Screenshot des YouTube-Kanals von Julian Reichelt.
Kontext

Ex-"Bild"-Chef Reichelt Rechtspopulistisches Comeback auf YouTube?

Stand: 22.08.2022 12:31 Uhr

Der ehemalige "Bild"-Chefredakteur Reichelt hat einen eigenen YouTube-Kanal. Laut Experten finden seine dort verbreiteten rechtspopulistischen Thesen Anklang. Eine Strategie mit Erfolgsaussichten?

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-Faktenfinder

"Grüne lassen uns fürs Klima hungern!", "Energiekrise: Darum sollen Deutsche jetzt im Müll wühlen", oder "Faeser hetzt ARD gegen die eigenen Bürger auf!" So lauten einige aktuelle Videotitel vom neuen YouTube-Kanal des ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt: "Achtung, Reichelt!".

Nach seinem Rausschmiss bei der "Bild"-Zeitung hatte Reichelt angekündigt, mit einer neuen Plattform eine Marktlücke in der deutschen Medienlandschaft schließen zu wollen. Tatsächlich haben mittlerweile 119.000 Menschen den Kanal abonniert, seine Videos wurden insgesamt bereits mehr als fünf Millionen Mal aufgerufen. Kann Reichelt also mit seinem im Juli gestarteten Kanal die für sich auserkorene Lücke zwischen boulevardistischen oder konservativen Medien und den sogenannten Alternativen Medien schließen und erfolgreich bedienen?

"Das kann auch schnell zu Ende sein"

Der rasante Anstieg der Abonnenten sei schon bemerkenswert, sagt Medienökonom Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität Weimar. Dass dies einem YouTube-Format gelinge, das aktuelle Sachverhalte kommentiert, sei nicht selbstverständlich. "Aber die Frage ist halt, wie schnell das auch wieder abebbt. Das kann auch schnell zu Ende sein", sagt Buschow. Wie groß die Zielgruppe letztlich sei und wie viele Menschen Reichelt mit seinen polarisierenden Inhalten auf Dauer tatsächlich erreichen könne, werde sich zeigen, so der Medienökonom.

Das Setting der Show erweckt den Eindruck einer seriösen Nachrichtensendung. Reichelt sitzt an einem Schreibtisch vor einem Monitor*, auf dem Schlagzeilen, Bilder und Videos eingeblendet werden, die visuell das unterstützen, was Reichelt sagt. Allerdings, so heißt es selbst in der Beschreibung des Kanals, handelt es sich um eine "Meinungs-Show".

Wie Reichelt auf YouTube schreibt, will er "zu einer der klarsten und unüberhörbarsten Stimmen dieses Landes werden - zur Stimme der Mehrheit." So heißt es in der Kanalinfo: "Wir sind der schärfste Widersacher von Spin, erdrückenden Narrativen, Ideologien, Bigotterie und Scheinheiligkeit in der Politik. Wir wollen furchtlos und respektlos über das sprechen, was in unserem Land passiert." Auf eine Anfrage von tagesschau.de antwortete Reichelt nicht, stattdessen veröffentlichte er diese auf Twitter.

Reichelt "ein weiterer Untergangsprophet"

"Zunächst einmal hebt Reichelts YouTube-Kanal sich von anderen dadurch ab, dass Reichelt und Teile seines Teams eine journalistische Ausbildung absolviert haben", sagt Jan Rathje, Senior Researcher vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Sonst unterscheidet sich sein Kanal nicht allzu sehr von anderen 'Alternativmedien', die in steter Folge Meinungsbeiträge produzieren, die als Nachrichten aufgefasst werden." Es bleibe abzuwarten, inwiefern Reichelt die zunehmende Aufmerksamkeit rechtspopulistischer und verschwörungsideologischer Milieus weiterhin sicherstellen könne.

In den Videos, die in der Regel zwischen 15 bis 20 Minuten lang sind, fänden sich vor allem rechtspopulistische Inhalte mit einer Tendenz ins Rechtslibertäre, so Rathje. Dies werde etwa in seinen apokalyptischen Darstellungen der Zukunft Deutschlands deutlich. "Julian Reichelt präsentiert sich auf seinem Kanal als ein weiterer Untergangsprophet und reproduziert rechte Feindbilder." Das hält Rathje grundsätzlich für problematisch.

Nähe zur verschwörungsideologischen Szene

Im verschwörungsideologischen Milieu kommt Reichelts YouTube-Kanal gut an. Seine Videos werden von reichweitenstarken Telegram-Accounts aus der Szene geteilt, wie etwa den Kanälen von Eva Herman, Bodo Schiffmann oder Oliver Janich, der kürzlich auf den Philippinen festgenommen wurde. Auch das rechtsextreme Magazin "Compact" teilte Reichelts Inhalte.

Innerhalb der Kanäle und Gruppen zählten Reichelts Videos zu den am meisten geteilten, sagt Rathje. Ihm komme seine vorherige Karriere bei etablierten Medien sogar zugute. "Innerhalb verschwörungsideologischer Milieus wird er als eine Art Renegat angesehen, der nun mutmaßlich von allen Zwängen des 'Mainstreams' befreit berichten könne."

Inhaltlich bedient Reichelt ähnliche Feindbilder der Szene. Grüne, die durch eine Klimadiktatur das Leben der Deutschen einschränken, öffentlich-rechtliche Medien, die vom Staat gesteuert werden oder Zwangsimpfungen gegen das Coronavirus. "Die in seinen Videos propagierte unterkomplexe Darstellung von Politik als Auseinandersetzung von gutem deutschem Volk versus böser rot-grüner Elite deckt sich mit verschwörungsideologischen Vorstellungen, die dahinter noch eine Verschwörung unterstellen", so Politikwissenschaftler Rathje.

Einige "Bild"-Mitarbeiter folgen Reichelt

Hinter Reichelts YouTube-Kanal steht laut Impressum die Firma Rome Medien GmbH. Diese wurde am 28. März 2022 im Handelsregister eingetragen, zum Gegenstand des Unternehmens heißt es: "Die Produktion, die nationale Verbreitung und Vermarktung von Medieninhalten durch diverse Verbreitungskanäle (z. B. Online, Mobile, Lineares TV)". Geschäftsführer ist Reichelt selbst.

In den vergangenen Wochen und Monaten hatten einige ehemalige Weggefährten Reichelts von der "Bild" ihren Wechsel zu Rome Medien bekannt gegeben. Laut Recherchen von "t-online" könnte der Milliardär Frank Gotthardt ein zahlungskräftiger Kooperationspartner Reichelts sein. Gotthardt ist nicht nur Hauptgesellschafter der Kölner Haie, sondern mit seinem Regionalsender TV Mittelrhein und WWTV auch im regionalen Fernsehgeschäft tätig.

Nach seinem Rauswurf bei der "Bild" wegen mutmaßlichen Machtmissbrauchs gegenüber Mitarbeiterinnen hatte Reichelt zunächst über seinen Instagramkanal kurze Videos über politische Ereignisse veröffentlicht. Ein Fanaccount namens "Reichelt Ultras" verbreitete diese auch bei YouTube. Anfang Juli übernahm Reichelt den Kanal und holte den vorherigen Betreiber des Accounts eigenen Angaben zufolge in sein neues Team.

Auf den Spuren von Tucker Carlson?

Von der Aufmachung als auch inhaltlich weisen die Sendungen von Reichelts YouTube-Kanal starke Parallelen zu der Show des Fox-News-Moderators Tucker Carlson auf. Dieser setzt auf einen radikalen, krawalligen Kurs und verteidigt seit Jahren unter anderem regelmäßig den russischen Machthaber Wladimir Putin. Carlson gilt in den USA quasi als Sprachrohr von Ex-Präsident Donald Trump.

Inwieweit das US-amerikanische Konzept Carlsons auch in Deutschland Erfolgsaussichten habe, sei fraglich, so Medienökonom Buschow. "Wir haben in Deutschland nicht so eine polarisierte Gesellschaft und Mediennutzung wie in den Vereinigten Staaten." Der Großteil der Deutschen vertraue den etablierten Medien und ihrer Berichterstattung. "Achtung Reichelt" sei "letztlich ein Nischenprodukt, bei dem interessant zu sehen sein wird, wie groß es unter den deutschen Marktbedingungen, die völlig andere sind, werden kann." Das werde die Entwicklung in den kommenden Monaten zeigen.

* In einer früheren Version hieß es, dass er vor einem sogenannten Greenscreen sitzt

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