Albanische Fans zeigen ein Transparent mit der Aufschrift "Kosovo ist Albanien".
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Euro 2024 Wie die EM für Propaganda missbraucht wird

Stand: 26.06.2024 12:44 Uhr

Seit dem Beginn der Europameisterschaft liegt der öffentliche Fokus auf dem Fußballevent - und wird zur Projektionsfläche nationaler Konflikte. Manipulierte Bilder und Videos heizen die Stimmung weiter an.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Rumänische Fans singen Putin-Sprechchöre beim Spiel gegen die Ukraine" - mit dieser Behauptung wurde vergangene Woche ein Video in den sozialen Netzwerken geteilt, das rumänische Fans beim Europameisterschaftsspiel gegen die Ukraine im Stadion in München zeigt. Zu hören in dem elf Sekunden langen Clip sind "Putin Putin"-Rufe. Doch das Video ist manipuliert.

Denn die rumänischen Fans haben gar keine Pro-Putin-Sprechchöre gerufen. Wie unter anderem die Nachrichtenagentur AFP schreibt, ist die Tonspur des Videos ausgetauscht worden - der Originalton stammt demnach aus einem Clip von einem Fußballspiel während der Europameisterschaft 2021. Ukrainische Fans sangen in dem Spiel jedoch nicht "Putin Putin", sondern "Putin Chuilo", was auf deutsch soviel bedeutet wie "Putin ist ein Arschloch". In dem Video, das derzeit verbreitet wird, wurde jedoch das "Chuilo" ausgeschnitten und durch die Wiederholung des ersten "Putin"-Rufes ersetzt.

Im Zuge des manipulierten Videos verbreitete sich ein zweites Video mit der alten Tonspur der "Putin Chuilo"-Rufe und der Behauptung, die rumänischen Fans hätten Putin nicht gefeiert, sondern beleidigt. Doch auch diese Tonspur stammte nicht aus der Partie Rumänien gegen die Ukraine.

Fahne ins Bild reinretuschiert

Und das sind nicht die einzigen Fälle von manipulierten Inhalten. Die Europameisterschaft in Deutschland wird auch von Desinformationsakteuren genutzt, um mit gezielten Falschbehauptungen Stimmung zu machen - vor allem mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine.

In einem weiteren Post wurde etwa behauptet, die rumänischen Fans hätten zum Spiel gegen die Ukraine eine Fahne der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" ins Stadion gebracht, die Russland im Zuge des Angriffskriegs völkerrechtswidrig annektiert hat. Ein Bild soll dabei die schwarz-blau-rote Fahne der "Volksrepublik" zeigen, aufgehängt an einer Bande vor der rumänischen Fankurve.

Doch Videoaufnahmen von dem Spiel zeigen, dass es diese Fahne an der Stelle in Wahrheit gar nicht gegeben hat. Sie wurde offenbar im Nachhinein in das Bild eingebaut. Hinzu kommt, dass sich die rumänischen Fans in dem Spiel mit der Ukraine solidarisiert hatten. So hatten sie unter anderem "Ukraine"-Gesänge angestimmt.

Slowakei-Flaggen gegen Ukraine erlaubt

Auch vor dem Spiel der Ukraine gegen die Slowakei wurde in den sozialen Netzwerken eine Falschbehauptung fleißig verbreitet. Demnach dürfe angeblich die slowakische Flagge nicht mit ins Stadion genommen werden, weil sie der russischen zu sehr ähnele (beide weiß, blau und rot). Als vermeintlicher Beweis dient ein Video der Nachrichtenagentur AP.

Allerdings wurde auch dieser Clip manipuliert, wie die AP bestätigte. Denn die Tonspur des Videos wurde ersetzt, im Original geht es um eine Tesla-Aktionärsabstimmung. Auch die UEFA hat die Behauptung bereits dementiert.

Falsches Schild in Stuttgarter Sportcafé

Ebenfalls falsch ist ein Post, in dem behauptet wird, dass in einem Sportcafé in Stuttgart ein Schild aufgestellt wurde mit der Aufforderung an die Besucher, rassistische Beleidigungen und politische Diskussionen während der Spiele zu unterlassen. Das Foto zeigt das Schild sowohl in deutscher als auch in ukrainischer Sprache, was suggeriert, dass vor allem Ukrainer gemeint seien.

Doch das Foto ist eine Fälschung, wie die Nachrichtenagentur Ukrinform berichtet. So unterscheidet sich die Inneneinrichtung des Sportcafés von der Inneneinrichtung des verbreiteten Fotos. Zudem dementierte auch das Sportcafé selbst, solch einen Hinweis aufgestellt zu haben.

Bereits vor der Fußball-Europameisterschaft hatte es Desinformationen gegeben mit dem Ziel, die Ukraine zu diskreditieren. So kursierte unter anderem ein gefälschtes "Bild"-Video, in dem der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt mit der Aussage zitiert wurde, dass er Ausnahmen für die ukrainischen Fußballer hinsichtlich der Dopingregeln vorschlage. Sowohl die "Bild"-Zeitung als auch Seppelt dementierten, dass es diesen Bericht wirklich gegeben hat.

Russland von Europameisterschaft ausgeschlossen

Auch abseits von Desinformation im Netz spielt der Krieg gegen die Ukraine während der Europameisterschaft eine Rolle. So gab es unter anderem von georgischen und polnischen Fans Rufe gegen Putin und Russland, von serbischen Fans hingegen Pro-Putin-Rufe und auch Bilder mit russischer Flagge.

"Der Krieg in der Ukraine ist allein schon dadurch bei der EM präsent, weil Russland nicht dabei ist, die Ukraine aber schon", sagt der Sozialwissenschaftler Robert Claus. Bei den vergangenen Europameisterschaften war Russland stets dabei, seit Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine ist das Nationalteam von der UEFA suspendiert.

Zudem sei die ukrainische Fanszene durch den Krieg gezeichnet, da viele Ultras und Hooligans an der Front kämpften, sagt Claus. Neben den Solidaritätsbekundungen vor allem osteuropäischer Fans und den prorussischen Rufen und Symbolen von Teilen der serbischen Anhänger sei der Krieg in der Ukraine jedoch bislang weniger stark im Fokus der EM, als er es erwartet habe.

Auch Kosovo im Fokus

Mindestens ebenso präsent wie der Krieg in der Ukraine zeige sich der schwelende Kosovo-Konflikt während der EM, sagt Claus. "Welt- und Europameisterschaften dienen einigen Fans auch als Bühne für nationalistische Inszenierungen." Vor allem mit Blick auf den Balkan sei Fußball Projektionsfläche und auch Katalysator nationalistischer Konflikte. Hinzu komme, dass sich durch die Vergrößerung des Teilnehmerfeldes bei der EM dieses Jahr mit Serbien, Albanien, Kroatien und Slowenien gleich vier Länder aus der Region qualifiziert haben.

Das Verhältnis Serbiens zu Albanien und Kroatien ist seit den 1990er-Jahren äußerst angespannt. Mehrere ehemalige Teilrepubliken Jugoslawiens bekämpften sich damals in mehreren Kriegen, besonders blutig waren der Bosnien- und der Kroatienkrieg. Serbien führte zudem Ende der 1990er-Jahre Krieg gegen albanische Unabhängigkeitsbefürworter in der damaligen serbischen Teilrepublik Kosovo, woraufhin die NATO militärisch in den Konflikt eingriff.

2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig, was Serbien bis heute nicht anerkennt. Mehr als 100 Länder, darunter die USA und viele andere westliche Staaten, haben dagegen den Kosovo als unabhängiges Land anerkannt.

Strafen gegen serbischen und albanischen Verband

In proserbischen Kreisen wurde unter anderem ein Video mit der Behauptung verbreitet, spanische Fans hätten während der Parie gegen Albanien "Kosova - Serbia" (auf deutsch: Kosovo - Serbien) gesungen. Allerdings handelte es sich dabei in Wahrheit um die albanischen Fans, die "Kosova - Shqipëria" (Kosovo - Albanien) gesungen hatten, wie auch aus anderen Videos hervorgeht.

Kroatische und albanische Fans hatten bei ihrem Aufeinandertreffen antiserbische Rufe beim gemeinsamen Spiel angestimmt, weshalb der Generalsekretär des serbischen Verbands von der UEFA Sanktionen für Kroatien und Albanien forderte. Der albanische Verband wurde ebenso wie der serbische Verband wegen "provokativer Botschaften" mit einer Geldstrafe belegt. Im serbischen Block wurden unter anderem Fahnen gezeigt, auf denen die Umrisse des Kosovo zu sehen waren, ausgefüllt in den Farben des serbischen Wappens.

"Positive Signale einer europäischen Integration"

"Die EM ist ein plastisches Schaubild dafür, welche nationalistischen Konflikte es noch gibt in Europa", sagt Claus. Das habe beispielsweise auch die Auseinandersetzung zwischen türkischen und georgischen Fans vor der Partie in Dortmund gezeigt. Diese aggressiv konkurrierenden Nationalismen sind für Claus Sollbruchstellen der voranschreitenden Europäisierung.

Insgesamt zieht Claus jedoch ein positives Fazit der bisherigen EM. Denn im Großen und Ganzen zeigten die vielen Bilder gemeinsamer Feiern von Fans unterschiedlicher Länder deutliche Signale einer voranschreitenden europäischen Integration.

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