schwer kontrollieren und dann wäre die Gefahr einer Pandemie gegeben.

"Wir müssen die Pandemie-Pläne rausholen"

tagesschau.de: Was würde das für Deutschland bedeuten?

Drosten: Das ganze Medizinsystem in Deutschland muss sich schon jetzt auf eine mögliche Pandemie vorbereiten. Wir müssen unsere Denkweise verändern von "wir halten das Virus aus dem Land" zu "es könnte eine Pandemie auf uns zukommen". Das heißt, wir müssen die Pandemiepläne rausholen, um auf einen möglichen Massenanfall von Patienten vorbereitet zu sein. Das betrifft jedes Krankenhaus und fast jede Arztpraxis in Deutschland. Das ist eine sehr große Herausforderung für das gesamte Gesundheitssystem.

Ganz klar sind wir jetzt noch nicht an diesem Punkt, und es muss auch nicht zwangläufig dazu kommen. Aber das Bild und die Wahrnehmung über den Krankheitsverlauf ändert sich von Tag zu Tag und wir müssen uns zumindest planerisch vorbereiten.

Die gute Nachricht ist andererseits: Wenn es so ist, dass der durchschnittliche Patient relativ mild krank ist, dann werden wir auch geringere Sterblichkeitszahlen haben. Dann wäre die Erkrankung harmloser, als sie im Moment aussieht.

"Evakuierung ist schwierige Entscheidung"

tagesschau.de: Halten Sie die jetzt angedachte Evakuierung von Deutschen aus Wuhan für sinnvoll? Oder birgt das nicht auch Gefahren für die hiesige Bevölkerung?

Drosten: Das ist eine extrem schwierige Entscheidung, die ich momentan schwer beurteilen kann. Klar ist: Man kann in diesem speziellen Fall aufpassen, dass keine Infektionen eingeschleppt werden. Wir sind medizintechnisch absolut in der Lage, alle Insassen eines solchen Flugzeugs auf das Virus zu testen und damit Gefahren auszuschließen. Das würde im Zweifelsfall ganz bestimmt gemacht werden. Ich bin da aber nicht auf dem neuesten Stand. Und das geht natürlich nur im Ausnahmefall - man könnte nicht grundsätzlich alle Reisenden testen.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie das chinesische Krisenmanagement?

Drosten: Ich habe den Eindruck, China tut alles, was getan werden muss. Angesichts der anfangs geringen Fallzahlen kann man niemandem einen Vorwurf machen, in der Anfangsphase etwas versäumt zu haben. Das ist einfach ein Naturphänomen, mit dem wir uns jetzt auseinandersetzen müssen.

Ich glaube nicht, dass irgendein Land, sei es die USA oder in Europa - Deutschland eingeschlossen - irgendetwas technisch besser machen würde als die Chinesen das tun. Die haben große Kapazitäten, jede Menge Personal und eine gut entwickelte Pharmaindustrie.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.

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