Auf einem Plakat bei einem Fridays for Future-Protest in Hannover ist eine weinende Erdkugel gemalt.
#kurzerklärt

#kurzerklärt Was steckt hinter dem "Klimanotstand"?

Stand: 26.07.2019 15:34 Uhr

Er ist eine der zentralen Forderungen der "Fridays for Future"-Bewegung und gilt bereits in mehreren deutschen Städten: der "Klimanotstand". Doch was bedeutet der Begriff eigentlich?

Der Bodensee ist ein beliebtes Ferienziel, viele Touristen suchen dort Erholung. Doch was der Gemeinderat der Bodensee-Stadt Konstanz am 2. Mai 2019 beschloss, klingt alles andere als nach Urlaub: Als erste Gemeinde in Deutschland rief Konstanz den "Klimanotstand" aus.

Das klingt dramatisch, beängstigend und überhaupt nicht nach Ruhe und Entspannung. Mittlerweile sind mehrere Kommunen dem Konstanzer Beispiel gefolgt, von Aachen über Kiel bis Saarbrücken. Auch Staaten wie Kanada oder Irland haben den Klimanotstand ausgerufen.

Wie ein "Notfall auf der Intensivstation"

Doch was ist eigentlich ein Klimanotstand? Eine einheitliche Definition existiert nicht.

Zunächst ist Klimanotstand kein rechtlich bindender Begriff. "Es handelt sich nicht um einen Notstand im juristischen Sinne", sagt ein Sprecher der Stadt Konstanz. "Die Verabschiedung der Resolution ist ein Signal und ein Impuls."

Ähnlich sehen es die Vereinten Nationen. "Der Klimanotstand beschreibt eine Notlage, die besondere und schnelle Lösungen braucht", so ein UN-Sprecher:

Vielleicht ist die Beschreibung eines Notfalls besser, der auf der Intensivstation behandelt werden muss.

Auch das Bundesumweltministerium betont: "Einen Klimanotstand auszurufen hat vor allem symbolische Wirkung und soll zeigen, dass eine Kommune oder eine Regierung den Klimawandel ernst nimmt und Maßnahmen für den Klimaschutz einleitet."

Eine Gesellschaft ohne Treibhausgase bis 2050

Konkreter wird Jürgen Manemann, Professor am Forschungsinstitut für Philosophie in Hannover. Er befasst sich wissenschaftlich mit dem Klimanotstand und versteht den Begriff so: "Klimanotstand heißt, Maßnahmen zu ergreifen, die die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränken." Das bedeute, alle politischen Entscheidungen müssten daraufhin überprüft werden, welche Auswirkungen sie auf die Erderwärmung hätten.

Das Umweltbundesamt versucht sich ebenfalls an einer konkreten Definition: Den Klimanotstand abzuwenden bedeute, bis 2050 eine Gesellschaft zu ermöglichen, die in der Bilanz keine Treibhausgase mehr ausstößt, schreibt ein Sprecher.

"Öffis" statt Dienstwagen - auch für den Bürgermeister

Die Stadt Konstanz will ihrem Beschluss jedenfalls Taten folgen lassen: Sitzungsvorlagen für den Gemeinderat würden seit Juni um eine Einschätzung zur Klimarelevanz der behandelten Themen ergänzt, teilt die Gemeinde mit. So wissen die Ratsmitglieder gleich, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen auf das Klima haben könnten.

Weitere Pläne: Die Stadt Konstanz will jetzt mehr Abstellplätze für Fahrräder schaffen, plant kostenfreie Busse, testet sogenannte Wasserbusse und prüft, eine Seilbahn über den Bodensee zu bauen. Beschlossen ist auch: Wer ein neues Haus bauen will, soll sich - nach einer Prüfung - ein Solardach auf sein Domizil setzen.

Nicht zuletzt habe der Oberbürgermeister darauf verzichtet, sich einen neuen Dienstwagen anzuschaffen: "Er wird künftig mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein oder auf den Dienstwagenpool der Stadt zurückgreifen", teilt ein Sprecher mit.

So sieht es also aus, das Leben im Klimanotstand. "Wir haben Freude am Experimentieren", sagt der Sprecher der Stadt.

Der "Climate Emergency" hat wohl australischen Ursprung

Doch woher stammt der Begriff Klimanotstand überhaupt? Der Klimahistoriker Wolfgang Behringer von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken sieht seinen Ursprung in Australien:

Möglicherweise wurde der Begriff 'Climate Emergency' 2009 von dem Klimaaktivisten David Spratt und dem Allgemeinarzt Bob Brown, einem grünen Abgeordneten aus Tasmanien, erfunden.

"Greifbar wurde der Begriff erstmals auf dem Transparent für eine Demonstration am 13. Juni 2009, einem kalten Wintertag in Melbourne", so Behringer weiter: "Der Demonstrationszug bewegte sich von der State Library durch die Swanston Road zur Town Hall, wo eine Versammlung der australischen Labour Party stattfand."

Auch bei einer Demonstration in Sydney am gleichen Tag war ein Transparent mit der Aufschrift "Climate Emergency" zu sehen. Der Klimaaktivist Damien Lawson von der Organisation "Friends of the Earth" soll zu zivilem Ungehorsam aufgerufen haben, um Druck auf die Politiker auszuüben.

Der Begriff basiert offenbar auf Spratts Buch "Climate Code Red: The Case for Emergency Action", das 2008 in Melbourne erschien. Der dort gebrauchte Begriff lautete allerdings "Sustainability Emergency".

"Linksökologischer Kampagnenbegriff"

Behringer ist sich sicher: "Als ich 2007 nach jahrelangen Recherchen meine 'Kulturgeschichte des Klimas' veröffentlichte, gab es den Begriff mit Sicherheit noch in keiner einzigen wissenschaftlichen Publikation. Es handelt sich um einen linksökologischen Kampagnenbegriff mit Bezug auf die wissenschaftliche Klimadebatte, ist aber selbst außerhalb der Wissenschaften angesiedelt."

Manemann vom Forschungsinstitut für Philosophie in Hannover dagegen findet den Begriff wichtig und ergänzt: "Spätestens seit 2009, nachdem die UN den 22. April zum 'Internationalen Tag der Erde' erklärt hatte, taucht der Begriff Klimanotstand immer wieder verstreut auf - auf Plakaten bei Demonstrationen, in Strategiepapieren und in Präsentationen."

Bekanntheit habe er aber erst durch die Protestaktionen der Umweltbewegung "Extinction Rebellion" in London im November 2018 erlangt. Diese hätten dazu geführt, dass das britische Unterhaus und die Stadt London den "Climate Emergency" ausgerufen hätten.

"Hierzulande fand der Begriff Eingang in die umweltpolitische Debatte durch die Bewegung Fridays for future", fügt Manemann hinzu. Tatsächlich hat die Stadt Konstanz den Klimanotstand auf Drängen der Schülerbewegung ausgerufen.

Vereinte Nationen verschärfen die Sprache

Auch wenn der Klimanotstand keine rechtliche Wirkung hat, soll er doch dazu aufrütteln, sich am Klimaschutz zu beteiligen. Die britische Zeitung "The Guardian" etwa hat angekündigt, statt Klimawandel die Begriffe Klimanotstand, Klimakrise oder gar Zusammenbruch zu verwenden.  Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres spricht vom "Klimanotstand", seit er im Mai 2019 die pazifischen Inseln besucht und die Wirkungen des Klimawandels erlebt hat.

Insofern ist der Klimanotstand erstmal nur ein Begriff. Ein Appell, den Klimawandel zu begrenzen, aber ohne rechtliche Bindung. Entscheidend ist also, was diejenigen, die es betrifft, daraus machen.

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