Eine Arzthelferin zieht in einer Praxis einer Hausärztin eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff Janssen von Johnson & Johnson gegen das Corona-Virus auf (Archivbild).
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Corona-Pandemie Gibt es ein generelles Impfversagen?

Stand: 04.11.2021 06:00 Uhr

In Blogs und sozialen Netzwerken wird ein großes Impfversagen angeprangert. So seien die Impfungen quasi sinnlos, heißt es unter anderem. Doch was genau steckt hinter dem Begriff?

Von Patrick Gensing, Redaktion ARD-faktenfinder

Das Schlagwort Impfversagen wird derzeit massenhaft in sozialen Medien diskutiert. Hintergrund sind steigende Zahlen von Impfdurchbrüchen vor allem bei älteren Menschen, die trotz einer doppelten Impfung teilweise sogar schwer erkranken oder versterben.

Primäres und sekundäres Impfversagen

In einem Fachwörterbuch des RKI aus dem Jahr 2015 wird der Begriff Impfversagen definiert als "Impfdurchbruch, Erkrankung trotz Schutzimpfung". Ein Impferfolg könne aus verschiedenen Gründen ausbleiben, heißt es dort, so beispielsweise wegen der individuellen "Disposition des Geimpften" - also beispielsweise Krankheit oder Alter. Bestimmte Faktoren könnten "eine Immunantwort vollständig verhindern oder nur eingeschränkt ermöglichen", schreibt das RKI.

Unterschieden wird dabei zwischen einem primären Impfversagen ("Impferfolg bleibt - aus verschiedenen Gründen - von vornherein aus") und einem sekundären Impfversagen: "Ein ursprünglich erreichter Impfschutz nimmt im zeitlichen Verlauf schneller ab, als zu erwarten wäre."

Wie ist die Situation bei den Corona-Impfungen?

Unstrittig ist, dass der Impfschutz mit der Zeit wieder abnimmt. Reinhold Förster vom Institut für Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover sagte im Gespräch mit tagesschau.de: "Die Halbwertzeit ist relativ gering." Und: "Je älter die Menschen sind, umso schneller geht der Immunschutz zurück". Auch das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt in seinem Wochenbericht, die Impfeffektivität habe zuletzt abgenommen.

Dementsprechend ist mittlerweile die Diskussion über eine neue Impfkampagne für die Booster in vollem Gange. Daten aus Israel legen zudem den Schluss nahe, dass eine generelle Auffrischung - auch für jüngere Menschen - die Ausbreitung des Virus eindämmt - und so den Schutz vor Erkrankungen für Risikogruppen erhöht.

Welcher Impfschutz für wen ist gemeint?

Beim Impfschutz muss allerdings zweifach differenziert werden - zwischen dem Schutz vor einer Infektion und dem vor einer schweren Erkrankung sowie zwischen dem individuellen und dem Gemeinschaftsschutz. So ist eine Infektion für eine gesunde Person kein großes Risiko, wenn sie durch eine Impfung vor einem schweren Verlauf geschützt ist. Das ist die individuelle Ebene.

Doch dann gibt es noch die Verantwortung für andere und den Gemeinschaftsschutz. So könnten jüngere Personen zwar vor einem schweren Verlauf geschützt sein, doch gleichzeitig das Virus weiter übertragen - und damit wiederum andere gefährden, die entweder nicht geimpft sind oder keinen ausreichenden Impfschutz (mehr) haben. Die Virologin Sandra Ciesek erklärte dazu im NDR-Podcast "Coronavirus Update":

Impfen reduziert das individuelle Risiko, schwer zu erkranken für jeden, wobei das individuelle Risiko unterschiedlich ist. Wie lange das so ist, das wissen wir noch nicht. Ob das Jahre sind, ob das viele Monate sind. Die Impfung führt aber nur kurz zu einer sterilen Immunität. Das heißt, man kann sich wahrscheinlich nach drei Monaten ungefähr wieder anstecken, gerade mit Delta. Das liegt vor allen Dingen auch an der Delta-Variante, dass es da vermehrte Infektionen gibt.

Daher seien Booster-Impfungen vor allem für Ältere sinnvoll, weil diese besonders gefährdet seien. Bei Jüngeren könnten Booster vor allem helfen, damit sie nicht zu "einem Überträger des Virus" würden, so Ciesek. Deswegen werde "auch empfohlen, dass das Krankenhauspersonal und die Pflegekräfte in den Alten- und Pflegeheimen sich boostern lassen". Zuletzt hatte es mehrfach Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen gegeben mit vielen Toten. Die Impfquote bei den Pflegerinnen und Pflegern lag dort teilweise nur bei 50 Prozent.

Kürzer geschützt als erhofft?

Anfang des Jahres hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in einer Regierungserklärung gesagt, die "Impfung bringt Licht ans Ende des Tunnels". Damals stand der Minister in der Kritik, da Deutschland noch zu wenig Impfstoff hatte. Zu der Frage, wie lange der Impfschutz wirken könnte, äußerte er sich zu dem Zeitpunkt nicht.

BioNTech-Chef Ugur Sahin hatte im Dezember 2020 im SWR erklärt, man wisse, "dass der Impfschutz mindestens für zweieinhalb bis drei Monate anhält". Für einen längeren Zeitraum habe es keine Daten gegeben. Sahin weiter: "Da wir einen kombinierten Impfschutz haben, gehe ich davon aus, dass wir mindestens für einen Zeitraum von zwölf Monaten einen deutlichen Impfschutz haben werden. Falls es dann notwendig ist, eine erneute Impfung durchzuführen, wäre das kein Problem."

In der "Bild"-Zeitung sagte Sahin Ende Dezember 2020: "Wenn wir wollen, dass sich das Virus in Zukunft schwerer ausbreiten kann, und wir Infektionen verringern wollen, muss die Impfung häufiger, vielleicht alle ein bis anderthalb Jahre aufgefrischt werden."

Im Juni sagte Sahin, er gehe davon aus, "dass eine dritte Impfung für die Auffrischung der Immunität von hohem Wert ist". Das Wissen über das Coronavirus nehme stetig zu. "Wir beobachten, dass die Immunität mit der Zeit nachlassen wird und neue Varianten entstehen."

Ein jahrelanger genereller Schutz wurde also nicht versprochen, allerdings hatte Sahin die Zeitspanne für einen Schutz offenkundig zu optimistisch eingeschätzt.

Dass Auffrischungsimpfungen allerdings mutmaßlich nötig werden, hatten Fachleute immer wieder gesagt, so beispielsweise Karl Lauterbach und STIKO-Chef Thomas Merstens im Mai. Unklar war aber stets, wann diese nötig sein würden, da noch Studien dazu fehlten.

Gibt es ein Impfversagen?

Im Hinblick auf die Dauer des Impfschutzes hatte es also durchaus optimistischere Aussagen gegeben, allerdings war auch stets klar, dass die Daten für fundierte Prognosen nicht ausreichten. Ob diese Ungewissheit im Hinblick auf den Schutz vor Infektionen und mutmaßlich notwendigen Booster-Impfungen in der großen Öffentlichkeit ankamen, lässt sich schwer überprüfen.

Die derzeitige Diskussion und der langsame Fortschritt bei den Auffrischungen legen den Schluss nahe: Vielen Menschen ist noch nicht klar, dass eine zweifache Impfung wohl nicht ausreichend ist, um sich längerfristig zu schützen.

Zudem konnten Impfstoffe wie Johnson&Johnson nicht so einen hohen Schutzeffekt vor Infektionen erreichen, wie erhofft worden war. Allerdings bietet auch dieser Impfstoff sicheren und wirksamen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen, betont das Bundesgesundheitsministerium.

Pauschale Behauptungen, die nachlassende Wirkung von Impfstoffen sei ein generelles Versagen der Impfstoffe, lassen sich kaum nachvollziehen. Der Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie an der Berliner Charité, Leif Erik Sander, sagte, die nachlassende Schutzwirkung sei "vollkommen erwartbar".

Vielmehr zeigen internationale Daten, dass Staaten mit einer hohen Impfquote - so wie Spanien, Portugal, Italien und die nordischen Länder - derzeit deutlich weniger Infektionen und schwere Covid-Fälle haben als Länder mit einer geringen Impfquote. Das Impfversagen besteht also eher darin, viele Menschen nicht vom Sinn einer Impfung überzeugt haben zu können - sei es für sie selbst und für die Gemeinschaft.

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