Vom Turm der Kathedrale von Rouen steigt eine Rauchwolke auf.
faktenfinder

Nach Brand an Kathedrale Antimuslimische Hetze mit irreführenden Karten

Stand: 15.07.2024 11:28 Uhr

Nach dem Brand an der Kathedrale von Rouen verbreitete sich im Netz eine Grafik, die angeblich alle Brände christlicher Kirchen in den vergangenen Jahren in Frankreich zeigt - um gegen Muslime zu hetzen.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Nach Notre Dame in Paris brennt jetzt die 1.000 [Jahre] alte gotische Kirche Notre Dame in #Rouen. In den letzten Jahren brannten immer wieder christliche Kirchen in Frankreich. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt." - Posts wie dieser wurden gestern nach dem Brand des Spitzturms der gotischen Kathedrale von Rouen -zigfach geteilt. In den Kommentaren zu diesem und ähnlichen Beiträgen wird deutlich, wer angeblich hinter diesen Bränden steckt: eingewanderte Muslime. Gleich mehrere Sachen sind daran falsch.

Zunächst einmal ist der inzwischen wieder gelöschte Brand an der Kathedrale von Rouen vermutlich durch Bauarbeiten verursacht worden. Nach Feuerwehrangaben sagten Bauarbeiter aus, dass auf einer Arbeitsplattform am Turm Plastik in Brand geraten sei. Von Brandstiftung war nie die Rede. Dennoch wird der Brand in den sozialen Netzwerken als Teil einer größeren Serie von zerstörten christlichen Kulturstätten in Frankreich dargestellt.

Screenshot X, PeterSweden

Diese Grafik wird im Netz oft mit falschem Kontext verbreitet.

Grafik zeigt nicht nur brennende Kirchen

Auch die Behauptung, die geteilte Grafik würde französische Kirchen zeigen, die in den letzten Jahren angezündet, vandalisiert oder angegriffen wurden, ist irreführend. Denn die Grafik ist in Wahrheit ein Screenshot einer interaktiven Karte der Organisation "Observatoire de la christianophobie" (auf deutsch: "Beobachtungsstätte der Christianophobie"). Auf dieser Karte werden seit 2016 alle vermeintlich antichristlichen Taten in Frankreich verzeichnet.

Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um brennende Kirchen. Auf der Karte werden Taten unterschiedlicher Schweregrade verzeichnet, von Vandalismus über Diebstahl bis hin zu Mord. Wie die französische Zeitung Le Monde schreibt, ist dabei die Einstufung als "christenfeindliche" Taten mit Vorsicht zu genießen. Denn bei den aufgeführten Taten handele es sich hauptsächlich um Diebstähle und Vandalismus, die von oftmals minderjährigen Personen ohne wirkliche ideologische oder religiöse Motive begangen würden.

So meldet die Organisation unter anderem auch den Brand in Rouen, ohne dass es irgendwelche Anzeichen für Vandalismus oder ein christenfeindliches Motiv gibt. Eine andere Meldung beschreibt Vandalismus "insbesondere mit den Kerzen" in einer Kirche im Département Moselle, mutmaßlich von einigen Kindern begangen. Viele weitere Meldungen handeln von Diebstahl an Friedhöfen. Insgesamt ähnelt die Sammlung dem sogenannten Einzelfallticker der AfD, bei dem ebenfalls sehr selektiv und ohne klare Kriterien bestimmte Meldungen aufgegriffen werden.

Organisation von Extremist gegründet

Hinter der Organisation "Observatoire de la christianophobie" steckt der ultrakonservative Katholik Guillaume de Thieulloy. Er war unter anderem Verleger von den Memoiren des rechtsextremen Politikers Jean-Marie Le Pen. Zudem betreibt er ein ganzes Netzwerk rechtsextremer Medien und Websites.

Die Organisation sieht sich als Antwort auf öffentliche Vorwürfe, dass Muslime in Frankreich diskriminiert würden und richtet sich gegen "Inländerbenachteiligung". Auch außenpolitisch ist die Organisation aktiv: So rief sie in der Vergangenheit zur Unterstützung des syrischen Regimes des Machthabers Baschar al-Assad auf.

Die Grafik von der Karte der Organisation wird in den sozialen Netzwerken immer wieder mal hervorgeholt, wenn es einen vermeintlichen Anlass dazu gibt. So wurde sie nach dem Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris im Jahr 2019 ebenfalls viel verbreitet, vor allem in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen. Dabei lag auch bei dem Brand kein christenfeindliches Motiv vor, das Feuer war bei Renovierungsarbeiten ausgebrochen.

Anderer Kontext bei brennenden Kirchen in Kanada

Auch eine weitere Grafik soll dieses Narrativ dabei stützen. Sie zeigt Kirchen in Kanada, die niedergebrannt oder mutwillig zerstört wurden. Auch hier wird ein Zusammenhang mit der muslimischen Bevölkerung hergestellt. Dabei ist der Kontext ein ganz anderer.

Es stimmt zwar, dass in Kanada sei dem Frühjahr 2021 vermehrt Kirchen in Brand gesteckt oder mutwillig zerstört wurden. Einem Bericht von CBC News zufolge gab es zwischen Mai 2021 und Dezember 2023 mindestens 24 Brandstiftungen in christlichen Kirchen in Kanada.

Allerdings steht die Anzahl vermutlich stark mit dem Fund von vermeintlich Hunderten Gräbern indigener Kinder auf Schulgrundstücken in Kanada im Jahr 2021 im Zusammenhang. Ab den 1880er-Jahren waren in Kanada geschätzt 150.000 Kinder von Ureinwohnern von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und in Internate gesteckt worden. In den staatlich errichteten und von Kirchen betriebenen Einrichtungen sollten sie an die Kultur der europäischen Einwanderer angepasst werden.

Viele Kinder wurden dort misshandelt oder Opfer sexueller Gewalt, Hunderte starben an den Folgen von Krankheiten, Hunger oder im Zusammenhang mit Missbrauch. Für die Beteiligung der katholischen Kirche hatten Indigene eine päpstliche Entschuldigungsbitte auf kanadischem Boden gefordert, aber auch weitere Schritte. Papst Franziskus kam schließlich dieser Forderung nach.

Die genauen Motive für die Brandstiftungen der Kirchen sind dem Bericht von CBC News unklar, allerdings werde vermutet, dass die kanadische Kolonialgeschichte und die Entdeckungen potenzieller Begräbnisstätten in ehemaligen Internatsschulen dafür verantwortlich seien.

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