Einzelhandel Corona

Corona-Maßnahmen 800-qm-Regel sorgt für Kopfschütteln

Stand: 16.04.2020 10:40 Uhr

Die Corona-Beschlüsse der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten stoßen in der Wirtschaft auf ein geteiltes Echo. Handel, Hotels und Gaststätten sind enttäuscht bis verärgert - der Arbeitgeberverband nicht.

Von Daniel Pokraka, ARD Berlin

Es ist schon bemerkenswert: Die Kanzlerin und die Bundesländer beschließen, dass Geschäfte ab einer bestimmten Größe weiterhin nicht öffnen dürfen, dass also ein großer Teil des wirtschaftlichen Lebens weiterhin nicht stattfindet - und der Arbeitgeberverband? Findet die Entscheidung grundsätzlich richtig. Für Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer stellt der Beschluss von Angela Merkel und den Ministerpräsidenten "ein richtiges Maß an Sicherheit für die Gesundheitsversorgung bei ersten Schritten zur Wiederaufnahme des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens" dar.

Teil-Öffnung von Geschäften für BDA wichtiger Schritt

Buchläden, Autohäuser und Fahrradgeschäfte dürfen ab Montag wieder öffnen; andere Geschäfte ebenfalls, solange ihre Verkaufsfläche 800 Quadratmeter nicht überschreitet. Voraussetzung ist, dass in und vor den Geschäften bestimmte Abstands- und Hygieneregeln einhalten werden. "Wichtige Schritte", lobt der Arbeitgeberpräsident, denn mit dem Handel könne auch die Produktion wieder hochfahren - vor allem in der Branche, an der in vielen Regionen Beschäftigung und Wohlstand hängen: der Autoindustrie.

Anderen Wirtschaftsverbänden treibt der Beschluss der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten Schweißperlen auf die Stirn. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hätte sich einen "Fahrplan Richtung Normalität" gewünscht. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, sagt, für viele Betriebe fehle "weiterhin eine klare Perspektive für ihr Geschäft".

Handelsverband enttäuscht über 800-Quadratmeter-Regel

Noch deutlicher wird der Handelsverband Deutschland. Der HDE erinnert daran, dass im Nicht-Lebensmittel-Einzelhandel in den zurückliegenden vier Wochen ein Schaden von 30 Milliarden Euro entstanden sei - und kann sich über die Öffnung eines Teils der Geschäfte nicht freuen. Weil sie nun mal eine Teil-Öffnung ist. Die 800-Quadratmeter-Grenze kann der Verband nicht nachvollziehen. "Die jetzt beschlossenen Vorgaben führen zu Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten", sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Es gebe kein Sachargument dafür, kleinere Läden zu öffnen und größere nicht - Abstands- und Hygieneregeln könnten überall eingehalten werden.

Nach Einschätzung des HDE verläuft die 800-Quadratmeter-Grenze mitten durch die Innenstadt: Mittelgroße Bekleidungsgeschäfte und Elektronikhändler hätten weiterhin geschlossen, der durchschnittliche Schuhladen und der Haushaltswarengeschäft dürften öffnen.

Regierung will keine vollen Fußgängerzonen riskieren

Reine Willkür also? Das Gegenargument der Bundesregierung lautet: Würden am Montag alle Geschäfte wieder öffnen, könnte es wieder zu viel Gedränge im Nahverkehr und in den Fußgängerzonen geben. Kanzleramtsminister Helge Braun sagte im ARD-Morgenmagazin: "Deshalb müssen die großen Geschäfte, die häufig die Publikumsmagneten sind, noch eine Weile geschlossen bleiben." Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher fügte hinzu: "Wir wollen vorsichtig den ersten Einstieg machen."

Zu diesem vorsichtigen Einstieg gehört auch, dass Hotels, Restaurants und Kneipen weiterhin nicht öffnen dürfen. Die Branche ist deshalb enttäuscht. Der Hotel- und Gaststättenverband hatte auf Lockerungen gehofft; erst vorgestern bat Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges darum, Schritte in Richtung Normalität drei Arbeitstage vorher anzukündigen, damit Hotels und Restaurants Waren einkaufen und Dienstpläne machen könnten. Doch das steht erst einmal nicht an. Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben entschieden: mindestens bis zum 3. Mai bleibt alles geschlossen.

Hotels und Gaststätten fordern Rettungspaket

Die Reaktion auf die gestrigen Beschlüsse: teilweise harsch. "Dass die Gastronomie in den Beratungen offenbar gar kein Thema war, ist eine Frechheit", sagte der Dehoga-Präsident von Sachsen-Anhalt, Michael Schmidt, der dpa. Sein Berliner Kollege Thomas Lengfelder sprach von einer "Katastrophe"; viele Betriebe stünden schon jetzt mit dem Rücken zur Wand. Ähnlich drastisch: der Bundesverband. Dehoga-Präsident Guido Zöllick sagte zwar, das Gastgewerbe akzeptiere alles, was gesundheitspolitisch geboten sei.

Allerdings sei für die Hotel- und Gaststättenbranche ein "sofortiges Rettungspaket" nötig. Andere Branchen hätten in weitaus weniger dramatischen Situationen hohe staatliche Unterstützungsleistungen erhalten: "Es kann und darf nicht sein, dass nur Großkonzerne durch den sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds gerettet werden und 223.000 gastgewerbliche Betriebe mit 2,4 Millionen Beschäftigten das Nachsehen haben."

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