Rauch steigt über einem Konzertsaal am Stadtrand von Moskau auf.
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Anschlag bei Moskau Falsche Bilder und vorschnelle Anschuldigungen

Stand: 23.03.2024 12:52 Uhr

Nach dem Anschlag bei Moskau kursierten in den sozialen Netzwerken schnell Bilder von den vermeintlichen Tätern - und entpuppten sich als falsch. Auch für einige Schuldzuweisungen gibt es keine echten Belege.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Neue Berichte über die Suche der russischen Sicherheitsbehörden nach einer Reihe von Männern aus Inguschetien, die des tödlichen Terroranschlags in Moskau verdächtigt werden", schrieb der auf der Kurzmitteilungsplattform X reichweitenstarke Account Visegrád 24 kurze Zeit nach dem Angriff auf eine Konzerthalle bei Moskau. Dazu postete der Account fünf Bilder von Männern, nach denen angeblich gefahndet werde. Doch das ist falsch.

Wie eine Bilderrückwärtssuche zeigt, kursieren die Bilder der Männer bereits deutlich länger im Netz. So wurde in einem Telegramkanal des russischen staatlichen Senders Dagestan bereits vier der Bilder samt Steckbriefen von zwei Männern gepostet. Dazu heißt es: "Gesucht wegen der Begehung mehrerer bewaffneter Angriffe auf Polizeibeamte der Republik Inguschetien zwischen dem 26. März und dem 5. April 2023." Zudem wird in dem Post nach Hinweisen gebeten.

Anfang März wiederum lassen sich mehrere russische Medienberichte finden, in denen ebenfalls Bilder der Männer zu finden sind. Dort steht, dass insgesamt sechs Militante in Inguschetien eliminiert worden seien. Dabei handelte es sich demnach um die auf den Bildern zu sehenden Männer. Laut den Berichten standen sie auf der Fahndungsliste wegen Mordes an drei Mitarbeitern des Innenministeriums. Die Männer, nach denen angeblich im Zusammenhang mit den Anschlägen in Moskau gesucht werden, sind demnach bereits Anfang März getötet worden.

Manipulierter Personalausweis

Viele X-Accounts posteten unmittelbar nach dem Anschlag den Personalausweis eines Mannes, der angeblich vom russischen Geheimdienst FSB noch am Tatort identifiziert und festgenommen wurde. Der Mann hieße demnach Samuel Hydenko und sei ein mutmaßlicher Offizier des ukrainischen Geheimdienstes. Auf dem Ausweis ist unter anderem eine ukrainische Flagge zu sehen. Doch auch dabei handelte es sich um eine Falschmeldung.

Bei dem Mann auf dem Foto handelt es sich um den US-amerikanischen Comedian Samuel Whitcom Hyde. Dass manipulierte Bilder von ihm nach Anschlägen verbreitet werden, ist fast schon eine makabere Tradition. So wurden auch nach dem Amoklauf in München, dem Attentat in Manchester oder der Amokfahrt in Münster Bilder von Hyde verbreitet mit der Behauptung, dass es sich dabei um den mutmaßlichen Täter handele - oft in Form eines angeblichen Personalausweises, bei dem je nach Land des Anschlags seine Nationalität und der Name angepasst wurde, um es glaubwürdiger erscheinen zu lassen.

Falschmeldung über Nummernschild

Das Nummernschild eines weißen Vans wurde für einige pro-russische Kanäle zum falschen Beleg einer angeblichen ukrainischen Täterschaft. Denn dieser Van mit angeblich ukrainischem Nummernschild habe in der Nähe der Konzerthalle geparkt. Allerdings ist auf dem vermeintlichen Beweisvideo gar nicht das ganze Nummernschild des Minibusses zu sehen.

Bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass die linke Hälfte des Nummernschildes unkenntlich gemacht wurde. Dadurch ist die Flagge und das Länderkürzel nicht zu sehen. Auf anderen Videos ist die linke Hälfte jedoch nicht geblurrt und gut zu erkennen. Darauf zu sehen ist die belarusische Flagge sowie das Länderkürzel BY, das Länderkennzeichen für Belarus.

Auch die Reihenfolge der Nummern und Zahlen auf dem Kennzeichen folgt dem belarusischen System aus vier Ziffern, gefolgt von zwei Buchstaben, einem Bindestrich und einer Ziffer. Aktuelle Nummernschilder aus der Ukraine bestehen hingegen aus zwei Buchstaben für den Zulassungsbezirk, gefolgt von vier Ziffern und zwei Buchstaben.

Sicherheitswarnung der US-Botschaft nicht aktuell

Auch den USA wird in einigen pro-russischen Kanälen eine Mittäterschaft angedichtet. Grund dafür ist eine Sicherheitswarnung der US-amerikanischen Botschaft in Moskau, die US-Bürger davor warnt, in den nächsten 48 Stunden große Menschenansammlungen zu besuchen. In der Meldung heißt es: "Die Botschaft verfolgt Berichte, wonach Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau anzugreifen, darunter auch Konzerte, und US-Bürgern sollte geraten werden, große Versammlungen in den nächsten 48 Stunden zu vermeiden."

Allerdings stammt diese Meldung nicht aus dieser Woche. Wie auf der Seite der US-amerikanischen Botschaft zu sehen ist, wurde die Sicherheitswarnung bereits am 7. März veröffentlicht. Grund dafür war zudem eine Veröffentlichung des russischen Geheimdienstes FSB, der vor einem möglichen Terroranschlag auf eine Synagoge in Moskau gewarnt hatte. Daraufhin hatte unter anderem auch die britische Botschaft eine Sicherheitswarnung für ihre Bürger in Russland ausgesprochen.

Unbewiesene Vorwürfe gegen Russland

Doch auch Vorwürfe, die Russland eine Schuld an dem Anschlag zuschieben, wurden schnell ohne stichhaltige Belege verbreitet. Dabei wurden zum Teil falsche Parallelen zum Ausbruch des zweiten Tschetschenienkriegs gezogen. So behaupteten mehrere User unter anderem, dass ein terroristischer Anschlag in einem Theater in Moskau 2002 als Anlass von Wladimir Putin für den Krieg in Tschetschenien genommen wurde. Dazu wird die Frage gestellt, ob er dasselbe noch einmal macht.

Dabei begann der zweite Tschetschenienkrieg bereits drei Jahre eher, im Jahr 1999. Zudem war nicht der Anschlag auf ein Theater in Moskau der Auslöser des Krieges, sondern eine Serie von Bombenattentaten auf Wohnhäuser in Russland. Damals gab es Zweifel an der offiziellen Version der russischen Ermittlungsergebnisse, dass tschetschenische Separatisten hinter den Anschlägen steckten.

Allerdings gibt es keinerlei Hinweise, dass es sich bei dem jüngsten Anschlag in Moskau um eine sogenannte False Flag-Operation gehandelt haben könnte. Die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" reklamierte den Angriff für sich. Der Terrorexperte Peter Neumann vom King's College in London geht davon aus, dass dieses Bekennerschreiben echt ist.

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