Ein Traktor verteilt Glyphosat auf einem Feld.
Kontext

Totalherbizid Wie schädlich ist Glyphosat für Mensch und Natur?

Stand: 15.04.2024 12:50 Uhr

Zur Unkrautbekämpfung wird Glyphosat vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, trotz Kritik wegen Risiken für Mensch und Natur. Im Vergleich zu anderen Wirkstoffen sehen Experten Glyphosat im Vorteil, dennoch fordern sie ein Umdenken.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder und Nele Rößler, NDR

"Wahrscheinlich krebserregend" - spätestens seit dieser Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2015 wird über kein Pflanzenschutzmittelwirkstoff so hitzig diskutiert wie über Glyphosat. Hinzu kamen mit der Zeit weitere Kritikpunkte, wie die negativen Folgen der Glyphosatnutzung für die Artenvielfalt und die nachgewiesenen Rückstände in Lebensmitteln. Doch was ist dran an den einzelnen Faktoren?

Besonders die vermeintlich krebserregende Wirkung von Glyphosat spielt sowohl in gesellschaftlichen als auch politischen Debatten nach wie vor eine große Rolle. Dabei kommen zahlreiche Behörden zu einer anderen Einschätzung als die IARC, unter anderem das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder auch das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR) der WHO.

IARC bezieht Beistoffe in Bewertung mit ein

Ein Grund für diese unterschiedlichen Auffassungen ist zum einen, dass die IARC anders als die anderen Institutionen nicht nur den Wirkstoff Glyphosat betrachtet hat, sondern auch die Beistoffe, die in einigen Produkten beigemischt werden. Davon wurden in der EU inzwischen einige gefährliche wie POE-Tallowamine verboten. Zudem bezieht die IARC die Exposition - also ab welcher Menge ein Stoff krebserregend sein kann - nicht mit ein. Sie bewertet nur, ob ein Stoff generell Krebs auslösen kann, ab welcher Dosis auch immer.

Die EFSA und das BfR, das in Deutschland für die toxikologische Einschätzung zuständig ist, kommen daher zu anderen Bewertungen. "Im Ergebnis der erneuten Bewertung wurden keine kritischen Bedenken im Bereich der gesundheitlichen Risikobewertung festgestellt", schreibt ein Sprecher des BfR. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) kam zu dem Schluss, dass eine Einstufung von Glyphosat als krebserzeugend nicht gerechtfertigt ist. Diese Einstufung wird von der EFSA und dem BfR geteilt.

Die toxikologischen Referenzwerte richten sich nach dem Körpergewicht: So gilt eine tägliche Aufnahmemenge von 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht als akzeptabel (Acceptable Daily Intake). Das bedeutet, dass diese Menge ein lebenslang täglich aufgenommen werden kann, ohne ein nennenswertes Gesundheitsrisiko darzustellen. Als akute Referenzsdosis gilt ein Schätzwert von 1,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Diese Dosis kann somit innerhalb eines kurzen Zeitraums eingenommen werden, ohne dass nennenswerte gesundheitliche Schäden zu erwarten sind.

Zudem gibt es noch die sogenannten Rückstandshöchstgehalte, die keine gesundheitlichen Referenzwerte sind. Für die meisten Obst- und Gemüsesorten wurden Glyphosat-Höchstgehalte entsprechend der unteren analytischen Bestimmungsgrenze (zumeist 0,1 mg/kg) festgesetzt. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, bei denen die Rückstandsgehalte höher liegen dürfen, wie beispielsweise bei Kartoffeln (0,5 mg/kg) und Sojabohnen (20 mg/kg). Bei einem 60 Kilogramm schweren Erwachsenen entsprächen das einer täglich akzeptablen Menge von 1,5 Kilogramm Sojabohnen oder 60 Kilogramm Kartoffeln.

Nach Angaben des BfR werden diese "nie höher festgesetzt, als es nach guter landwirtschaftlicher Praxis erforderlich ist". "Wird ein Rückstandshöchstgehalt überschritten, heißt das nicht, dass eine gesundheitliche Gefährdung vorliegt, weil in der Regel ein großer Abstand zu den toxikologischen Referenzwerten besteht", so das BfR.

Mögliche Folgen für die Darmflora

"Wenn ich mir die molekulare Situation anschaue, dann gibt es meiner Meinung nach keinen Hinweis darauf, dass Glyphosat von seiner Struktur her direkt an einer krebserzeugenden Wirkung beteiligt ist", sagt Christoph Schäfers, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie. Allerdings sei eine indirekte Wirkung nicht auszuschließen.

Denn auch wenn Glyphosat sich direkt nur auf pflanzliche Organismen und Bakterien auswirke, könne das auch für Menschen und Tiere Auswirkungen haben - vor allem im Darm. "Die Darmflora besteht auch aus Bakterien, die durch Glyphosat behindert werden, bestimmte Aminosäuren zu produzieren." Das könne zur Folge haben, dass die Darmflora gestört und dadurch beispielsweise das Immunsystem eines Menschen angegriffen werde. Besonders in diesem Bereich gibt es nach Ansicht von Schäfers noch Forschungsbedarf.

So sei beispielsweise bei Rinderbeständen nachgewiesen worden, dass die Darmflora durch Glyphosat beeinflusst wurde - allerdings bei einer sehr hohen Konzentration. "Nur weil Totalherbizide mit Glyphosat günstig und leicht verfügbar sind, heißt es nicht, dass sie überall eingesetzt werden sollten", sagt Schäfers. Dieser Fehler sei inzwischen korrigiert worden.

Glyphosatabsatz seit 2007 stark zurückgegangen

Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat sind inzwischen in Privatgärten und öffentlichen Orten wie Parks und Sportplätzen verboten, auch in ökologisch sensiblen Gebieten wie Naturschutzgebieten gilt ein grundsätzliches Verbot. Für die Landwirtschaft wurde der Einsatz ebenfalls stärker reglementiert: So ist unter anderem die Spätanwendug vor der Ernte im Ackerbau verboten und es muss bei einem großflächigen Einsatz ein zeitlicher Mindestabstand bis zur nächsten Spritzung eingehalten werden.

Im Vergleich zum ersten Jahrzehnt des Jahrtausends ist der jährliche Glyphosatzabsatz in Deutschland stark zurückgegangen. Im Jahr 2007 lag der Absatz noch bei 7.608 Tonnen, im Jahr 2022 waren es 3.915 Tonnen. In den vergangenen Jahren hat sich der Absatz jedoch relativ stabil gehalten und ist nicht mehr großartig gesunken.

Rückstände nicht zwingend gesundheitsschädlich

Vor allem um die Rückstände von Glyphosat und Glyphosatabbauprodukten wird immer viel diskutiert. So wurde eine Zeit lang unter anderem behauptet, dass Glyphosatrückstände sogar in Muttermlich nachweisbar seien. Das stimmt nach Angaben des BfR jedoch nicht. Gesundheitliche Beeinträchtigungen seien daher auch nicht zu erwarten.

"Glyphosat ist wasserlöslicher ist als die meisten anderen Pflanzenschutzmittel", sagt Schäfers. "Und in der Muttermilch findet man vor allem fettlösliche Substanzen. Da findet man dann eher lipophile Insektizide als Glyphosat."

Zudem weist das BfR daraufhin, dass der reine Nachweis von Glyphosat in verschiedenen Lebensmitteln nicht direkt ein Gesundheitsrisiko darstellt. Gerade um die gefundenen Rückstände in Bier gab es ein großes mediales Echo. Nach Angaben des BfR waren die nachgewiesenen Mengen jedoch viel zu gering, um wirklich gefährlich zu sein. Selbst bei dem höchsten gefunden Glyphosatrückstand im Bier von 30 Mikrogramm pro Liter müsste ein 60 Kilo schwerer Erwachsener demnach 1000 Liter Bier an einem Tag trinken, um eine gesundheitlich bedenkliche Menge von Glyphosat aufzunehmen.

"Der Nachweis von Rückständen ist immer ein Zeichen dafür, dass eine Substanz sehr weit verbreitet ist, wenn man sie überall findet", sagt Schäfers. "Und das heißt schon mal, dass man sich Gedanken machen muss, ob man vielleicht zu viel einsetzt." Grundsätzlich sei bei Rückständen aber immer zu Bedenken, dass der Nachweis auch stark davon abhänge, wie gut die Untersuchungsmöglichkeiten sind. "Wir sind inzwischen in der Lage, sehr geringe Konzentrationen nachzuweisen." Von daher gebe es keinen Stoff auf der Welt, der analytisch nicht nachweisbar wäre. Vor zwanzig Jahren sei das noch anders gewesen.

Bei dem Nachweis von Glyphosatrückständen spielt die Aminomethylphosphonsäure (AMPA) eine große Rolle. Diese ist ein Abbauprodukt von Glyphosat und ist länger in der Umwelt nachzuweisen als Glyphosat selbst. Allerdings kann AMPA auch aus Waschmittelrückständen und Wasserenthärtern entstehen. Häufig sei jedoch aufgrund des Messortes abschätzbar, worauf diese Rückstände zurückzuführen seien, sagt Schäfers. Eine neue und noch nicht unabhängig begutachtete Studie der Universität Tübingen kommt zu dem Ergebnis, dass die Landwirtschaft zumindest nicht die Hauptquelle für die Glyphosat-Belastung in deutschen Gewässern ist.

Mangel an Alternativen

Ebenfalls in der Kritik steht Glyphosat oft wegen der negativen Folgen für die Artenvielfalt. Denn dadurch, dass auf Feldern, die mit Glyphosat behandelt werden, keine Wildpflanzen mehr überleben, verringert sich auch das Nahrungsangebot vor allem für Insekten.

Allerdings ist das aus Sicht von Schäfers kein spezifisches Problem von Glyphosat, sondern ein strukturelles. "Wie man das Unkraut weg macht, ob mit Glyphosat oder mechanisch, spielt eine untergeordnete Rolle: Die Biodiversität auf dem Acker wird in beiden Fällen verringert." Das sei letzten Endes auch das Ziel der konventionellen Landwirtschaft, da so der Ertrag hochgehalten werde.

Bessere chemische Alternativen zu Glyphosat sieht Schäfers momentan nicht. "Die Wirkmechanismen der anderen Pflanzenschutzmittel gehen auf andere Endpunkte oder andere Stoffwechselwege, die in Umweltorganismen anders vorhanden sind, auch im Menschen. Deshalb sind sie deutlich toxischer für Menschen und Tiere." Man dürfe zudem nicht den Fehler machen, Substanzen zu verbannen, bei denen man zumindest gut wisse, wie sie wirken, um sie dann mit anderen Mitteln zu ersetzen, deren Gefahren unbekannt seien.

"Umdenken bei Verbraucher notwendig"

Um die Artenvielfalt zu schützen, müsse es ein Umdenken in der Landwirtschaft und bei den Verbrauchern geben, so Schäfers. Denn mit den derzeitigen Anbaupraktiken werde auf der einen Seite zwar das Artensterben vorangetrieben, auf der anderen Seite ermögliche es jedoch durch die reichhaltigen Ernten auch die günstigen Lebensmittelpreise in Deutschland. Eine stärkere Rücksichtnahme auf die Biodiversität würde daher auch mit Preissteigerungen einhergehen.

Auch Christoph Gornott, Leiter des Fachgebiets Agrarökosystemanalyse und -modellierung an der Universität Kassel und Leiter der Arbeitsgruppe Anpassung in Agrarsystemen am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), hatte bereits einen grundlegenden Wandel gefordert. "Wir müssen das gesamte Agrarsystem umbauen, das wird nicht alleine mit alten Anbaupraktiken zu lösen sein. Wir haben neue Probleme und dafür brauchen wir neue und ganzheitliche Antworten."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hatten wir berichtet, dass bei einem 60 Kilogramm schweren Erwachsenen die täglich akzeptable Menge von Glyphosat bei sechs Kilogramm Kartoffeln liege. Es sind jedoch 60 Kilogramm. Das haben wir korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

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